11 Durch mich werden deine Tage zahlreich, und deine Lebensjahre mehren sich. (Sprüche 9,11 nach der Zürcher)

Weisheit und ein langes Leben stehen in einem einfachen logischen Zusammenhang. Wer weise ist, lebt ausgeglichener, glücklicher und zufriedener. Er wird nicht gehetzt jeder Illusion und Versprechung nachjagen müssen. Er wird innere Freiheit haben nicht alles haben zu müssen. Moderne Menschen jagen oft mit echter Verzweiflung dem Vergnügen nach, wo Weisheit lehrt genügsam zu sein und verzichten zu können. Die gesundheitlichen Folgen sind hinreichend erforscht: Weniger ist oft mehr. Man muss verzichten lernen um glücklich zu leben.
Mit dieser schlichten Wahrheit setzen sich Religionen und Philosophien seit den Urtagen der Menschheit auseinander. Noch immer ist ein Rätsel, wie man „gut“ leben kann. Nicht, dass es nicht bekannt wäre, das Rätsel liegt in jedem einzelnen Menschen selbst. Jeder muss für sich Gott und die Weisheit finden, davon handelt der nächste Spruch.

[systematisch durch die Bibel]

Karl Barth Buch „Einführung in die evangelische Theologie“ ist in vier Teile unterteilt. Der erste Teil behandelt in fünf Vorlesungen den Ort der Theologie. Mit zwei Aussagen Barths möchte ich diesen Teil abschließen. Beide Zitate kommen aus der fünften Vorlesung „der Geist“. Ich weiß, dass man sich mit so langen Sätzen wie Barth sie hier schreibt, keine Leser schafft. Es ist bisweilen anstrengend, Barth zu lesen, weil Sätze über viele Zeilen gehen und dabei eine enorme inhaltliche Dichte haben. Aber es lohnt die Anstrengung.

Was ist Theologie? Nach diesen unseren bisherigen, ihren Ort betreffenden Sätzen kann sie gerade nur theologisch definiert werden: sie ist Wissenschaft in Erkenntnis jenes in Gottes Wort gesprochenen Wortes Gottes, Wissenschaft in der Schule der jenes Wort bezeugenden heiligen Schrift, Wissenschaft in der Bemühung um die der durch jenes Wort Gottes berufenen Gemeinde unausweichlich gestellte Wahrheitsfrage.1

Man kann also auf die Frage nach der Definition der Theologie nur theologisch antworten. Es gibt Dinge in der Theologie, die sich dem Zugriff anderer Wissenschaften und Herangehensweisen in einem so hohen Maße entziehen, dass man nicht auf andere Quellen zurückgreifen kann um Theologie zu definieren. Gerade ihr Hauptgegenstand, Gott selbst, entzieht die Theologie dem Zugriff anderer Wissenschaften. Im Prinzip gebe ich Barth Recht mit seiner Analyse, finde aber schon, dass es nicht-theologische Möglichkeiten gibt um Theologie zu definieren. Auf die einzelnen Aspekte der Definition möchte ich nicht eingehen, weil sie für sich selbst sprechen. Interessant ist, dass Barth das Wort eben nicht übersetzt und so Theologie als Lehre von Gott bezeichnet. Das scheint mir typisch für seine Theologie zu sein, in der sich der Theologe nicht unmittelbar mit Gott beschäftigt sondern mittelbar. Theologie beschäftigt sich mit dem Zeugnis Gottes im Leben von Menschen und speziell mit dem Zeugnis des Redens Gottes in der Bibel.
Ich vermute hier einen Widerspruch mit meiner eigenen Sichtweise, denn mir ist gerade wichtig, dass Gott selbst dem Menschen begegnet. Beschäftigt man sich allein mit dem Reden Gottes in der Bibel läuft Theologie Gefahr zur Historie zu werden. Interessanter ist es, dass Gott sich fortwährend den Menschen offenbart und die Bibel uns Möglichkeiten zeigt selber dieser Offenbarung teilhaftig zu werden. Allerdings sind die entsprechenden Passagen zu knapp gehalten um mir wirklich sicher zu sein. Muss ich wohl doch noch die kirchliche Dogmatik lesen… 🙂

Einige Seiten später kommt Barth dann auf die Möglichkeit ungeistlicher Theologie zu sprechen – eine Möglichkeit vor der ihm graut.

Ungeistliche Theologie wäre, ob sie auf Kanzeln oder Kathedern oder auf gedrucktem Papier oder in „Gesprächen“ unter alten und jungen Theologen ihr Wesen treibt, eines der grässlichsten unter allen Phänomenen dieses Erdentals: ihr gegenüber (wären) die Werke auch des übelsten politischen Leitartiklers, ihr gegenüber die schlechtesten Romane oder Filme, auch der ärgste nächtliche Unfug der Halbstarken immer noch weniger schlimm. Ungeistlich wird Theologie da, wo sie aus der frischen Zugluft des Geistes des Herrn, in der allein sie gedeihen kann, in Räume verlocken oder verdrängen lässt, in deren Stickluft sie automatisch und von Grund auf verhindert ist, das zu sein und zu tun, was sie sein und tun könnte, dürfte und müsste.2

Natürlich geht es im folgenden um zwei Möglichkeiten, wie die Theologie aus der frischen Zugluft des Geistes herauskommen kann. Das hat mich aber weniger interessiert als diese bloße, scharf formulierte Möglichkeit, dass man Theologie auch im falschen Geist betreiben kann. Vielleicht fällt das meiste, das an Theologen und Theologien kritisiert wird in diese Kategorie. Wenn nicht frischer Wind des Geistes weht, ist Theologie bestenfalls seltsam!

[mehr über Karl Barth]

  1. Barth, Karl (1985): Einführung in die evangelische Theologie. 3. Aufl. Zürich: Theolog. Verl, S. 58 []
  2. Barth, Karl (1985): Einführung in die evangelische Theologie. 3. Aufl. Zürich: Theolog. Verl, S. 65 []

10 Der Anfang der Weisheit ist die Furcht des HERRN, und das Erkennen des Heiligen ist Verstand. (Sprüche 9,10 nach der Zürcher)

Am Anfang aller Weisheit steht die Ehrfurcht. Man kann nicht weise sein ohne anzuerkennen, dass es Dinge gibt, die größer sind als man selbst. Das ultimativ größere aber ist Gott. Für viele ist das nicht selbstverständlich. Sie glauben an keine höhere Idee und auch nicht an Gott. Sie sind selbst die Mitte ihres Universums und vergleichen sich nur mit ihresgleichen.
Solche Menschen werden nie zu der Weisheit gelangen um die es hier geht. Somit beginnt Weisheit mit einem Demutsschritt: Der Anerkennung, dass es etwas Größeres gibt und man selbst nicht die erste Geige spielt, nicht mal im eigenen Leben. Das ist auch schon der schwierigste Schritt. Hat man diese Hürde genommen ist man auf dem Weg.

Jetzt drängt sich natürlich die Frage auf, wie man zu dieser Erkenntnis gelangt. Oft ist es spontan, Gott tritt auf einmal ins Leben ohne dass man darauf vorbereitet war. Plötzlich ist er da und man hat eine Gewissheit von unsichtbaren Wahrheiten die man sich vorher nicht vorstellen konnte. Es gibt aber auch den anderen Weg: Man macht sich selbst auf die Suche. Gott verspricht in vielen Stellen der Bibel, dass er sich finden lässt, wenn Menschen ihn ernsthaft suchen. Wer diese Einträge liest wird wohl mindestens ein Interesse an göttlichen Dingen haben und entweder bereits Gott erfahren haben oder nach ihm auf der Suche sein. Wenn Du Gott noch nicht kennst, lass Dich nicht entmutigen. Er lässt sich finden:

Bittet, so wird euch gegeben; sucht, so werdet ihr finden; klopft an, so wird euch aufgetan. (Matthäus 7,7 nach der Zürcher)

[systematisch durch die Bibel]

Die Theologie kann und darf sich kein Dogma, keinen Bekenntnissatz der kirchlichen Vorzeit ungeprüft, ohne in ab ovo an der heiligen Schrift und so am Worte Gottes gemessen zu haben, zu eigen machen.1

Dieser Artikel ist den vielen dogmatischen Diskussionen auf meinem Blog gezollt. Der Ausdruck ab ovo (vom Ei) bedeutet, von der Mitte her. Wir wollen also all unser Denken nicht auf eine Tradition fundieren sondern von der Mitte her direkt aus dem Worte Gottes ziehen. Wer eine andere Quelle hat als das Wort allein verlässt sich mehr auf menschliche Interpretation als auf göttliches Reden. Mit spricht Barth mit diesem Satz aus der Seele, er drückt genau aus, was mich an Dogmatik stört. Ich kann es mir nicht leisten, meinen Glauben auf die Auslegung eines anderen zu stützen, denn niemand garantiert mir, dass dieser andere Recht hat. Wie kann ich mein (ewiges) Leben von der Meinung eines anderen über Gottes Wort abhängig machen?
Dieser Satz ist sicherlich der am meisten „evangelische“  der bisher zitierten. Katholische Theologie funktioniert durch ihre hohe Wertschätzung der Tradition und des Dogmas völlig anders. So ist es auch kaum verwunderlich, dass gerade die Dogmatik ein häufiges Diskussionsfeld zwischen protestantischen und katholischen Christen ist. Gerade bei manchen Dogmen dürfte es schwer sein, sich theologisch näher zu kommen, weil sie zeigen wie grundsätzlich anders evangelische und katholische Theologie funktionieren.

Ich bin sehr dankbar dafür in einer Tradition zu stehen in der man immer wieder zu Gott und der Bibel zurück geht um seinen Glauben auf ein Fundament zu stellen. Dogmatik ist interessant und manches kann man nach eingehender Prüfung am Wort übernehmen, aber die Richtschnur für Theologie darf nicht menschliche Meinung werden!

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  1. Barth, Karl (1985): Einführung in die evangelische Theologie. 3. Aufl. Zürich: Theolog. Verl, S. 54 []

6 Lasst ab von der Einfalt, so werdet ihr leben, und geht auf dem Weg des Verstandes.
7 Wer einen Spötter zurechtweist, trägt Schande davon, und einen Makel, wer den Frevler rügt.
8 Rüge nicht einen Spötter, sonst wird er dich hassen, rüge einen Weisen, und er wird dich lieben.
9 Gib dem Weisen, und er wird noch weiser, belehre den Gerechten, und er lernt dazu. (Sprüche 9,6-9 nach der Zürcher)

Es gibt einen Unterschied zwischen Werbung und Zurechtweisung. Die Weisheit wirbt um die Spötter, Toren und Unweise, weist sie aber nicht zurecht. Zurechtweisung ist ein Mittel der Erziehung. Wenn wir jemandem etwas beibringen, ihm etwas antrainieren wollen, weisen wir immer wieder auf Fehler hin. So lernt man. Wenn Du in der Schule eine fremde Sprache gelernt hast, wird Dich Dein Lehrer ständig auf Aussprachefehler hingewiesen haben. Bei mir war es im Englischunterricht so, dass ich Probleme mit dem „th“ hatte und es immer als „s“ aussprach. So wurde „think“ (denken) zu „sink“ (sinken). Solche Fehler bekommt man nur mit konstanter Rückmeldung weg.
Wer auf dem Weg der Weisheit unterwegs ist, wird sich über solches Feedback freuen. Er wird gerne hören, wie er sich weiterentwickeln kann. Auch wenn es manchmal wehtut wird er sich im Nachhinein über Zurechtweisung freuen und dankbar sein.
Nicht so der Spötter; er ist ja nicht auf dem Wege und hat auch nicht nach Rat gefragt. Die Zurechtweisung wird ihn nicht weiterbringen sondern nur unangenehm berühren. Er fängt an zu diskutieren und ist nicht bereit, eine wohlmeinende Zurechtweisung anzunehmen. Das ist gerade ein Problem für Sozialarbeiter: Man weiß, wie ein Klient es besser machen könnte, aber er ist nicht bereit, Rat anzunehmen. Das kann frustrierend sein.
Die Sprüche geben hier einen guten Tipp, den allerdings nicht jeder beherzigen kann (gerade Pastoren und Sozialpädagogen müssen ihn oft von Berufs wegen missachten): Kümmere Dich um diejenigen an die Deine Zurechtweisung nicht verschwendet ist. Investiere in die Menschen, die sich dienen lassen und weiterkommen wollen.

[systematisch durch die Bibel]

Ebenfalls in der vierten Vorlesung denkt Karl Barth über den Theologen an sich nach.

Sofern er […] der Wahrheitsfrage gegenüber verantwortlich ist, ist jeder Christ als solcher auch zum Theologen berufen.1

Somit ist also jeder Christ ein Theologe. Das ist ein interessantes Statement besonders für die unter uns, die Theologie als eine langweilige und weltfremde Wissenschaft ansehen. Würden sie ihr eigenes Leben, ihr eigenes Ringen um Wahrheit und Wahrhaftigkeit auch als langweilig und weltfremd beschreiben? Sicherlich nicht. Natürlich wird universitäre Theologie oft von Kopffüsslern betrieben, die besser mit Büchern als dem Leben können. Natürlich ist dadurch manches schwer verdaulich was sich in einer theologischen Bibliothek findet. Aber auch das schwer verdaulichste entspringt demselben Ringen das wir aus unserem Leben kennen.
Theologie kann nicht lebensfern sein, weil sie sich mit der ganzen Lebenswirklichkeit desjenigen beschäftigt, der sie treibt. Es stünde uns gut an, das zu verinnerlichen und Theologie nicht mit ihren theoretisierenden Extremen gleichzusetzen!

Eine Seite später schreibt Barth weiter über dieses Ringen mit der Wahrheit und kommt dabei auf das christliche Zeugnis zu sprechen:

Christliches Zeugnis, das nicht immer neu aus dem Feuer der Frage nach der Wahrheit kommt, kann in keinem Fall, zu keiner Zeit, im Munde keiner Person glaubwürdiges, lebendiges, weil substanzielles und so verantwortliches Zeugnis sein.2

Hinter diesem Satz verbirgt sich das Geheimnis intellektueller Redlichkeit und Integrität. Wir predigen was wir selbst ergriffen haben. Hinter jedem Christen steht seine „persönliche Geschichte mit Gott“ (Bill Johnson). Unser Zeugnis von Christus ist in dem Maße authentisch und bewegend in dem wir es durchlebt, durchdacht und durchlitten haben. Wer nicht mit ganzer Persönlichkeit und Leben hinter dem steht, was er von Christus bezeugt (1.Johannes 1,1) wird als Zeuge keine Glaubwürdigkeit haben.
Dabei gilt es zu beachten, dass Wahrheit kein Besitz ist den wir haben und nie wieder verlieren. Wir werden immer wieder an denselben Fragen im Leben ankommen und diese immer wieder beantworten müssen. Wenn wir uns verändern werden wir mit den alten Antworten nicht mehr zufrieden sein. Mann kann als alter Mensch nicht mehr so glauben wie als Teenager. Theologie verändert sich in der persönlichen Geschichte mit Gott, so dass Glaube sich immer wieder neu erfinden muss um aktuell und bewegend zu sein.
Allzu leicht vergessen  wir das und lassen zu, dass unser Glaube etwas statisches wird. Wer aber rastet, der rostet und so verliert man, was man zu besitzen meint. Es ist ein tiefes Geheimnis des Glaubens, dass er immer wieder neu von Gott empfangen werden will.

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  1. Barth, Karl (1985): Einführung in die evangelische Theologie. 3. Aufl. Zürich: Theolog. Verl, S. 48 []
  2. Barth, Karl (1985): Einführung in die evangelische Theologie. 3. Aufl. Zürich: Theolog. Verl, S. 49 []

1 Die Weisheit hat ihr Haus gebaut, ihre sieben Säulen hat sie aufgerichtet.
2 Sie hat ihr Vieh geschlachtet, ihren Wein gemischt, auch ihren Tisch hat sie gedeckt.
3 Ihre jungen Frauen hat sie ausgesandt, sie ruft oben auf den Höhen der Stadt:
4 Wer einfältig ist, kehre hier ein! Zu dem, dem es an Verstand fehlt, spricht sie:
5 Kommt, esst von meiner Speise und trinkt vom Wein, den ich gemischt habe. (Sprüche 9,1-5 nach der Zürcher)

Sprüche 9 kontrastiert Weisheit und Torheit. Beide laden ein, aber in ganz unterschiedlichem Stil. Während die Weisheit alle Register zieht um ein rauschendes Fest zu feiern sitzt Frau Torheit einfach da und ruft möglichen Interessenten zu, dass sie hereinkommen sollen. Die Botschaft ist klar: Die Weisheit feiert eine Party die absolut attraktiv ist. Dagegen hat die Torheit nichts zu bieten.
Interessant ist, dass die Weisheit Toren einlädt. Ihr Fest richtet sich nicht an die Weisen sondern an diejenigen, die Weisheit nötig hätten. Frau Torheit ruft am Ende des Kapitels einfach jedem ihre Einladung zu. Sicherlich will hier niemand einen Grundkurs in Marketingstrategien anbieten, aber mich erinnert das schon an Werbung und nicht zuletzt an Evangelisation (die ja Werbung für die gute Nachricht ist). Wie oft säen wir den Samen des Wortes unselektiv und tragen ihn nicht dahin, wo er gebraucht wird? Wir evangelisieren mehr wie die Torheit als wie die Weisheit.
Offenbar ist auch ihr Angebot interessanter für Toren als für Weise. Die Weisheit wird von den Verständigen gesucht, sucht aber ihrerseits die Unverständigen. Wenn man sie empfangen hat kann man das neben ihren primären Segnungen an dem Mitteilungstrieb erkennen den sie erweckt.

Immer wieder finden wir in den Sprüchen den Gedanken, dass die Weisheit wirbt. Sie zwingt nicht, das vermag sie auch nicht, aber sie sehnt sich danach entdeckt zu werden. Das Gute mag verborgen scheinen, aber es ist nur versteckt um von ehrlichen Suchenden entdeckt zu werden.

Die vierte Vorlesung der „Einführung in evangelische Theologie“ ist der Gemeinde gewidmet. Es war zu erwarten, dass sich in diesem Kapitel viele schöne Zitate und Ausführungen finden würden. Diese Erwartung hat mich nicht enttäuscht. Bereits die ersten Sätze gehen runter wie Öl:

Der Ort der Theologie gegenüber dem Worte Gottes und seinen Zeugen befindet sich nicht irgendwo im leeren Raum, sondern sehr konkret in der Gemeinde. Es ist gerade theologisch ratsam, das dunkle und belastete Wort „Kirche“ wenn nicht gänzlich so doch tunlichst zu vermeiden, es jedenfalls sofort und konsequent durch das Wort „Gemeinde“ zu interpretieren.1

Aus diesen Zeilen spricht eine große Wertschätzung der Kirche gegenüber. Sie ist der Ort an dem Gottes Reden gehört wird und damit der Ort der Theologie schlechthin. Es ist offensichtlich, dass Barth nicht von einer Ortsgemeinde und wohl nicht einmal von der evangelischen oder der römisch-katholischen Kirche spricht. Er spricht vom Leib Christi, von der universalen Kirche die sich aus allen Gläubigen an allen Orten und zu allen Zeiten zusammensetzt. Das ist der Ort an dem Gottes Reden gehört, diskutiert und gelebt wird.
Daran knüpft sich bei Barth jedoch gleich eine Problemstellung an, denn schon der Name „Kirche“ ist in Misskredit geraten. Man kann kaum von Kirche reden ohne Missverständnisse hervorzurufen und unangenehme Erinnerungen zu wecken. Das Wort an sich ist „belastet“.
Es ist immer die Frage, wie man mit einem solchen belasteten Wort umgehen will. Obwohl ich sein Anliegen gut verstehe bin ich anderer Meinung als Barth. Es ist nicht ratsam einen Begriff nicht mehr zu verwenden, weil er schwierig geworden ist. Im Grunde ist nicht der Begriff schwierig sondern die Sache dahinter – zumindest in der Wahrnehmung vieler Menschen. Daher wird es jedem anderen Wort, das vielleicht ein Weile frischer ist, bald ebenso ergehen. Viele Worte gibt es ohnehin nicht und die Vokabel „Gemeinde“ ist für viele Menschen mindestens genauso problematisch wie „Kirche“. Wäre es da nicht besser, die Worte wieder positiv zu prägen statt sie der Vergessenheit anheim  fallen zu lassen?
In der Gemeinde haben wir einen Zuegnisteil; einen Teil im Gottesdienst wo jeder erzählen kann, was er mit Jesus erlebt hat. Das Wort ist Gegenstand derselben Diskussion wie Barths Kirche. Auf der einen Seite ist es ein doofes Wort, das an Schulzeugnis erinnert; auf der anderen Seite ist es griffig und etabliert. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Es ist ebenso wenig tot zu kriegen wie das Wort Kirche. Also lernt man besser damit zu leben und füllt es neu.

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  1. Barth, Karl (1985): Einführung in die evangelische Theologie. 3. Aufl. Zürich: Theolog. Verl, S. 45 []

1 Ruft nicht die Weisheit, und erhebt nicht die Einsicht ihre Stimme?
2 Oben auf den Höhen, am Weg, wo die Strassen sich kreuzen, steht sie.
3 Bei den Pforten, am Zugang zur Stadt, am Eingang der Tore ruft sie:
4 Euch, Männer, rufe ich, und an die Menschen richtet sich meine Rede.
5 Werdet klug, ihr Einfältigen, und ihr Dummen, werdet verständig!
6 Hört zu, denn Richtiges will ich reden und meine Lippen öffnen für das, was recht ist.
7 Meine Zunge spricht Wahrheit, und Frevel verabscheuen meinen Lippen.
8 Gerecht sind alle Worte meines Mundes, nichts Hinterlistiges und Falsches ist in ihnen.
9 Recht sind sie alle für den Verständigen und richtig für die, die Wissen erlangen wollen.
10 Statt Silber nehmt meine Unterweisung an, und Wissen lieber als reines Gold.
11 Denn Weisheit ist besser als Perlen, und keine Kostbarkeit kommt ihr gleich.
12 Ich, die Weisheit, wohne bei der Klugheit und finde umsichtiges Wissen.
13 Den HERRN fürchten heisst das Böse hassen. Hochmut, Anmassung, Weg des Bösen und einen falschen Mund hasse ich.
14 Ich verfüge über Rat und Klugheit, ich bin die Einsicht, ich habe Macht.
15 Durch mich herrschen Könige, und Mächtige setzen fest, was Recht ist.
16 Durch mich regieren Fürsten und Edle, alle gerechten Richter.
17 Ich liebe, die mich lieben, und die mich suchen, werden mich finden.
18 Bei mir sind Reichtum und Ehre, stattliches Vermögen und Gerechtigkeit.
19 Besser als Gold und Feingold ist meine Frucht, und mein Ertrag besser als reines Silber.
20 Ich gehe auf dem Pfad der Gerechtigkeit, auf den Strassen des Rechts.
21 Denen, die mich lieben, verschaffe ich Besitz, und ihre Schatzkammern fülle ich.
22 Der HERR hat mich geschaffen am Anfang seines Wegs, vor seinen anderen Werken, vor aller Zeit.
23 In fernster Zeit wurde ich gebildet, am Anfang, in den Urzeiten der Erde.
24 Als es noch keine Fluten gab, wurde ich geboren, als es noch keine wasserreichen Quellen gab.
25 Bevor die Berge eingesenkt wurden, vor den Hügeln wurde ich geboren,
26 als er die Erde noch nicht geschaffen hatte und die Fluren und die ersten Schollen des Erdkreises.
27 Als er den Himmel befestigte, war ich dabei, als er den Horizont festsetzte über der Flut,
28 als er die Wolken droben befestigte, als die Quellen der Flut mächtig waren,
29 als er dem Meer seine Grenze setzte, und die Wasser seinen Befehl nicht übertraten, als er die Grundfesten der Erde festsetzte,
30 da stand ich als Werkmeisterin ihm zur Seite und war seine Freude Tag für Tag, spielte vor ihm allezeit.
31 Ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Freude an den Menschen.
32 So hört nun auf mich, ihr Söhne! Wohl denen, die auf meinen Wegen bleiben.
33 Hört auf die Unterweisung und werdet weise, und schlagt sie nicht in den Wind.
34 Wohl dem Menschen, der auf mich hört, der Tag für Tag an meinen Türen wacht, die Pfosten meiner Tore hütet.
35 Denn wer mich gefunden hat, hat das Leben gefunden und Wohlgefallen erlangt beim HERRN.
36 Aber wer mich verfehlt, schädigt sich selbst; alle, die mich hassen, lieben den Tod.
(Sprüche 8,1-36 nach der Zürcher)

Das ganze achte Kapitel der Sprüche enthält eine Rede der Weisheit. Die Personifikation der Weisheit wird in diesem Kapitel auf die Spitze getrieben. Überall hört man die Weisheit rufen, auf Bergen und an Wegen steht sie und ruft den Menschen zu. Scheinbar hört ihr kaum jemand zu und so spricht die niedersten Instinkte an.
Weisheit gewährt den Menschen die sich auf sie einlassen alles was das Herz begehrt, in erster Linie Geld und Macht. Könige regieren durch Weisheit und sie ist vor allem deshalb kostbarer als Silber und Gold weil sie bei weiterem Erwerb von Besitz hilft.
Ich finde diese Beschreibung seltsam und sie wirft mich auf eine Frage, die ich mir immer wieder stelle wenn ich das Alte Testament lese: Wieso ist es so diesseitig? Vieles geht um materiellen Segen und Äußerlichkeiten. Der Schwerpunkt des Neuen Testamentes liegt mehr auf dem inneren, der des Alten Testamentes mehr auf dem äußeren Leben.
Vielleicht macht die Weisheit ein Lockangebot, wenn man erst einmal mit ihr anfängt und das Potential zu Reichtum und Ehre hat, wird man so verändert, dass es einen nicht mehr interessiert. Mir ist das selbst schon öfter so gegangen. Je mehr Einfluss ich haben kann, umso weniger interessiert er mich. Je berühmter ich werden kann umso weniger ist mir daran gelegen. Ist das eine Folge der Weisheit, dass sie das Bedürfnis nach dem wegbrennt was sie verspricht?
Ich kann diese Verse nicht so verstehen und tendiere eher dahin, dass es so gemeint ist, wie es da steht. Es stimmt ja auch: Was wir über das Leben und Lebenskunst gelernt haben, kann man in klingende Münze umtauschen. Ich hoffe nur, dass jeder Weisheitsaspirant die innere Freiheit von äußerlichen Dingen empfängt um Weisheit in Gottes Sinne zu nutzen…

[systematisch durch die Bibel]

Gott wirkt und indem er wirkt, redet er auch. Sein Wort ergeht. Und es kann wohl de facto, aber nie und nirgends de jure überhört werden.1

Wie schon das letzte Zitat stammt auch dieses aus der zweiten Vorlesung der Einführung in die evangelische Theologie, „Das Wort“. Mir beantwortet die Unterscheidung zwischen de facto (tatsächlich, faktisch) und de jure (dem Rechte nach) eine interessante Frage: Wie kann Gott jemanden richten, der sein Wort nicht gehört hat? Gibt es da eine Grundlage oder hat selbst das Endgericht willkürliche Züge? Paulus schreibt im zweiten Kapitel des Römerbriefes einiges darüber dass auch Menschen etwas von Gott wahrnehmen, die keine Juden oder Christen sind, im Grunde beantwortet das die Frage. Dennoch ist der Hinweis auf den Unterschied zwischen einer faktischen Wahrnehmung und den juristischen Konsequenzen interessant.

Der deutsche Volksmund drückt es einfacher aus als der schweizer Theologe: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Wir schaffen keine Grundlage für Gericht wenn wir predigen, wir machen den Menschen eine Richtung klar, die sie unbewusst gehen. Wir ziehen den Schleier vor den Konsequenzen ihres Handelns weg. Das ist ein enormer Unterschied. Ich dachte früher, dass meine Predigt die Grundlage für Gericht bilden würde. Niemand, der eine evangelistische Predigt gehört hat, kann danach behaupten, nichts gewusst zu haben. Das hat mich (zumindest theoretisch) in einen Gewissenskonflikt gebracht: Ist es nicht besser nicht zu predigen und damit dem Gericht die Grundlage zu entziehen? Mit Karl Barth: Nein, denn wo wir dem Menschen die Möglichkeit nehmen Gottes Wort de facto zu überhören, kann er gerettet werden; verdammt ist er de jure ohnehin. Wir bieten eine Chance.

[mehr über Karl Barth]

  1. Barth, Karl (1985): Einführung in die evangelische Theologie. 3. Aufl. Zürich: Theolog. Verl, S. 27 []
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