Wer seinen Stock schont, hasst seinen Sohn, wer ihn aber liebt, sorgt für seine Unterweisung. (Sprüche 13,24 nach der Zürcher)

Beim Lesen und Auslegen solcher Sprüche muss man sich bewusst sein, dass das Paradigma der gewaltfreien Erziehung nach dem wir heut leben, gerade mal ein paar Jahrzehnte alt ist. Früher waren Schläge ein normales erzieherisches Mittel.
Man muss allerdings gerade bei solchen Sprüchen abstrahieren um auszulegen. Es geht nicht um Schläge sondern um Erziehung. Die gern gehrte Abstraktion „wer den Sohn liebt, schlägt ihn“ ist falsch. Wer den Sohn liebt, erzieht ihn. Nicht die Schläge sind das bleibende Element, sie waren nur das Mittel der Erziehung. Bleibend ist die Erziehung, die man natürlich mit den Mitteln vollzieht, die von der entsprechenden Zeit zur Verfügung gestellt werden. So wird Erziehung heute notwendig anders verlaufen als damals – unter anderem eben auch gewaltfrei.
Wichtig ist, dass Unterweisung stattfindet. Wer seine Kinder liebt wird sie nicht unvorbereitet in die Welt hinaus schicken. Das gilt für eigene wie für geistliche Kinder. Ein Vater oder eine Mutter haben ihren Kindern gegenüber die Verpflichtung zur Erziehung.

[systematisch durch die Bibel]

Das dritte Kapitel handelt vom „einfältigen Gehorsam“. Es beginnt mit einem Widerspruch den ich mir nur herausgeschrieben habe weil solche Fundstücke mir einen Autor sympathischer, „menschlicher“ machen. Bonhoeffer schreibt, dass Jesus vom reichen Jüngling „freiwillige Armut“ forderte – ein Widerspruch. Überhaupt sind in der Nachfolge einige Fehler, auf manche wird in Fußnoten hingewiesen, die versuchen, sie zu erklären; manche wurden in der Bearbeitung stillschweigend korrigiert.

Menschen wie Dietrich Bonhoeffer, Smith Wigglesworth, Karl Barth oder William Booth erscheinen leicht in Über-Lebensgröße wenn man sich mit ihrem Werk und Einfluss auseinandersetzt. Da tut es gut zu sehen, dass sie auch nur mit Wasser gekocht haben. Man setzt zu leicht Helden auf ein Podest von dem aus sie keine Vorbilder mehr sein können.

Ich hoffe dass klar ist, dass ich mich damit über keinen der genannten respektlos äußern wollte. Ich möchte ihnen den Stellenwert geben den sie haben sollten: Den von Vorgängern, Vorläufern, Vorbildern. Das kann nur jemand sein, dem man realistisch nacheifern kann, niemand der in unserer Vorstellung ein unerreichbarer Halbgott ist.

Der Acker der Vornehmen gibt reichlich Nahrung, aber durch Unrecht wird es hinwegrafft. (Sprüche 13,23 nach der Zürcher)

Eine Warnung an die Reichen, die Vornehmen. Ihr Acker zahlt sich aus, er gibt reichlich Nahrung. Aber sobald Unrecht geschieht, verschwindet diese Quelle der Versorgung. Die Bibel ist nicht gegen Wohlstand. Im Gegenteil: Gerade im Alten Testament ist Wohlstand ein Zeichen für den Segen Gottes.
Allerdings wendet sich die Bibel gegen Unrecht. Wer seinen Wohlstand unrecht erwirbt oder ungerecht mit ihm umgeht setzt sich selbst ins Aus. Er verlässt den Bereich in dem Gott ihn segnen kann.
Beide Testamente sind voll mit solchen Warnungen an die Reichen. Gottes Wort respektiert keine Ausbeutung und der Herr ist prinzipiell eher auf der Seite der Amen und Schwachen als auf Seiten der Ausbeuter. Reichtum verpflichtet zu sozial verträglichem Handeln, er ist kein Freibrief um mit seinem Vermögen zu tun, was man will.
Es wäre interessant, solche Bibelstellen einmal gegen manche kapitalistische Denker wie Richard Nozick zu halten, die für sich genommen auch interessante Theorien hervorgebracht haben, aber eben von einem absoluten Kapitalismus ausgingen. Die Bibel scheint durchaus nicht gegen einen begrenzten Kapitalismus zu sein (es ist hier zu platt einfach auf Sozialismus zu pochen wie es manche Christen tun), aber es ist immer eine Verpflichtung gegenüber den Schwachen in der Gesellschaft gegeben. Weil Gott selbst sich uns in unserer Schwachheit zugewandt hat, sind auch wir verpflichtet uns den Schwachen zuzuwenden. Evangelium braucht immer eine Not um wahrhaft Evangelium zu sein.

[systematisch durch die Bibel]

30. Dezember 2010 in theologie und gemeinde 2

Nachfolge 9

Ein Satz durchzieht das zweite Kapitel der „Nachfolge“: „Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt“ (Seite 52).

Für Bonhoeffer gehören beide Gliedsätze zusammen. Beide sprechen eine andere Situation an, zielen aber auf dasselbe Leben im Glauben. In der Praxis dürfte der zweite Teil wichtiger sein als der erste. Die meisten Gläubigen würden sagen, dass Glaube gehorsam ist. Das gerät ihnen leider oft zur billigen Entschuldigung: „Ich kann nicht gehorsam sein, weil Gott mir keinen Glauben gibt“. So wird Gott selbst die ultimative Entschuldigung für einen untreuen Gläubigen – das ist natürlich echte Häresie. Die Konsequenz mangelnden Gehorsams ist, dass die Klarheit der Bibel immer mehr verdunkelt wird – Verstockung setzt ein; man weiß nicht mehr, wer der Nächste ist und vermutet hinter jeder Bibelstelle eine alternative Auslegung die dem Offensichtlichen die Schärfe nimmt. (Seite 58). Bonhoeffer nennt dies die Flucht in den ethischen Konflikt: Man entschärft das Wort Christi indem man intellektuelle Rätsel konstruiert die einem die Möglichkeit nehmen, gemäß dem Wort zu handeln. Der Schriftgelehrte weiß sehr wohl, was Gott von ihm fordert, aber er verschanzt sich hinter der Frage, wer denn sein Nächster sei.

Glaube beginnt mit einem Gehorsamsschritt. Im Boot braucht Petrus keinen Glauben, erst auf den Wellen ist Glaube gefragt und kann Glaube überhaupt entstehen.

Sage nicht: Ich habe den Glauben dazu nicht. Du hast ihn so lange nicht als du im Ungehorsam bleibst, so lange du den ersten Schritt nicht tun willst. Sage nicht: Ich habe ja den Glauben, ich brauche den ersten Schritt nicht mehr zu tun. Du hast ihn nicht, solange und weil du den ersten Schritt nicht tun willst, sondern dich im Unglauben unter dem Schein des demütigen Glaubens verstockst. (Seite 56)

So spricht kein verstaubter Intellektueller, so spricht ein Prophet; jemand der den Mut hat einem Menschen gerade die göttliche Analyse seines Zustandes zu geben, die er nie und nimmer hören will. Gleichzeitig aber auch die Analyse die ihn allein aus seinem Stillstand und seiner Glaubensarmut heraus rettet.

Der Gute hinterlässt sein Erbe den Enkeln, aber das Vermögen des Sünders ist aufgespart für den Gerechten. (Sprüche 13,22 nach der Zürcher)

Vielleicht liegt es daran, dass ich älter werde und keine Kinder habe, auf jeden Fall beschäftigt mich das Erbe immer mehr. Der Gute hinterlässt seinen Enkeln etwas – er lebt so, dass er nicht nur in die Generation nach ihm sät sondern auch noch in die Generation nach dieser: In seine Enkel.
Viele Menschen leben nur für sich. „Nach uns die Sintflut!“, heißt es. Das nicht nur sehr kurzfristig gedacht sondern auch am Herzen Gottes vorbei. Gott ist ein Vater und ein Vater investiert nicht nur in das eigene Leben sondern in die Generationen nach ihm. Man kann nicht den Vater kennen ohne Hingabe für Generationen zu entwickeln die man nicht sehen wird.
Im Neuen Testament ist mir dieses Prinzip bisher am stärksten im 3.Johannesbrief aufgefallen: Die größte Freude des alten Apostel ist es, zu hören, dass seine Kinder in der Wahrheit leben. An solchen Versen könnte ich wochenlang lagern… Wir sollten lernen weiter zu sehen als auf unser Leben, unsere Bedürfnisse, unsere Erfahrungen usw.
Der zweite Teil reiht sich ein in eine ganze Reihe ähnlicher Sprüche. Der Gerechte bringt den Sünder nicht um sein Vermögen, das tut schon sein eigener Lebensstil. Er wird wieder verlieren, was er schnell zusammengerafft hat und es wird dem zufallen, der sorgsam, bedächtig und nachhaltig zu Werk geht (Sprüche 13,11).

[systematisch durch die Bibel]

28. Dezember 2010 in theologie und gemeinde 1

Nachfolge 8

Anhand der Beispiele aus Lukas 9,57-62 macht Bonhoeffer klar, dass nichts – kein religiöses Gesetz, keine eigene Bedingung und kein Zögern – sich zwischen Jesus und den stellen darf, den er ruft. Der Ruf in die Nachfolge verändert sofort alles.

So schafft der Ruf in die Nachfolge sofort eine neue Situation. In der alten Situation bleiben und nachfolgen schließt sich aus. Das war zunächst ganz sichtbar so. Der Zöllner musste den Zoll, Petrus die Netze verlassen, um hinter Jesus herzugehen. Es hätte ja nach unserem Verständnis auch damals schon durchaus anders sein können. Jesus hätte dem Zöllner eine neue Gotteserkenntnis vermitteln und ihn in seiner alten Situation lassen können. Wäre Jesus nicht der menschgewordene Sohn Gottes gewesen, so wäre das möglich. Weil aber Jesus der Christus ist, darum musste es von vornherein deutlich werden, dass sein Wort nicht eine Lehre, sondern eine Neuschöpfung der Existenz ist. (Seite 50)

Es ist nötig, dem Ruf in die Nachfolge – und damit aus dem Gewohnten heraus – zu folgen um Glauben zu lernen. Man lernt Glauben nicht im Vertrauten. Petrus musste raus aus dem Boot um auf den Wellen zu glauben; gerade Petrus auf dem Wasser begegnet uns wieder und wieder in diesem Kapitel.
Nachfolge ist Tat, kein Bekenntnis. Interessant ist, dass der Apostel Johannes dasselbe über die Wahrheit sagt: „Wenn wir sagen, daß wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln in der Finsternis, lügen wir und tun nicht die Wahrheit.” (1.Johannes 1,6 nach der Elberfelder) Wahrheit ist nichts, was man glaubt oder besitzt, nicht einmal etwas, das man sagt. Man tut die Wahrheit – erst im Vollzug wird sie zur Wahrheit. So auch die Nachfolge: Sie ist kein Konzept sondern etwas, das getan werden muss – sie ist Nachfolge erst im Vollzug des göttlichen Rufes.

Damit schafft die Nachfolge bereits im ersten Schritt die Bedingungen die für sie notwendig sind. Man folgt in etwas Fremdes, Neues hinein. Man verlässt einen gewohnten Beruf, ein gewohntes Land, ein gewohntes Leben um im Neuen das neue Leben zu erlernen. Damit ist klar, dass es Jesus nicht um doktrinäre Aussagen ging – er brachte keine Philosophie sondern einen Weg, der gegangen werden muss.
Das findet sich wieder in Bonhoeffers Interpretation der Neuschöpfung. Oft verstehen wir 2.Korinther 5,17 als etwas so sehr innerliches, dass es kaum eine Auswirkung auf unser äußeres Leben hat – unser Geist ist neugeschaffen, aber davon merkt man nicht unbedingt etwas. Für Bonhoeffer ist das zutiefst praktisch. Jesus gestaltet das ganze Leben neu indem er in ein Leben hineinruft, das mit dem alten Leben nichts mehr gemein hat.

Levi am Zoll hätte Jesus wohl haben können als einen Helfer in allerlei Not, aber er hätte ihn nicht erkannt als den einen Herrn, dem er sein ganzes Leben in die Hand legen soll, er hätte nicht glauben gelernt. (Seite 51)

Wie herausfordernd ist diese Sichtweise auch für mich! Wir hätten gerne Jesus als den Helfer in unserem Leben, wollen aber nicht sein Leben leben. Wie viel Unglaube kommt wohl daher, dass wir nicht den ersten Schritt aus dem Boot und in die Nachfolge gehen?

21 Unheil verfolgt die Sünder, die Gerechten aber belohnt das Glück. (Sprüche 13,21 nach der Zürcher)

Normalerweise versuche ich ja, die Sprüche nur mit einer einzigen Übersetzung auszulegen (die per Zufall die Zürcher ist). Diesmal führt die Übersetzung aber zu einem Verständnisproblem. Wenn den Gerechten das Glück belohnt, denkt man im Deutschen automatisch an ein Gutes, das einem Menschen unverdient zufällt. Glück hat man im Lotto oder beim Pokern. Das ist aber nicht, was hinter diesem Spruch steht. Gerechtigkeit führt nicht dazu von Fortuna begünstigt zu werden. Luther übersetzt hier:
Unheil verfolgt die Sünder; aber den Gerechten wird mit Gutem vergolten.

Es geht also darum, dass der Sünder vom Unglück verfolgt ist. Sein Weg führt unabwendbar ins Chaos. So geht es dem Gerechten nicht: Ihm vergilt sein Weg mit Gutem. Es geht ihm wie in Psalm 23,6: „Güte und Gnade werden mir folgen alle meine Tage, und ich werde zurückkehren ins Haus des HERRN mein Leben lang.” (nach der Zürcher)

[systematisch durch die Bibel]

26. Dezember 2010 in theologie und gemeinde 3

Nachfolge 7

Nachfolge ist Bindung an Christus; weil Christus ist, darum muss Nachfolge sein. Eine Idee von Christus, ein Lehrsystem, eine allgemeine religiöse Erkenntnis von der Gnade oder Sündenvergebung macht Nachfolge nicht notwendig, ja schließt sie in Wahrheit aus, ist der Nachfolge feindlich. Zu einer Idee tritt man in ein Verhältnis der Erkenntnis, der Begeisterung, vielleicht auch der Verwirklichung, aber niemals der persönlichen gehorsamen Nachfolge. Ein Christentum ohne den lebendigen Jesus Christus bleibt notwendig ein Christentum ohne Nachfolge, und ein Christentum ohne Nachfolge ist immer ein Christentum ohne Jesus Christus; es ist Idee, Mythos. (Dietrich Bonhoeffer: Nachfolge, Seite 47)

Für eine gläubige Theologie klingt es fast banal zu sagen, dass man einen lebendigen Jesus braucht, um ihm nachzufolgen. Für die universitäre Theologie stellen sich die Dinge durchaus nicht so einfach dar. Hier werden viele Versuche unternommen, Jesus einfach existenzphilosophisch zu verstehen: In seiner Wirkung auf das Leben eines Menschen oder den Verlauf der ganzen Geschichte. Für beides reicht die Geschichtsmächtigkeit einer Idee aus; man braucht dazu keinen wahrhaftig Auferstandenen, es reicht der Glaube an die Auferstehung; egal, ob diese faktisch stattgefunden hat oder nicht.

Ich halte diese Gedanken im Kern für falsch. Ein Christentum ohne einen tatsächlich auferstandenen Jesus ergibt nicht den geringsten Sinn. Es gäbe dann nur einen theoretischen (also: gar keinen) Erlöser, theoretische Erlösung, theoretische Nachfolge.

Deshalb finde ich mich in dem, was Bonhoeffer sagt, sehr wieder. Man kann die Idee der Auferstehung bewundern, man kann die Symbolik von Weihnachten und Ostern schätzen und kulturelle Gefühle dafür entwickeln – aber nachfolgen kann man nur dem tatsächlich auferstandenen. Ich frage mich, in wie weit diese Gedanken Bonhoeffer in einen Konflikt zu Bultmann und anderen setzten.

Wer mit Weisen geht, wird weise, wer aber mit Dummen verkehrt, dem wird es übel ergehen. (Sprüche 13,20 nach der Zürcher)

Umgang prägt in einem höheren Maße als wir meinen. Die Menschen mit denen wir verkehren werden immer auf uns abfärben – im Positiven wie im Negativen. Im Neuen Testament heißt es, dass schlechter Umgang gute Sitten verdirbt (1.Korinther 15,33); dieses Prinzip ist hier etwas weiter ausformuliert.
Man kann es sich zunutze machen. Wenn Du weise werden willst, versuche mit weisen Menschen Umgang zu pflegen. Willst Du als Künstler weiter kommen, suche andere Künstler. Allgemein gesagt: Suche Dir Menschen als Umgang die das können oder sind was Du gerne können oder sein willst. Deine Freunde werden auf Dich abfärben und Dich auf Deinem Weg weiterbringen.
Ich finde es sinnvoll, es so positiv auszudrücken. Dennoch drängen sich auch negative Vergleiche auf. Wenn Deine Eltern Dir als Kind verboten haben mit „den bösen Kindern“ zu spielen, dann zielten sie auf dieses Prinzip ab. Sie wussten, dass ein Kind anfängt mit Steinen zu werfen und Frösche aufzublasen wenn seine Freunde das tun. Eltern verwenden viel Anstrengung darauf ihren Sprössling von den falschen Leuten fernzuhalten.
Schwieriger kann es werden wenn man erwachsen ist und selbst darauf achten muss was man tut und mit wem man Umgang pflegt. Die schlechte Gesellschaft hat immer etwas Anziehendes. Es ist schwer zu beschreiben, aber vermutlich kennt ohnehin jeder diesen Zug der Seele zum Ungesunden und Schädlichen. Es ist auch einfacher, sich „nach unten“ zu orientieren als nach oben. Die Gemeinschaft der Weisen verlangt einem Menschen mehr ab als die der Frevler. Frevler kann jeder werden, Weiser nicht.
Es ist also wieder einmal schwieriger weise zu werden als Tor zu bleiben; ein Prinzip das wir in den Sprüchen immer wieder antreffen.

[systematisch durch die Bibel]

24. Dezember 2010 in theologie und gemeinde 0

Nachfolge 6

Das zweite Kapitel der „Nachfolge“ ist überschrieben mit „der Ruf in die Nachfolge“. Es bietet im Wesentlichen Auslegungen zu den Berufungsstellen in den Evangelien mit denen Jesus Menschen in seine Nachfolge rief. Bereits ganz zu Beginn, in der Berufung des Matthäus bringt Bonhoeffer den Punkt rüber, der für das ganze weitere Kapitel bestimmend ist und von verschiedenen Blickwinkeln aus beleuchtet und illustriert wird:

Die Antwort des Jüngers ist nicht das gesprochene Bekenntnis des Glaubens an Jesus, sondern das gehorsame Tun. (Seite 45)

Bonhoeffers ganzes Werk ist von dieser Einfalt der Nachfolge geprägt; das ist umso bedeutender als hier ein Intellektueller schreibt, der sich sicherlich von seinem Naturell her wesentlich leichter mit der Theorie tat als mit der Praxis. Desto größer das Verdienst, Nachfolge in dieser praktischen Weise zu verstehen und selber zu leben.
Viele Theologen können mit dieser unvermittelten Reaktion auf den Ruf Jesu nichts anfangen. Sie vermuten mehr dahinter, können sich vielleicht nicht in die Lage versetzen, selber so von Gott getroffen zu sein, dass sie alles stehen und liegen lassen würden um ihm nachzufolgen. So wird etwa die Lösung angeboten, dass Matthäus Jesus schon gekannt hatte und deswegen – aus einem Vorwissen heraus – bereit war, ihm zu folgen. Der Text sagt nichts darüber aus, aber es wäre schon seltsam diese Trumpfkarte bei jeder Berufung in die Nachfolge zu ziehen, der jemand unvermittelt folgte.
Im Grunde sagen derartige Ressentiment mehr über de Theologen aus als über die Bibel, die er auslegen will. Er kennt keinen Gott der den Menschen so ins Herz treffen kann, dass dieser ihm fraglos nachfolgt. Ich kenne keinen Grund mit einem Gott zu leben, der das nicht kann. Wie farblos und wenig faszinierend erscheint der „Gott“ einer solchen Theologie! Natürlich war etwas so ungeheuer Faszinierendes an diesem Jesus von Nazareth, dass Menschen bereist bei der ersten Begegnung bereit waren, alles einzutauschen gegen ein Leben der Nachfolge.
Der auferstandene Jesus ist nicht weniger faszinierend; er hat denselben Einfluss auch heute noch auf Menschen, die sein Wort hören.

Geistesgeschichtlich drängt sich die Frage auf, wann und wie die Nachfolge zu einer Bekenntnisfrage wurde. Bonhoeffer hat diese Frage bislang noch nicht zu beantworten versucht. Vielleicht ist sie auch eine der großen offenen Fragen des Protestantismus. Im Grunde gibt es aus den Evangelien keine direkte Verbindung zu der Auffassung, dass der Nachfolge genügt wird, wenn man seinen Glauben verbalisiert. Die logischste Verbindung ist bei Paulus:

„Denn wenn du mit deinem Mund Jesus als den Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, wirst du gerettet werden. 10 Denn mit dem Herzen glaubt man und wird gerecht und mit dem Mund bekennt man und wird gerettet. (Römer 10,9-10 nach Herder)

Wir dürfen an dieser Stelle nicht den Fehler machen, Jesus durch Paulus auszulegen. Umgekehrt ist es richtig: Jesus Christus ist das perfekte Abbild Gottes und alles, auch Paulus, muss durch ihn ausgelegt werden. So verstanden kann man nicht sagen: „Was Jesus meinte ist das Bekenntnis“, sondern muss nach der Nachfolge bei Paulus suchen. Die findet man ihm ebenso wie es in einem vorangegangenem Post über Luther anklang, in seinem Leben.
Seine Nachfolge Jesu war absolut konsequent, egal, wie hoch der Preis war (letztlich zeigt uns die Kirchengeschichte, dass er auch den höchsten Preis gezahlt hat und als Märtyrer starb). Auch in seiner Theologie findet man die Nachfolge: In seinem Konzept vom Leben im Geist, der Taufe und einem Wandel, der sich der göttlichen Berufung als würdig erweist.

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