Am 18.09.2010 stimmten die Gemeindedelegierten und Pastoren des FeG-Bundes dafür, Frauen zu ordinieren. Meiner Meinung nach ist das eine längst überfällige Entscheidung und ich habe mich entsprechend sehr über die Nachricht gefreut. Wie zu erwarten stand, fiel die Entscheidung zwar mehrheitlich, aber nicht einvernehmlich aus. Schon der Name des Entscheidungsgremiums (Bundestag) lässt auf demokratische Lösungen schließen, was sicherlich nicht schlecht ist. Wie ein Artikel bei „Zeltmacher-Nachrichten“ vermuten lässt, gab und gibt es um die Entscheidung eine große Diskussion.
Während mich die Frage der Frauenordination derzeit nicht beschäftigt (ich habe 2005 ein Buch darüber geschrieben), interessiert mich ein Argument, das meiner Ansicht nach falsch ist, sich aber zunehmend verbreitet: Dass solche Entscheidungen das reformatorische Prinzip des „sola scriptura“ aufweichten. Zeltmacher fasst die Position der Gegner wie folgt zusammen:
In der Begründung des Gegenantrags erwiderte der Nürnberger Pastor Friedrich Zahn, es sei „unrealistisch“ zu meinen, man könne mit zwei unterschiedlichen biblischen Erkenntnissen in einem Gemeindebund leben. Der Antrag der Bundesleitung missachte die in der Bibel vorgegebene unterschiedliche Beauftragung von Frauen und Männern. Gott habe Männern die Letztverantwortung in Leitung und Lehre übertragen. Im Kern gehe es um die Frage, ob Aussagen der Bibel auch heute gelten oder als kulturbedingt und damit als überholt verstanden werden sollten. Zahn befürchtet ein „sukzessives Entkernen“ der Bibel.
Die Frage ist, in weit man von einem Entkernen der Bibel sprechen darf, wenn Theologie sich ändert. Ein paar Tage vor dem Entschluss war ich auf einer kleinen Klausurtagung zum Schriftprinzip. In der Vorbereitung war ein Text der amerikanischen Autorin Phyllis Tickle, The Great Emergence, zu lesen in dem sie sehr ähnlich argumentiert:
As we know, sola scriptura, scriptura sola had answered the authority question in the sixteenth century and, more or less, had sustained the centuries between the Great Reformation and the latter half of the nineteenth century when the seeds of the Great Emergence were planted. But there was – and still is – another, ongoing chain of experiential events that leads inexorably from the nineteenth century straight to the disestablishment of „only Scripture and Scripture only“ in American Christian belief.
Ihrer Meinung nach gab es drei Schläge gegen das sola scriptura Prinzip: Die Befreiung der Sklaven, die geänderte Auffassung von Scheidung und Wiederverheiratung und die Ordination von Frauen. Ein vierter Schlag steht unmittelbar bevor: Die völlige Durchsetzung von homosexuellen Rechten in der Kirche. Alle diese Entwicklungen wurden von außen an die Gemeinde herangetragen und zeigen unsere Reaktion. Daraus folgert Tickle, dass in diesen Fällen ein gesellschaftlicher Konsens über dem Schriftprinzip steht und wir nicht allein auf dem Boden der Schrift stehen. Das führt sie zu einer wichtigen Frage: „Wo liegt die Autorität in unserer Zeit und was wird das Schriftprinzip ablösen oder ergänzen?“ Die Argumentation und auch die Herleitung gleicht also den kritischen FEGlern, aber haben Zahn und Tickle Recht? Ich meine nicht.
Das Schriftprinzip ist von Theologie erst einmal unberührt. Wir verändern nicht die Schrift und suchen nicht nach alternativen Quellen wenn wir die Bibel auslegen. Theologie muss damit zu tun haben, dass wir versuchen herauszufinden, was Gottes Wort uns heute sagt. Ein bloßes Zitieren von Bibelversen reicht nicht. Tickle und Zahn reden nicht vom Schriftprinzip sondern von Schriftauslegung, sie definieren sola scriptura als wörtlichnehmen der Bibel, was aber deren Geist völlig widerspricht. Die Bibel ist kein Werk von tausend Regeln, die wir befolgen müssen und deren Befolgung uns dann als „schriftgemäß“ ausweist. Eine solche Sicht missachtet Inspiration und Komplexität der Schrift. Ich meine, dass das Gegenteil der Fall sein muss: Während die Schrift dieselbe bleibt muss unsere Theologie und Auslegung der Schrift sich immer wieder ändern.
Natürlich liefert uns die Gesellschaft Gründe dafür unsere Theologie zu überdenken, das ist auch gut so. Das bedeutet aber nicht, dass sie unsere Auslegung bestimmt. Ich selber habe mit der „Frauenfrage“ lange gerungen und hätte sicherlich nicht gegen meine Überzeugung gehandelt, was die Schrift sagt. Wäre ich nicht sicher, dass die Bibel für Frauen in Leitung und Lehre spricht, hätte ich mich nicht dafür ausgesprochen.
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