12. Juli 2009 8
WuG: Trennschärfe in der Beurteilung
Der heutige Post setzt diesen fort.
Wie man eine Bewegung beurteilt oder welchen Schaden bzw. Nutzen sie hat, hängt nicht zuletzt davon ab, wie man nah man ihr inhaltlich steht. Die Wahrnehmung verläuft dabei in enger werdenden Kreisen, die zur Mitte hin eine immer größere Trennschärfe aufweisen. Dabei gilt natürlich, dass man auf jeder Wahrnehmungsebene Schaden begrenzen und Nutzen maximieren kann. Dieses Prinzip ist allgemein gültig und lässt sich nicht nur auf die vorliegende Diskussion anwenden. Ich halte folgende Kreise für wichtig.
1) Für jemand, der total von außen kommt, den innerchristlichen Dialog nicht verfolgt und eventuell Atheist ist, wirkt die ganze Sache nur skurril. Vor einem Jahr hatten wir die Diskussion wegen Lakeland und Todd Bentley und aus der Zeit gibt es einige Beispiele dafür, wie eine solche Debatte beurteilt wird. Dieser Post taucht noch immer in meinen Statistiken auf und ist der, der mir aus der Ecke am lebendigsten in Erinnerung geblieben ist.
2) Für jemanden, der einer anderen Religion angehört und unsere Diskussionen sieht, wirken wir vermutlich mindestens uneins. Die meisten Dinge die uns beschäftigen werden wohl als skurril wahrgenommen. Ich habe keine Beispiele dafür und schließe es einfach daraus, wie ich selber islamische Theologie und die (teilweise auch noch militanten) Kämpfe zwischen den dortigen Lagern wahrnehme.
3) Die dritte Ebene ist interessanter, denn hier beginnt der innerchristliche Dialog. Wie Außenstehende uns wahrnehmen ist nicht so entscheidend. Es dürfte immer schwer sein, jemandem der nicht an (unseren) Gott glaubt zu vermitteln, warum uns diese Fragen beschäftigen. Für den innerchristlichen Dialog habe ich zwei Beiträge aus dem Netz gefischt, die mich wirklich nachdenklich machen. Die Welt schrieb in ihrer online-Ausgabe am 19.April 2009 über den vorgezogenen und recht umstrittenen Jahresbericht der Beratungsstelle Sekteninfo NRW. In dem Artikel wird WuG in Essen namentlich erwähnt:
Für ihre Aufklärungsarbeit solche Aktivitäten [storch: scientology] betreffend wird der Sekteninfo allseits applaudiert. Umstrittener ist ihr Engagement gegenüber radikalcharismatischen Freikirchen. Aus deren Umfeld wandten sich 2008 rund 70 Menschen zur mehrfachen Beratung an die Experten (2004 waren es 20). Am häufigsten ging es dabei um die Gemeindegruppe „Wort und Geist“, die in Essen mit einer Kirche vertreten ist. Vor ihr warnt die Sekteninfo – nicht weil „Wort und Geist“ an die spontane Führung durch den heiligen Geist glaubt (wie alle charismatischen Gemeinden), sondern wegen anderer Glaubenssätze, die dort kursieren.
So lehrt die Gemeinde, Gott habe für seine Jünger ein Leben ohne Krankheit, Schmerz und Sünde vorgesehen, und gläubige Christen könnten dies auch erfahren. Derartige Überzeugungen können die Selbstwahrnehmung schmerzhaft verbiegen, warnen die Sektenexperten. Denn wer als radikalcharismatischer Christ trotzdem erkrankt, Schmerz spürt oder sündigt – der droht sein Glaubensleben für fehlerhaft oder falsch zu halten.
Und so werden immer wieder Fälle charismatischer Christen bekannt, die von Schuldkomplexen geplagt wurden, weil sie die Ursache ihrer Schwäche oder Krankheit bei sich selbst und in ihrem Kleinglauben gesucht haben. Wohlgemerkt: Laut Sekteninfo-Berater Christoph Grotepass ist „nicht die charismatische Bewegung an sich das Problem, sondern eine bestimmte Ausrichtung“.
Dennoch klagen radikale Charismatiker, solche Berichte diffamierten. Nur weil wenige Gläubige falsche Konsequenzen aus den Dogmen zögen, seien ja nicht zwingend die Glaubenssätze falsch. Vielleicht seien nur die Betroffenen zu labil und würden auch jeden anderen Glauben als Last empfinden? Solche Einwände umgeht der Jahresbericht der Sekteninfo.
Der Artikel ist wirklich lesenswert, weil er meine These absolut stützt. Es gibt eine Diskussion darüber, ob die Kriterien des Sekteninfo NRW korrekt gesetzt sind und es wird gezeigt, dass die Begriffe mindestens schwierig sind. Im innerchristlichen Dialog geht man oft von diesen „radikalcharismatischen“ Gruppierungen aus und stellt sie als repräsentativ für die ganze Bewegung dar. Ich mag in dem Zusammenhang das Zitat von Herrn Grotepass: „nicht die charismatische Bewegung an sich das Problem, sondern eine bestimmte Ausrichtung“.
Die meiste Kritik an Wort und Geist sehe ich in einem Lager beheimatet, dass diese Unterscheidung nicht macht, sondern nur zwischen „charismatisch“ und „bibeltreu“ differenziert. Ich empfinde schon die Unterscheidung als polemisch. Der Widerspruch ist konstruiert; ich empfinde und bekenne mich zu beidem. Geht man näher ran, erkennt man, dass es erhebliche Unterschiede gibt zwischen den „Radikalcharismatikern“ und den „Charismatikern“ (wobei selbst dieser Begriff schon schwierig ist). Bevor ich darauf eingehe, möchte ich aber noch den Bericht selber zitieren, der sich leider eher undifferenziert zeigt:
An 2. Stelle der Beratungsfälle steht der Bereich der fundamentalistischen Gruppen. [storch: als Nummer 1 nennt der Bericht den Bereich der Esoterik] Hier ist im Vergleich der letzten fünf Jahre ebenfalls ein stetiger Zuwachs zu verzeichnen. Entgegen der These, die biblische Botschaft sei nicht mehr zeitgemäß, ist eine stetig wachsende Bereitschaft zu einem wörtlichen Bibelverständnis und einer konservativen restriktiven Wertehaltung zu beobachten. Die Identifizierung mit einer Lehre, die sich kompromisslos an traditionellen Glaubensgrundsätzen orientiert, entspringt einem starken Bedürfnis nach Halt und Sicherheit. Eine Persönlichkeit, die sich zu einer fundamentalistischen Gruppe hingezogen fühlt, will sich nicht auseinandersetzen, sondern sucht die absolute Wahrheit und Gewissheit. Die 70 Fälle verteilen sich auf 25 unterschiedliche Gemeinden. Eine auffällig hohe Anzahl von Beratungsfällen betraf allerdings die Gemeinde „Wort und Geist“, die auch in Essen vertreten ist. Ein Kennzeichen der Gemeinde ist, dass sie die Glaubensüberzeugung der Pfingstgemeinden mit modernem amerikanischen Erfolgsdenken und Geschäftssinn kombinieren. Es werden u. a. Seminare angeboten unter dem Motto „Mit Gott bist Du unschlagbar!“
Hier zeigt sich zunächst, dass die Zahl der Beratungen nicht wirklich hoch ist. „Die auffällig hohe Zahl“ ist nicht näher beziffert und kann so zwischen 3 und 35 liegen. Natürlich sind das in einer Region wie NRW, die keine Hochburg von WuG ist, schon beachtliche Zahlen. Es ist im Grunde beruhigend, dass sich Leute an staatliche Stellen wenden, wenn sie Probleme haben aus einer Religionsgemeinschaft, die ihnen schadet, herauszukommen. es ist aber kein Merkmal „pfingstlicher“ oder „fundamentalistischer“ Gruppen, dass ihre Mitglieder Sektenstellen aufsuchen. Von daher empfinde ich die Warnung als sehr undifferenziert.
Ich hoffe, dass es nicht zu sehr auf die ganze christliche oder auch nur charismatische Szene abfärbt, dass es solche Fälle gibt. Ich gehe davon aus, dass sie in allen Systemen und Gruppen vorkommen.
4) der enge Blick. Wer noch näher ran geht wird feststellen, dass es nicht das pfingstliche Gedankengut oder die Anteile der Glaubensbewegung sind, die problematisch sind. Bereits in ihrer Ausgabe 6|2006 berichtete dran von den Spannungen zwischen der Glaubensbewegung und Wort und Geist. Helmut Bauer und Karl Pilsl, der damals noch dabei war, hatten zwar beide die rhema-Bibelschule absolviert, die Ordination wurde aber später wieder aberkannt und rhema ging auf Distanz. Diese Distanz bestand natürlich beiderseitig.
Es ist also zu einfach, wenn man Kenneth Hagin (den Gründer von rhema) mit Helmut Bauer gleichsetzt. Überdies stammen die ersten Gegenstatements, die es um 2006 herum gab, aus dem charismatischen Lager oder der Glaubensbewegung. Letztlich ist es Geschmacksache, wo man das Raster ansetzt. Wohlstandsevangelium kann sich auf Hagin beziehen, aber auch auf Calvin. Man findet selbstverständlich Röhrnbacher Wurzeln in Jesus und Luther – sollte man deswegen die beiden ablehnen? Sicher nicht.
Ich schätze Kenneth Hagin sehr, ich meine, dass das sicherlich aus vielen Einträgen hier hervorgeht. Er war ein integerer Mann Gottes. Vielleicht stimme ich mit manchem nicht überein, was er lehrte, aber was soll´s? Ich stimme auch mit manchen nicht überein, was Luther oder Augustinus lehrten und schätze dennoch auch diese beiden. Hagin hatte die Einheit des Leibes als hohe Priorität, er sprach nicht schlecht über andere und vermittelte in vielem eine Liebe, die mir bei WuG fehlt. Als größtes irritierendes Merkmal der Röhrnbacher Bewegung habe ich immer den Zynismus gegenüber dem Leib Jesu empfunden. Bis heute kenne ich kaum eine Bewegung die so schlecht über ihre Geschwister spricht. Das ist für mich ein entscheidendes Merkmal, die Nähe mancher Äusserungen zur Glaubensbewegung oder Charismatik ist es nicht.
Es zeugt von mangelnder Differenzierung wenn man alle in einen Topf wirft. Lasst uns lieber nicht von weit weg auf die Bewegung schauen sondern einen nahen Blick riskieren. Die ewigen Anfeindungen gegen die charismatische Szene nerven ohnehin gewaltig.
Achti schrieb am
12. Juli 2009 um 08:25Danke für weitere Klärungen und Differenzierungen.
storch schrieb am
12. Juli 2009 um 08:33tut ja leider Not. Hey, ich verfolg dich jetzt auf twitter!
nasumi schrieb am
12. Juli 2009 um 13:59Danke für deine differenzierten Ausführungen. Ich hatte bisher mit dem Thema keine Berührungspunke und mag deine vermeintlich objektive Rangehensweise daher sehr!
Stefan Korth schrieb am
12. Juli 2009 um 14:04Klasse. ich habe selber nur am Rande von W+G mitbekommen, bin selber nie da gewesen, kenne aber Leute, die es waren, Statements und Einflüsse. Auch wenn ich mit theologisch so nie einen Reim machen konnte und wollte, war, was mich zu sehr abstieß, eben die von dir genannte Tatsache, dass ich wenig Positives aus dem Munde der W+G Anhänger zu hören bekam. Sie schafften es, biblische Wahrheit mir so zu verkaufen, dass ich anfing, daran zu zweifeln -nicht, weil ich der Bibel nicht traue, sondern, wie du so schön im letzten Beitrag geschrieben hast, einfach zu viel weglassen, sodass die Aussagen, ansich richtig, plötzlich undifferenziert und falsch erscheinen. Gefährlich, finde auch ich, denn das bewirkt den bekannten „Kind mit dem Bade auskipp“ Effekt.
Auch der Konfrontationsweg, den viele wählten, scheint mir wenig jesusmäßig. Ich finde, ein positives Gegenbeispiel, wie man Gemeinde Machen kann, ist die Vineyard: obwohl sie eindeutig Charismatisch, fundamental biblisch und heilungsfixiert (ich übertreibe…) ist, kann sich fast jede Domination mit ihr anfreunden: die Evangelikalen loben die biblisch fundierte Ausrichung, die Charismatiker sehen den Schwerpunkt in Geistesgaben, etc. Und die Vineyard selber hat nie versucht, sich von anderen Gemeinden abzugrenzen, sondern wr immer um die Ausgewogenheit bemüht: Charismatisch ja, aber Liebe ist wichtiger. Heilung ja, aber wenn nichts passiert, dann beten wir halt weiter, machen aber keine Vorwürfe. Auch die Jünger konnten nicht jeden heilen… Die Vineyard ist eher das, was W+G vorgibt zu sein: eine Gemeinde, die weltweit Gemeinden geprägt hat. Und das nicht nur durch ihre Lieder, sondern weil z.B. John Wimber einen offenen Dialog geführt, Fehler offen eingesehen und auch mal die Richtung der Gemeinde gewechselt hat, wenn man auf der falschen Fährte war. Neue geistliche Einsichten wurden nicht exklusiv beansprucht, sondern wie „Give-Aways“ weitergegeben, sodass andere Gemeinden sich ihrer bedienen und ihre eigene Gemeindequalität verbessern konnten, ohne damit zu einer Vineyard zu werden.
Ich bin parteiisch, weil ich in der Vineyard bin (wobei die Freaks wohl auch deutlich Spuren der Vineyard haben), aber es ist gerade das oben beschriebene, was mich an ihr so fasziniert, und ich kann mich des Eindrucks nicht erwähren, dass W+G sowas wie die Anti-Vineyard ist… wenn es denn sowas gibt…
Metalmarkus schrieb am
12. Juli 2009 um 16:13Die Kritik der W+Gler an anderen Christen kennt wirklich keine Grenzen mehr.
Und Menschen die nicht die Reife haben, für eine scharfe Trennung der guten und schlechten Sachen dort, sollten sich mit dem Thema nicht beschäftigen.
Ich persönlich werde mich weiterhin damit beschäftigen, nicht nur mit W+G als Gemeinde, sondern auch mit dem Wandel in ihrer Theologie.
z.B. wird mitlerweile auch wieder zugegeben, das der Heilige Geist einen an Sünden erinnert, und sagt das man umkehren soll. sehr interessant, irgendwann muss, wenn die das echt leben was sie sagen, es sich einfach so ergeben das es wieder ins Echte kommt, oder total aus der Bahn gerät. Ich sehe das innerhalb der W+G Theologie gerade beides Gleichzeitig sich vollzieht.
eine Kurze Frage:
Warum sollte man sich überhaupt mit der Theologie von ihnen beschäftigen?
gibt es nicht genug alternativen dazu?
von einer echten Symbiose zwischen „Leben im Geist“, und „Ich in Christus“?
(Ich sehe diese Symbiose nicht bei Wordoffaith)
Wenn ja Wo gibt es sie, ganz neutral gefragt. Ich möchte in diesem Thema weiterkommen, aber wo gibt es wirklich gelebte Alternativen, ohne die W+G überhöhungen?
storch schrieb am
12. Juli 2009 um 18:32@ metalmarkus:
es gibt keinen grund sich mit „ihrer theologie“ zu beschäftigen. seit ich hier darüber gebloggt habe, habe ich noch ein bisschen WuG-predigtmaterial geschickt bekommen und das war nur absurd. weil zitate vermehrt mit rechtsklagen bedroht werden, zitiere ich mal nichts (obwohl ich nicht ernsthaft glaube, dass man mit solchen lagen durchkommt). es ist aber auch nichts neues dabei. bei manchen gnostischen sachen muss man zwar bis in die patristik zurückgehen, weil die gemeinde jesu solche diskussionen eigentlich hinter sich gelassen hat, aber man wird auch da fündig.
ich halte den quell für zu unsauber um daraus zu trinken.
alternativen gibt es viele. bei glaubenstheologie würde ich mal direkt bei kenneth hagin anfangen oder vielleicht bei andrew wommack, der ist noch etwas moderner. ein guter ansatzpunkt ist auch mein blog 🙂 hier steht einiges über diese themen.
@ stefan: den vergleich mit vineyard finde ich gut. ich sehe das auch so und schätze vineyard sehr. besonders auch john wimber ist ein echtes vorbild. auch über seinen tod hinaus ein vater im glauben.
@ nasumi: einer der gründe, aus denen ich nicht viel über das thema gebloggt habe (und wenn, dann seher verklausuliert) ist genau das: ich möchte eigentlich niemanden darauf hinweisen und der gruppe damit mehr aufmerksamkeit geben als sie so schon haben.
mein blog ist auch nicht der beste startpunkt um in die diskussion einzusteigen. richtet sich eher an leute, die schon drin sind. youtube ist ein besser startpunkt, denn da gibt es o-töne in komprimierter form.
Jocky schrieb am
13. Juli 2009 um 15:07Danke für den wieder mal sehr guten Beitrag!
Stefan Korth schrieb am
14. Juli 2009 um 00:58Irgendwo hatte ich gelesen, dass über kurz oder Lang die WuGler ihren Irrtum erkennen werden, und dann würden viele Leute mit zerbrochenem gemüt und Herzen aufgefangen werden müssen… hmm
mich nimmt das alles gerade ziemlich mit, nachdem mir klar geworden ist, wie viele meiner Freunde schon da mit drin stecken, und wie viel Schaden das alles schon angerichtet hat. Ich befürchte allerdings, dass es kein Ende mit Schrecken geben wird, die Zeugen Jehovas haben ihren Prachtbau direkt neben meinem Shop errichtet, nehmen mir nun die Sicht auf den Funkturm gänzlich, seit die zweite Etage aufgestock wurde, und machen mir damit allzu schmerzlich klar, dass Irrglaube und Sektierertum nicht alleine deshalb zugrunde gehen, weil sie falsch liegen… gerade das „Sekte sein“ kann eine Gruppe unheimlich zusammen schweissen, und den Vorwurf der Sekte hatten ja auch die Freaks schon öfter gehört, sodass die allermeisten sich eben nur mal wieder in einer Vorreiterrolle sehen werden… ich würde gerne daran glauben können, dass irgendwann die Leute merken, dass sie aus der Liebe gefallen und leicht vom Weg abgekommen sind, aber das wird viel, viel, viel Gebet brauchen…
Bin traurig.