Der heutige Post setzt diesen fort.
Wie man eine Bewegung beurteilt oder welchen Schaden bzw. Nutzen sie hat, hängt nicht zuletzt davon ab, wie man nah man ihr inhaltlich steht. Die Wahrnehmung verläuft dabei in enger werdenden Kreisen, die zur Mitte hin eine immer größere Trennschärfe aufweisen. Dabei gilt natürlich, dass man auf jeder Wahrnehmungsebene Schaden begrenzen und Nutzen maximieren kann. Dieses Prinzip ist allgemein gültig und lässt sich nicht nur auf die vorliegende Diskussion anwenden. Ich halte folgende Kreise für wichtig.
1) Für jemand, der total von außen kommt, den innerchristlichen Dialog nicht verfolgt und eventuell Atheist ist, wirkt die ganze Sache nur skurril. Vor einem Jahr hatten wir die Diskussion wegen Lakeland und Todd Bentley und aus der Zeit gibt es einige Beispiele dafür, wie eine solche Debatte beurteilt wird. Dieser Post taucht noch immer in meinen Statistiken auf und ist der, der mir aus der Ecke am lebendigsten in Erinnerung geblieben ist.
2) Für jemanden, der einer anderen Religion angehört und unsere Diskussionen sieht, wirken wir vermutlich mindestens uneins. Die meisten Dinge die uns beschäftigen werden wohl als skurril wahrgenommen. Ich habe keine Beispiele dafür und schließe es einfach daraus, wie ich selber islamische Theologie und die (teilweise auch noch militanten) Kämpfe zwischen den dortigen Lagern wahrnehme.
3) Die dritte Ebene ist interessanter, denn hier beginnt der innerchristliche Dialog. Wie Außenstehende uns wahrnehmen ist nicht so entscheidend. Es dürfte immer schwer sein, jemandem der nicht an (unseren) Gott glaubt zu vermitteln, warum uns diese Fragen beschäftigen. Für den innerchristlichen Dialog habe ich zwei Beiträge aus dem Netz gefischt, die mich wirklich nachdenklich machen. Die Welt schrieb in ihrer online-Ausgabe am 19.April 2009 über den vorgezogenen und recht umstrittenen Jahresbericht der Beratungsstelle Sekteninfo NRW. In dem Artikel wird WuG in Essen namentlich erwähnt:
Für ihre Aufklärungsarbeit solche Aktivitäten [storch: scientology] betreffend wird der Sekteninfo allseits applaudiert. Umstrittener ist ihr Engagement gegenüber radikalcharismatischen Freikirchen. Aus deren Umfeld wandten sich 2008 rund 70 Menschen zur mehrfachen Beratung an die Experten (2004 waren es 20). Am häufigsten ging es dabei um die Gemeindegruppe „Wort und Geist“, die in Essen mit einer Kirche vertreten ist. Vor ihr warnt die Sekteninfo – nicht weil „Wort und Geist“ an die spontane Führung durch den heiligen Geist glaubt (wie alle charismatischen Gemeinden), sondern wegen anderer Glaubenssätze, die dort kursieren.
So lehrt die Gemeinde, Gott habe für seine Jünger ein Leben ohne Krankheit, Schmerz und Sünde vorgesehen, und gläubige Christen könnten dies auch erfahren. Derartige Überzeugungen können die Selbstwahrnehmung schmerzhaft verbiegen, warnen die Sektenexperten. Denn wer als radikalcharismatischer Christ trotzdem erkrankt, Schmerz spürt oder sündigt – der droht sein Glaubensleben für fehlerhaft oder falsch zu halten.
Und so werden immer wieder Fälle charismatischer Christen bekannt, die von Schuldkomplexen geplagt wurden, weil sie die Ursache ihrer Schwäche oder Krankheit bei sich selbst und in ihrem Kleinglauben gesucht haben. Wohlgemerkt: Laut Sekteninfo-Berater Christoph Grotepass ist „nicht die charismatische Bewegung an sich das Problem, sondern eine bestimmte Ausrichtung“.
Dennoch klagen radikale Charismatiker, solche Berichte diffamierten. Nur weil wenige Gläubige falsche Konsequenzen aus den Dogmen zögen, seien ja nicht zwingend die Glaubenssätze falsch. Vielleicht seien nur die Betroffenen zu labil und würden auch jeden anderen Glauben als Last empfinden? Solche Einwände umgeht der Jahresbericht der Sekteninfo.
Der Artikel ist wirklich lesenswert, weil er meine These absolut stützt. Es gibt eine Diskussion darüber, ob die Kriterien des Sekteninfo NRW korrekt gesetzt sind und es wird gezeigt, dass die Begriffe mindestens schwierig sind. Im innerchristlichen Dialog geht man oft von diesen „radikalcharismatischen“ Gruppierungen aus und stellt sie als repräsentativ für die ganze Bewegung dar. Ich mag in dem Zusammenhang das Zitat von Herrn Grotepass: „nicht die charismatische Bewegung an sich das Problem, sondern eine bestimmte Ausrichtung“.
Die meiste Kritik an Wort und Geist sehe ich in einem Lager beheimatet, dass diese Unterscheidung nicht macht, sondern nur zwischen „charismatisch“ und „bibeltreu“ differenziert. Ich empfinde schon die Unterscheidung als polemisch. Der Widerspruch ist konstruiert; ich empfinde und bekenne mich zu beidem. Geht man näher ran, erkennt man, dass es erhebliche Unterschiede gibt zwischen den „Radikalcharismatikern“ und den „Charismatikern“ (wobei selbst dieser Begriff schon schwierig ist). Bevor ich darauf eingehe, möchte ich aber noch den Bericht selber zitieren, der sich leider eher undifferenziert zeigt:
An 2. Stelle der Beratungsfälle steht der Bereich der fundamentalistischen Gruppen. [storch: als Nummer 1 nennt der Bericht den Bereich der Esoterik] Hier ist im Vergleich der letzten fünf Jahre ebenfalls ein stetiger Zuwachs zu verzeichnen. Entgegen der These, die biblische Botschaft sei nicht mehr zeitgemäß, ist eine stetig wachsende Bereitschaft zu einem wörtlichen Bibelverständnis und einer konservativen restriktiven Wertehaltung zu beobachten. Die Identifizierung mit einer Lehre, die sich kompromisslos an traditionellen Glaubensgrundsätzen orientiert, entspringt einem starken Bedürfnis nach Halt und Sicherheit. Eine Persönlichkeit, die sich zu einer fundamentalistischen Gruppe hingezogen fühlt, will sich nicht auseinandersetzen, sondern sucht die absolute Wahrheit und Gewissheit. Die 70 Fälle verteilen sich auf 25 unterschiedliche Gemeinden. Eine auffällig hohe Anzahl von Beratungsfällen betraf allerdings die Gemeinde „Wort und Geist“, die auch in Essen vertreten ist. Ein Kennzeichen der Gemeinde ist, dass sie die Glaubensüberzeugung der Pfingstgemeinden mit modernem amerikanischen Erfolgsdenken und Geschäftssinn kombinieren. Es werden u. a. Seminare angeboten unter dem Motto „Mit Gott bist Du unschlagbar!“
Hier zeigt sich zunächst, dass die Zahl der Beratungen nicht wirklich hoch ist. „Die auffällig hohe Zahl“ ist nicht näher beziffert und kann so zwischen 3 und 35 liegen. Natürlich sind das in einer Region wie NRW, die keine Hochburg von WuG ist, schon beachtliche Zahlen. Es ist im Grunde beruhigend, dass sich Leute an staatliche Stellen wenden, wenn sie Probleme haben aus einer Religionsgemeinschaft, die ihnen schadet, herauszukommen. es ist aber kein Merkmal „pfingstlicher“ oder „fundamentalistischer“ Gruppen, dass ihre Mitglieder Sektenstellen aufsuchen. Von daher empfinde ich die Warnung als sehr undifferenziert.
Ich hoffe, dass es nicht zu sehr auf die ganze christliche oder auch nur charismatische Szene abfärbt, dass es solche Fälle gibt. Ich gehe davon aus, dass sie in allen Systemen und Gruppen vorkommen.
4) der enge Blick. Wer noch näher ran geht wird feststellen, dass es nicht das pfingstliche Gedankengut oder die Anteile der Glaubensbewegung sind, die problematisch sind. Bereits in ihrer Ausgabe 6|2006 berichtete dran von den Spannungen zwischen der Glaubensbewegung und Wort und Geist. Helmut Bauer und Karl Pilsl, der damals noch dabei war, hatten zwar beide die rhema-Bibelschule absolviert, die Ordination wurde aber später wieder aberkannt und rhema ging auf Distanz. Diese Distanz bestand natürlich beiderseitig.
Es ist also zu einfach, wenn man Kenneth Hagin (den Gründer von rhema) mit Helmut Bauer gleichsetzt. Überdies stammen die ersten Gegenstatements, die es um 2006 herum gab, aus dem charismatischen Lager oder der Glaubensbewegung. Letztlich ist es Geschmacksache, wo man das Raster ansetzt. Wohlstandsevangelium kann sich auf Hagin beziehen, aber auch auf Calvin. Man findet selbstverständlich Röhrnbacher Wurzeln in Jesus und Luther – sollte man deswegen die beiden ablehnen? Sicher nicht.
Ich schätze Kenneth Hagin sehr, ich meine, dass das sicherlich aus vielen Einträgen hier hervorgeht. Er war ein integerer Mann Gottes. Vielleicht stimme ich mit manchem nicht überein, was er lehrte, aber was soll´s? Ich stimme auch mit manchen nicht überein, was Luther oder Augustinus lehrten und schätze dennoch auch diese beiden. Hagin hatte die Einheit des Leibes als hohe Priorität, er sprach nicht schlecht über andere und vermittelte in vielem eine Liebe, die mir bei WuG fehlt. Als größtes irritierendes Merkmal der Röhrnbacher Bewegung habe ich immer den Zynismus gegenüber dem Leib Jesu empfunden. Bis heute kenne ich kaum eine Bewegung die so schlecht über ihre Geschwister spricht. Das ist für mich ein entscheidendes Merkmal, die Nähe mancher Äusserungen zur Glaubensbewegung oder Charismatik ist es nicht.
Es zeugt von mangelnder Differenzierung wenn man alle in einen Topf wirft. Lasst uns lieber nicht von weit weg auf die Bewegung schauen sondern einen nahen Blick riskieren. Die ewigen Anfeindungen gegen die charismatische Szene nerven ohnehin gewaltig.
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