Die Einfältigen haben die Unwissenheit geerbt, aber die Klugen schmücken sich mit Erkenntnis. (Sprüche 14,18 nach der Zürcher)

Im Alten Testament geht es immer wieder um das Erbe. Es ist allerdings ungewöhnlich, darüber etwas in einem negativen Zusammenhang zu lesen. Dass die Einfältigen Unwissenheit geerbt haben ist nicht genetisch gemeint, denn der Text ist sehr viel älter als die Vererbungslehre. Es ist eine soziale Beobachtung, dass Dummheit sich in einer Familie weiter vererbt.
Es ist gut vorstellbar, dass gemeint ist, dass man in einer solchen Familie nichts lernt und nicht gefördert wird und dass Dummheit so eher auf soziale als andere Faktoren zurückgeführt wird. Eines der Paradigmen die den Sprüchen zugrunde liegen ist ja, das man Klugheit und Weisheit lernen kann. Da wäre es kontraproduktiv von einer angeborenen ererbten Dummheit auszugehen, die ja eine Art Schicksal darstellen würde.
Demgegenüber schmücken sich allerdings die Klugen mit Erkenntnis. Sie scheinen also durchaus davon auszugehen, dass sie ihre Klugheit mindestens teilweise ihrer eigenen Anstrengung zuzuschreiben haben. Sie sind stolz auf sie als etwas, das sie selbst erreicht haben. Auch das ist wieder ein Hinweis darauf, dass Klugheit und Dummheit nicht als Schicksal verstanden wurden.
Das sollte uns ermutigen, weiter Einsicht zu suchen und uns nicht von unserer möglicherweise schlechten Startposition abhalten zu lassen.

[systematisch durch die Bibel]

Es kommt zu einem notwendigen Bruch in der „Nachfolge“. Die Evangelien sind durchgearbeitet, nun kommt Bonhoeffer zu den Briefen und der Apostelgeschichte. Der Bruch wird konsequent auch im Aufbau des Buches vollzogen. Es gibt einen zweiten Teil: „Die Kirche Jesu Christi und die Nachfolge“.
Mit der Himmelfahrt verändert sich notwendigerweise wie Nachfolge gelebt wird. In den Evangelien galt es alles zu verlassen um dem „Leib Christi“ nachzufolgen, der Jesus selbst war. Nun ist sein Leib die Kirche und der Ruf geht nicht mehr in die Nachfolge der körperlichen Gegenwart Jesu sondern hinein in die Kirche. Schon in den Evangelien war die Situation nicht immer eindeutig. Manche mussten alles verlassen, andere durften in ihrem Leben bleiben.

Hat er denn den Gichtbrüchigen, dem er seine Sünden vergab und den er heilte, hat er den Lazarus, den er vom Tode erweckte, weniger geliebt als seine Jünger, und dennoch rief er sie nicht aus ihrem Beruf in seine Nachfolge, sondern ließ sie in Haus, Familie und Beruf? (Seite 215)

Teilweise läuft der zweite Teil Gefahr, den ersten zu relativieren. Gerade die Radikalität der Evangelienauslegung machte ja ihren „Charme“ aus. Es war raue Theologie die auf eine Entscheidung ausgelegt war. Bonhoeffer geht allerdings mit messerscharfer theologischer Logik vor und tappt nicht in die Falle sich selbst zu widersprechen. Dennoch fällt der zweite Teil gegenüber dem ersten ab. Was bleibt ist die absolute Christuszentriertheit der Nachfolge:

Die Frage, ob ich mich dem Jünger oder dem Gichtbrüchigen vergleichen solle, ist in gefährlicher Weise falsch gestellt. Ich habe mich gar keinem der beiden zu vergleichen. Vielmehr habe ich allein Christi Wort und Willen, wie ich ihn in diesem und in jenem Zeugnis empfange, zu hören und zu vollbringen. Die Schrift stellt uns nicht eine Reihe christlicher Typen vor, denen wir uns nach unserer Wahl anzugleichen hätten, sondern sie predigt uns an jeder Stelle den Einen Jesus Christus. Ihn allein soll ich hören. Er ist überall derselbe und Eine. (Seite 218)

Schlüsselwort ist vermutlich, „nach unserer Wahl“. Diese Wahl ist in der Nachfolge ohnehin ausgeschlossen. Christus trifft die Wahl für uns. Wir gehören nicht mehr uns selber und dürfen uns zwischen den Typen und Modi der Nachfolge entscheiden. Wir folgen Christus und das bedeutet, dass er den Weg führt.

Ein Jähzorniger begeht eine Torheit, ein Umsichtiger aber macht sich verhasst. (Sprüche 14,17 nach der Zürcher)

Wieder einmal würde ich mich in der Auslegung für eine andere Übersetzung entscheiden. Wieso sollte sich ein Umsichtiger verhasst machen? Im Grunde genommen fällt ja Umsicht genau in die moralische Kategorie zu der uns die Sprüche erziehen wollen. Die Zürcher nimmt hier auch eine Außenseiterrolle unter den Übersetzungen ein. Die meisten deutschen Übersetzungen sagen, dass der Ränkeschmied sich verhasst macht.
So ergibt die Sache Sinn: Es ist schon schlimm jähzornig zu sein. Man richtet Schaden damit an und schadet seinem Ruf. Im Grunde ist es aber nur eine Torheit, die man begeht. Schlimmer ist es, wenn man ein richtiger Ränkeschmied ist, also gewohnheitsmäßig Zwietracht zwischen Menschen sät. Dann macht man sich regelrecht verhasst, wenn man auffliegt.
Es ist ein großer Unterschied, ob man mal in Sünde fällt oder richtig in Sünde lebt. Das ist der Unterschied zwischen einem Anfall von Jähzorn und ständigem Intrigieren.

[systematisch durch die Bibel]

Wer die Menschen noch fürchtet, der fürchtet Gott nicht. Wer Gott fürchtet, der fürchtet die Menschen nicht mehr. (Seite 208)

So schreibt Bonhoeffer über Matthäus 10,26-39. Es geht in diesen Versen genau darum: Zu Jesus zu stehen, das Wort nicht verleugnen und Gott darin zu vertrauen. Diese Verse werden immer herausfordernd bleiben und ich bin Bonhoeffer dankbar, dass er sie nicht durch theologische Winkelzüge entschärft hat sondern sie mehr oder minder in seiner Auslegung nur paraphrasiert. Die Worte sind hart und bei manchem weiß ich nicht, ob Jesus es immer total wörtlich gemeint hat oder ob er vielleicht überzeichnete um ein Prinzip herauszustellen.
Es bleibt in jedem Fall, dass man nur vor einem Furcht haben kann: Ehrfurcht vor Gott oder Angst vor den Menschen. Beides zusammen geht nicht. Nur einer von beiden kann so groß in unserem Leben sein, dass unsere Furcht ihm gilt.
Auch das andere lässt Bonhoeffer so stehen wie es Jesus gesagt hat:

Wer sich im Leben zu Jesus gehalten hat, zu dem wird sich Jesus in der Ewigkeit halten. Wer sich aber dieses Herrn und dieses Namens schämt, wer ihn verleugnet, dessen wird sich auch Jesus in Ewigkeit schämen, den wird er verleugnen. (Seite 209)

Vieles im Matthäusevangelium könnte man unter die Überschrift „Schluss mit lustig“ packen. Es war Jesus sehr ernst und er wollte keine Kirche der Kompromisse aufbauen. Was er tat und lehrte hatte Ewigkeitswert. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir als Christen ein Stück Ewigkeit in der Hand halten, das wir an andere weitergeben sollen. Es ist eine ernste Sache der wir uns mit allem nötigen Ernst nähern müssen.
Wir betrachten solche Stellen zu oft durch das Licht der Gnade und am Ende kommt heraus, dass es Jesus nicht so gemeint hat. Ich meine, dass das nicht konstruktiv ist, denn die Jünger haben es genauso verstanden, wie Jesus es gesagt hat. Sie konnten es nicht im Lichte des Römerbriefes auslegen sondern mussten Jesus beim Wort nehmen.
Wir verlieren viel Unmittelbarkeit der Evangelien wenn wir sie zu sehr durch die Brille unserer Theologie lesen. Dann wundern wir uns, dass uns Gottes Wort nicht mehr trifft. Wie könnte es, wenn unsere Auslegung und Tradition ihm von vornherein die Spitze abgebrochen haben?

Der Weise fürchtet und meidet das Böse, der Dumme aber braust auf und fühlt sich sicher. (Sprüche 14,16 nach der Zürcher)

Es ist nicht Feigheit, das Böse zu fürchten sondern eine weise Einstellung. Das Böse ist gefährlich, es hat schon stabilere und bessere Leute als uns verführt und von ihm geht eine Bedrohung aus. Es ist ganz sicher kein Zeichen von Weisheit es zu unterschätzen. Wir reden oft vom Teufel und anderem Bösen sehr respektlos und als hätten wir es im Griff; als könne es uns nichts anhaben. Das ist aber durchaus nicht so und eine gesunde Furcht kann schützend wirken. Wir sollten niemals den Fehler machen unseren Feind zu unterschätzen.
Wir sollten das Böse nicht nur fürchten sondern es auch meiden. Manche Menschen sind sich allzu sicher, nicht angetastet oder verführt werden zu können. So begeben sie sich wieder in Gefahr. Auf diese Weise fallen viele Junkies wieder zurück weil sie meinen, stark genug zu sein um wieder mit den alten Freunden zusammen sein zu können. Oft erweist sich das als folgenschwerer Trugschluss. Es ist besser, einen großen Bogen um das Böse zu machen statt sich ständig in seiner Nachbarschaft aufzuhalten. Natürlich gibt es auch göttliche Berufungen, die uns in die Nähe des Bösen führen, dann können wir an die bewahrende Kraft Gottes glauben.
Der Dumme fühlt sich sicher, er glaubt nicht an Konsequenzen, noch weniger daran dass er sie tragen müsste. Solche Stellen machen es einfach das eigene Leben zu durchleuchten und zu schauen, wo man steht. Ich habe lange auf der falschen Seite gelebt und weiß, dass eine große Weisheit darin liegt sich von dem fern zu halten was einen kaputt macht.

[systematisch durch die Bibel]

Als Jesus seine Jünger aussandte gebot er ihnen, nichts mitzunehmen. Die „Nachfolge“ erklärt mit schönen, poetischen Worten:

Sie sollen so wenig bei sich haben wie der, der über Land geht und gewiss ist, dass er abends bei Freunden das Haus findet, das ihn beherbergt und ihn mit der nötigen Nahrung versorgt. Solches Vertrauen sollen sie zwar nicht auf Menschen setzen, aber auf den, der sie gesandt hat, und auf den himmlischen Vater, der für sie sorgen wird. (Seite 201)

Mir fällt es ehrlich schwer, meine Gedanken beim Lesen des Buches zusammenzufassen. Bonhoeffer legt einfach die Bibel aus. In dem Buch sind die Predigten zusammengefasst und bearbeitet, die er jede Woche im Predigerseminar hielt. Da ich selber die Bibel liebe und sie gerne auslege, lese ich das Buch ein bisschen wie einen Kommentar zum Matthäusevangelium – alles erscheint mir bedeutend und wird angestrichen. Ich bekomme eine Perspektive auf das Evangelium aus der Sicht eines gläubigen Theologen am Abgrund der Verfolgung; manchmal mag die Sprache unvertraut sein, aber die Erfahrung mit Jesus und dem Gotteswort trifft mich immer wieder.
Das Vertrauen der Jünger muss in den Gott gesetzt sein der sie versorgt. Der sie sendet wird auch für sie sorgen. Sobald wir uns selbst mit allem ausrüsten was wir für die Reise brauchen, fallen wir aus dieser Versorgungsnotwendigkeit heraus. Dann sehen wir vielleicht noch den sendenden Gott, aber nicht mehr den versorgenden.
Abhängigkeit von Gott setzt Unabhängigkeit von den Dingen dieser Welt voraus. Da wir alle gesandt sind, stellen diese Stellen eine Herausforderung an jeden Christen zu allen Zeiten dar. Es ist zu einfach sie als Worte an die ersten Jünger zu sehen. Oder als Worte an die Kirche des dritten Reiches. Es sind Worte an jeden von uns. Es ist unser Auftrag und er zeigt unsere Unfähigkeit Gott zu vertrauen.

Der Einfältige glaubt jedes Wort, aber der Kluge achtet auf seinen Schritt. (Sprüche 14,15 nach der Zürcher)

Solche Sprüche tun meiner Seele gut. Wie oft wird uns Leichtgläubigkeit vorgeworfen? Wie oft habe ich es früher selbst gedacht, dass man den Religiösen auch alles erzählen kann weil sie beim Eintritt in ihre Sekten den Verstand abgegeben haben und jetzt verpflichtet sind, allem auf den Leim zu gehen.
Da sagt Sprüche 14,15 das genaue Gegenteil aus. Es ist kein Zeichen von Glauben von Dummheit, wenn man alles glaubt was einem erzählt wird. Gottes Weisheit öffnet uns nicht für Betrug sondern gibt uns eher die Möglichkeit an die Hand zwischen wahrhaften und betrügerischen Menschen zu unterscheiden.
Man kann Jesus mit eingeschaltetem gesunden Menschenverstand nachfolgen. Wir können weiterhin auch in weltlichen Belangen auf unseren Weg achten und müssen uns nicht über den Tisch ziehen lassen.

[systematisch durch die Bibel]

Nach dem Absatz über den Teufel spricht Bonhoeffer von der Gemeinschaft der Apostel, den Menschen wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Nachdem er sie einzeln charakterisiert hat, schreibt er:

Nichts auf der Welt hätte diese Männer zu demselben Werk zu verbinden vermocht als der Ruf Jesu. Hier war alle frühere Entzweiung überwunden, und neue, feste Gemeinschaft war in Jesus begründet.

Für manchen ist es der faszinierendste Aspekt der Gemeinde, dass sie Menschen aus den unterschiedlichsten Hintergründen zusammenbringt. Sie ist die Gemeinschaft, die wahrlich alle Unterschiede aufhebt und das gemeinsame, höchste Ziel bietet, das Menschen zusammen bringt.
Die Kirche Jesu erstreckt sich über zwei Jahrtausende, alle Kontinente, Sprachen und Rassen, es ist eine im wahrsten Sinne des Wortes universale Kirche. Auch mich beeindruckt es, dass ich Brüder und Schwestern habe, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Ich liebe es, sie zu entdecken und immer wieder eine tiefe Verbundenheit mit Menschen festzustellen, die so ganz anders sind als ich selbst.

Wer ein abtrünniges Herz hat, wird die Frucht seiner Wege ernten – und ein guter Mann die Frucht seiner Taten. (Sprüche 14,14 nach der Zürcher)

Die Frucht der Taten und des Weges sind dasselbe. Es geht darum, dass jeder das ernten wird, was er sät. Das Leben ist die Summe unzähliger Einzeltaten und jede wird sich in der einen oder anderen Weise auszahlen. Jeder Mensch hat ein instinktives Wissen davon, dass sich seine Taten bemerkbar machen. Es ist nur oft schwer, danach zu leben.

An diesem Punkt möchte ich mal kurz ins Neue Testament gehen. Das erweitert natürlich den ursprünglichen Zusammenhang, aber unsere Weltsicht geht natürlich ohnehin über das Alte Testament hinaus und es ist schwer, bei diesen Auslegungen nur in der Welt zu bleiben in der die Sprüche entstanden sind.
Im Galaterbrief ist das Prinzip von Saat und Ernte im geistlichen Leben bestätigt worden. Dennoch gibt es einen Ausweg in der Gnade. Der Neuanfang, den Jesus uns geben kann macht alles neu und kann uns sogar von schlechter Ernte abschneiden. Die Ernte ist so neudefiniert als Saat minus Gnade.
Das enthebt uns nicht der Verantwortung für unser Leben, aber es gibt uns neue Startbedingungen in der Nachfolge Jesu.

[systematisch durch die Bibel]

Über die Apostel hat Bonhoeffer gleich zwei Gedanken, die mir in dem kurzen (nicht einmal zwei Seiten langen) Abschnitt bedenkenswert erscheinen:

Dass der Teufel Macht hat, wissen die Jünger, obwohl es gerade die List des Teufels ist, seine Macht zu verleugnen, den Menschen vorzuspiegeln, er existiere gar nicht. (Seite 196)

Mich hat gewundert bei einem Theologen wie Bonhoeffer diesen Gedanken zu finden. Zum einen klingt er sehr modern (was auch bedeuten kann, dass ich in der Kirchengeschichte noch nicht über ihn gestolpert bin), zum anderen wundert es mich, dass Bonhoeffer so deutlich über die Existenz des Teufels spricht.
Es war in der Theologie seiner Zeit nicht gerade üblich an die unsichtbaren Realitäten zu glauben die in der Bibel offenbart sind. Mich beeindruckt schon, wie klar und tief er über Jesus und Gott spricht, wie gläubig sein Reden von Gott ist. Noch mehr beeindruckt mich, dass er auch dem Teufel nicht die Existenz abspricht. Menschen von Gott zu erzählen ist eine Sache, aber es ist eine ganz andere, auch noch über den Teufel zu reden. Offenbar hat Bonhoeffer wirklich der Bibel geglaubt.

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