Auch beim Lachen kann das Herz voller Schmerzen sein, und am Ende wird aus Freude Bitterkeit. (Sprüche 14,13 nach der Zürcher)

Vieles in den Gedanken Salomos (und der Denker in seiner Tradition) hat einen melancholischen Grundton. Im Buch Prediger läuft eigentlich alles darauf hinaus, dass alles „eitel“ ist. Alles ist der Vergänglichkeit ausgesetzt und nichts hält hier für immer. Das gilt auch für die Freude, die Menschen so suchen. Auch unter der größten Freude kann sich ein trauriges Herz verbergen und letzten Endes verwandelt sich alle Freude in Bitterkeit und Trauer.
Solche Sprüche bilden ein memento mori, „gedenke, dass Du sterben musst“. Das ist nichts Düsteres, es ist eine Einladung inne zu halten und an die eigene Vergänglichkeit zu denken. Nichts von dem, was wir hier suchen und uns wünschen wird bleiben – da ist es gut, eine innere Haltung des Abstandes gegenüber den Dingen dieser Welt zu entwickeln.
Die Sprüche bleiben ja nicht bei dieser Beobachtung stehen. Vielmehr ist die Beobachtung eingebettet in großenteils positive Gedanken über Gott und die Welt. Wer mit Gott lebt und sein Leben der Weisheit und der Gerechtigkeit widmet, hat eine Perspektive über das Leben hinaus. In kann es tatsächlich weiser und unabhängiger machen über sein Ende nachzudenken.

[systematisch durch die Bibel]

Gottes liebes Volk lag misshandelt am Boden, und die Schuld daran traf die, die an ihm Dienst versehen sollten. Nicht die Römer hatten das angerichtet, sondern der Missbrauch des Wortes durch die berufenen Diener am Wort. Es waren keine Hirten mehr da! (Seite 194)

So steht es über die Ernte (Matthäus 9,35-38) in Bonhoeffers Nachfolge. In der Zeit in der diese Zeilen geschrieben wurden, waren sie fundamentale Kirchenkritik. Wie hätte Bonhoeffer sie anders meinen können als in Bezug auf den desolaten Zustand der Kirche im Aufschwung des dritten Reiches? Wieder lag Gottes Volk misshandelt am Boden und Schuld trugen die Pastoren und Bishöfe.
Die Bibel kann das spannendste Buch der Welt sein wenn man in ihr die eigene Geschichte entdeckt. Sie kann den Spiegel vorhalten in dem man seine eigene Zeit sieht und gerade so das Herz und den Willen Gottes für die eigene Situation zeigt.
Die ganze Nachfolge zeigt die Erschütterung Bonhoeffers über den Zustand der Kirche. Es ist eine Erschütterung die erst sichtbar wird, wenn man den Ist-Zustand gegen den Soll-Zustand hält den die Bibel zeigt. So sieht man, wie weit die Kirche sich von dem Rahmen entfernt hat, den ihr Gott gesetzt hat. Bibellese funktioniert auch heute noch so. Der Heilige Geist trifft uns durch Gottes Wort gerade da ins Mark wo wir uns und unsere Zeit in der Bibel wiederfinden und Gottes Herzschlag hören, der uns zurück in seinen Willen bringen will.

Da ist ein Weg, der einem gerade erscheint, aber am Ende sind es Wege des Todes. (Sprüche 14,12 nach der Zürcher)

Manchmal sind die Optionen, die uns das Leben bietet, schwer auseinander zu halten. An den Irrwegen steht kein Schild das uns warnt und es kann geschehen, dass ein Weg gut aussieht, in Wahrheit aber ins Chaos führt. Das führt zu zwei Schlussfolgerungen: Zum Einen kann es vorkommen, dass man guten Gewissens in die falsche Richtung geht. Dann ist es wichtig, das einzusehen und wieder umzukehren. Das ist es, was Buße bedeutet, es ist die Gnade auf einem falschen Weg wieder umkehren zu können ohne ihn bis zum bittersten Ende gehen zu müssen.
Zum Anderen bedeutet es, dass wir göttliche Weisheiten brauchen um im Leben an einen guten Punkt zu kommen. Was man nicht erkennen kann wenn man am Anfang eines Weges steht, kann Gott sehr gut erkennen, der das Labyrinth des Lebens von oben sieht.
Ich habe es immer wieder erlebt, dass ich bei einer Sache die gut aussah ein ganz mieses Gefühl hatte, oder auch einen klaren Eindruck von Gott, es nicht tun zu sollen. Wie es so ist, habe ich nicht jedes Mal darauf gehört und habe so aus erster Hand die Erfahrung gemacht, dass gut Wege in die falsche Richtung führen können. Wer gelernt hat die Stimme Gottes von anderen Stimmen zu unterscheiden und ihr zu gehorchen, hat einen klaren Vorteil in den Irren des Lebens.

[systematisch durch die Bibel]

Damit ist Bonhoeffers Auslegung der Bergpredigt beendigt. Es ist eine interessante, tiefe und absolut herausfordernde Auslegung. Sie endet mit den beiden Häusern, dem auf dem Felsen und dem auf dem Stein. Jesus endet die Bergpredigt mit einem leidenschaftlichen Plädoyer nicht zu theoretisieren sondern zu tun. Wie könnte Dietrich Bonhoeffer anders, als in seine Fußstapfen zu treten?

Menschlich gesehen gibt es unzählige Möglichkeiten, die Bergpredigt zu verstehen und zu deuten. Jesus kennt nur eine einzige Möglichkeit: einfach hingehen und gehorchen. (…) Wer mit Jesu Wort irgend anders umgeht als durchs Tun, gibt Jesus unrecht, sagt Nein zur Bergpredigt, tut sein Wort nicht. Alles Fragen, Problematisieren und Deuten ist Nichttun. (Seite 191)

Die Auslegung zu Matthäus 7,13-23 hat mich natürlich sehr interessiert. Es ist die große Frage, wie jemand weissagen und Wunder tun kann und am Ende Jesus zu ihm sagt: „Ich habe Dich nie gekannt.“ Für Bonhoeffer ist das schon eine große Sache, dass hier die Scheidung quer durch die Schar der Gläubigen geht und dass die letzte Trennung zwischen den echten und den falschen Nachfolgern erst am jüngsten Tag geschieht. Pointiert heißt es auf Seite 187:

Das Herr-Herr-Sagen ist das Bekenntnis der Gemeinde. Es wird nicht jeder, der dieses Bekenntnis spricht, ins Himmelreich kommen. Mitten durch die bekennende Gemeinde hindurch wird die Scheidung gehen. Das Bekenntnis verleiht keinerlei Anrecht auf Jesus. Niemand kann sich einmal auf sein Bekenntnis berufen. Dass wir Glieder der Kirche des rechten Bekenntnisses sind, ist kein Anspruch vor Gott. Wir werden nicht auf Grund dieses Bekenntnisses selig werden. (Seite 187)

Wenn man solche Zeilen liest kann man sich gut vorstellen, dass Bonhoeffer zu Lebzeiten alles andere als unumstritten gewesen ist. In der historischen Distanz man so etwas abnicken, aber in der Situation wird es ein Donner gewesen sein. Dass das Bekenntnis allein nicht reicht, wird manchem Vertreter der billigen Gnade nicht geschmeckt haben. Schließlich ist das doch evangelisches Erbe, dass Heil allein durch Glauben und Bekenntnis kommt. Wenn das Bekenntnis allein nicht reicht, dann doch bestimmt das Tun?
Vielleicht, aber man kann die frömmsten Dinge tun und dennoch nicht aus Liebe und dem Heiligen Geist handeln. Da kommt die nächste, schwierigere Trennung. Jemand kann das richtige sagen und sogar das richtige tun, und dennoch kennt ihn Jesus nicht. Bonhoeffer erklärt das mit der Prädestination und ich war ehrlich überrascht, diesen Gedanken bei ihm zu finden. Es ist auch das erste Mal in der Nachfolge, dass ich ihm nicht folge und seine Auslegung nicht teile.

Das allein ist die Frage, ob wir von Jesus erkannt sind oder nicht. Woran sollen wir uns halten, wenn wir hören, wie Jesu Wort die Scheidung vollzieht zwischen Gemeinde und Welt und dann in der Gemeinde bis zum jüngsten Tag, wenn uns nichts mehr bleibt, nicht unser Bekenntnis, nicht unser Gehorsam? Dann bleibt nur noch sein Wort: ich habe Dich erkannt. (Seite 189. Die Fußnote sagt: „Ob wir von Jesus erkannt sind (Prädestination), daran scheidet sichs).

Matthäus 7,1-12 handelt vom Richten. Viele Bibeln haben auch eine entsprechende Zwischenüberschrift. Umso seltsamer ist auf den ersten Blick, dass Bonhoeffer eine andere Überschrift für diesen Abschnitt wählt: „Der Jünger und die Ungläubigen“. Das Richten hat also für ihn in erster Linie mit den Ungläubigen zu tun, als könnte man nicht auch seine Geschwister richten.
Typisch für die „Nachfolge“ ist der Gedanke, dass uns das Richten aus der Beziehung zu Jesus herausreißt, aus der Nachfolge. Wer richtet benötigt dafür einen Maßstab, den Christus aber nicht bietet. Insofern sieht der richtende Jünger etwas anderes als den Herrn, der ihm vorangeht.

Was ihn zum Jünger macht, ist nicht ein neuer Maßstab seines Lebens, sondern ist ganz allein Jesus Christus, der Mittler und Sohn Gottes selbst. (Seite 177) Richten die Jünger, so richten sie Maßstäbe auf über Gut und Böse. Jesus Christus aber ist kein Maßstab, den ich auf andere anwenden könnte. (178) Richten ist unerlaubte Reflexion auf den Anderen. (161)

Damit ist die Gefahr des Richtens begründet. Der Richter braucht einen Maßstab, den erschafft er sich, muss aber dafür die Nachfolge Christi verlassen und den anderen Menschen nicht mehr durch Christus begegnen sondern durch sein eigenes Gesetz – so funktioniert Religion, aber nicht Nachfolge.

Das Haus der Frevler wird vernichtet, das Zelt der Rechtschaffenen aber gedeiht. (Sprüche 14,11 nach der Zürcher)

Beim Auslegen fallen mir Systemfehler auf. Es wäre vielleicht interessanter, die Sprüche in thematische Kategorien zusammen zu fassen. Es gab ja schon einige Sprüche, in denen die Belohnung des Rechtschaffenheit den Konsequenzen gegenüber gestellt wurde, die der Frevler zu tragen hat. Dieser Spruch reiht sich ein.

Interessant ist, dass ein Haus einem Zelt gegenüber gestellt wird. Es gibt Situationen im Leben in denen es dem Ungerechten besser zu gehen scheint als dem Gerechten. Er baut ein Haus und hat alles, was die Welt zu bieten hat. Im gegenüber lebt der Gerechte in einem Zelt und es mangelt ihm an vielem was der Ungerechte im Überfluss hat.
Hier zeigt sich, dass man tiefer (oder weiter) blicken muss. Das Ende sieht anders aus als die Momentaufnahme. Irgendwann wird das Haus vernichtet, aber das Zelt gedeiht. Auf lange Sicht zahlt sich ein Leben in Rechtschaffenheit aus.

[systematisch durch die Bibel]

Matthäus 6,19-24: Die Warnung vor der Sorge. Manchmal denkt man, dass Jesus gegen Besitz wäre. Das ist er nicht, er ist nur dagegen, wenn der Besitz die Position einnimmt, die eigentlich Gott im Leben seiner Nachfolger einnimmt. Weltliches darf nicht zwischen uns und Gott treten und wir dürfen nicht unsere Sicherheiten in Geld und Gütern suchen. Beides zieht uns aus der Nachfolge Jesu heraus.

Das Leben der Nachfolgenden bewährt sich darin, dass nichts zwischen Christus und ihn tritt, nicht das Gesetz, nicht die eigene Frömmigkeit, aber auch nicht die Welt. Der Nachfolgende sieht immer nur Christus. Er sieht nicht Christus und das Gesetz, Christus und die Frömmigkeit, Christus und die Welt. Er tritt in diese Reflexion gar nicht ein, sondern er folgt in allem allein Christus. (Seite 167)

Bonhoeffer sieht alles in der Bergpredigt (wie vermutlich im ganzen Leben) aus diesem Blickwinkel der Nachfolge. Alles, was sich zwischen uns und Jesus stellt, verunmöglicht in letzter Konsequenz die Nachfolge.
In diesem Sinne muss man aufpassen, dass die Güter gebraucht und nicht gesammelt werden, dass sie keine Sicherheit geben, die Gott allein uns geben soll und will.

Der Missbrauch der Güter besteht darin, dass wir sie zur Sicherung für den nächsten Tag gebrauchen. (…) Das tägliche Empfangen macht mich frei vom Morgen. (Seite 171)

Wer so lebt, dass er alles von Gott erwartet und nicht von der Welt, wird am Ende seines Lebens an diesem Punkt ankommen:

Der Nachfolger Jesuwird nach langer Jüngerschaft auf die Frage des Herrn: „Habt ihr auch je Mangel gehabt?“antworten: „Herr, niemals!“ Wie sollte er auch Mangel haben, der in Hunger und Blöße, in Verfolgung und Gefahr der Gemeinschaft Jesu Christi gewiß ist? (Seite 175)

Bonhoeffers Leben zeigt, dass er seine Lehre ernst genommen hat. Vielleicht besser: Dass seine Lehre im Leben entstanden ist und durch das Feuer seiner eigenen Erfahrung geläutert wurde. Er war bereit alles zu verlieren und hat am Ende alles verloren — zumindest weltlich gesehen. Gerade dadurch hat er sich Respekt verdient und tausende Menschen inspiriert.
Er ist ein Beispiel dafür, dass man tatsächlich Jesus so eng folgen kann wie es die „Nachfolge“ zeigt. Manche Wahrheiten kann die Kirche vielleicht nur in ihren härtesten Prüfungen entdecken – umso wichtiger, dass wir sie in den „guten“ Zeiten der Freiheit nicht wieder preisgeben.

Das Herz allein kennt die eigene Bitterkeit, und seine Freude kann kein anderer teilen. (Sprüche 14,10 nach der Zürcher)

Ich mag es, wie meine Bibellektüre manchmal die äußeren Umstände widerspiegelt unter denen ich schreibe. Während ich diese Zeilen tippe ist die Sonne untergegangen. Ich habe meine letzte Tasse Tee getrunken und kann die Nordsee aus dem Fenster nicht mehr sehen. Ich denke daran, wie jeder doch eine Insel ist. Sind das Gedanken, die man als Theologe eben hat wenn man auf einer Nordseeinsel sitzt und gleich sein Lieblingscafé verlässt?
Es ist auf jeden Fall das, was Salomo hier schreibt: Jeder ist eine Insel, allein mit seiner Bitterkeit und Freunde. Niemand kann mit uns teilen was uns im tiefsten Inneren bewegt. Zwar sind Freude und Bitterkeit Gefühle die auch jeder andere Mensch hat und so gibt es gewisse Sympathien zwischen uns, es gibt ein emotionales Band das uns mit den Anderen verbindet, aber es bleibt doch unsere Freude. Man erkennt es daran, dass es oft schwer fällt, sich mit jemand anderem zu freuen oder Trost von jemandem zu empfangen, der nicht unseren Schmerz teilt. Er mag Schmerz kennen, aber dieser Schmerz ist unserer.
Der ideale Soundtrack zu diesem Eintrag wäre von the Cure „how beautiful you are“. Der letzte Satz des Liedes ist „this is why I hate you and how I understand, that no one ever knows or loves another.“ Vielleicht wäre das aber doch ein zu melancholisches Ende für diesen Post…

[systematisch durch die Bibel]

Matthäus 6,16-18 handeln vom Fasten. Bonhoeffer überschreibt diesen Teil seiner Auslegung der Bergpredigt mit „die Verborgenheit der frommen Übung“. Er beginnt mit einer Feststellung die mich irritiert:

Jesus setzt als selbstverständlich voraus, dass die Nachfolgenden die fromme Übung des Fastens halten. (Seite 164)

Tatsächlich, Jesus ging ganz selbstverständlich davon aus, dass seine Leute fasten würden. Seltsamerweise ist der Sinn des Fastens nirgendwo in der Bibel näher erklärt. Man muss interpretieren wenn man erfahren will, warum es gut ist zu fasten. Für Bonhoeffer geht es beim Fasten darum, das Fleisch zu unterwerfen. Es muss „in täglicher und außerordentlicher Übung und Zucht erfahren, dass es kein eigenes Recht hat.“
Andrew Wommack sieht es ähnlich und ich denke auch, dass es ein wichtiger Aspekt des Fastens ist die Vormachtsstellung des Geistes über das Fleisch klarzustellen. So ordnet Bonhoeffer es auch in den Prozess des geistlichen Wachstums ein:

Wo immer der Christ erkennt, dass er in seinem Dienst versagt, dass seine Bereitschaft erlahmt, dass er schuldig geworden ist an fremden Leben, an fremder Schuld, dass seine Freude an Gott ermattet, dass die Kraft zum Gebet nicht mehr da ist, dort wird er den Angriff auf sein Fleisch unternehmen, um sich durch Übung, durch Fasten und Beten (Lk. 2,37; 4,2; Mk. 9,29; 1.Kor. 7,5), zu besserem Dienst zu bereiten. (Seite 165)

So wird das Fasten eine Möglichkeit zum geistlichen Kampf und ich kann mir vorstellen, dass es auch gut funktioniert hat. Ich wüsste gerne in wie weit das Fasten zum geistlichen Programm des Finkenwerder Predigerseminars gehörte und wie Bonhoeffer selbst es handhabte. Falls eine(r) meiner LeserInnen das weiß würde ich mich über einen Kommentar freuen.

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