In der Predigtreihe über die Tugenden, und auch der Predigt über Sex, ist immer wieder die Frage nach dem richtigen Handeln angeklungen, die Frage nach Ethik. Diesem Thema möchte ich mich heute etwas detaillierter widmen und die Frage nach dem richtigen Handeln etwas philosophisch angehen und schauen, was wir als Christen von der Philosophie lernen können und wie die Bibel manchmal Philosophie auslegt.
Die Frage, wie man sich richtig verhält ist im Grunde so alt wie die Menschheit, oder präziser gesagt: So alt wie die Menschheit nach dem Sündenfall. In 1.Mose 3,5 wird deutlich, dass Gott nie gewollt hat, dass seine Menschen den Unterschied zwischen gut und böse kennen. Das wäre auch nicht nötig gewesen, denn im Grunde sollte der Mensch ohne das Böse leben, wovon hätte er dann das Gute überhaupt unterscheiden sollen? Gott wusste, dass in einer vollkommenen Welt die Frage nach dem moralisch richtigen Handeln überflüssig ist und auch, dass kein Mensch ganz glücklich ist, der sich mit dieser Frage quälen muss. Die Unterscheidung zwischen Gut und Böse ist schwer und die moralische Verantwortung, die er übernehmen muss, macht dem Menschen schwer zu schaffen.
Das Angebot Gut und Böse zu erkennen ist also ein typisch Teuflisches: Hätten die ersten Menschen das Gebot nicht übertreten, wären sie gar nicht in die missliche Situation geraten Gutes von Bösem unterscheiden zu müssen. Nun leben wir aber in einer gefallenen, Gottes Ideal entfremdeten Welt und müssen mit dieser Tatsache leben – uns über die Konsequenzen unseres Handelns Gedanken machen . Es ist nicht einfach, damit zu leben, ständig vor die Wahl gestellt zu sein.
Der französische Philosoph Jean-Paul Sartre hat diese Schwierigkeit mit einem berühmten Satz zum Ausdruck gebracht: Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt.
Aristoteles
Weil die Notwendigkeit des ethischen Handelns so alt ist, sind auch die Überlegungen zum richtigen Handeln sehr alt. Sie finden ihren Niederschlag in den ältesten Gesetzessammlungen der Welt und in ihren zugrundeliegenden ethischen Philosophien . Einer der früheren ethischen Denker des Abendlandes war Aristoteles (384-322 v.Chr.). Für Aristoteles bedeutete ein tugendhaftes Leben, ein exzellenter Mensch zu sein. Das kann man nicht theoretisch sein, es ist eine praktische Aufgabe, die zudem noch das ganze Leben lang dauert. Man ist nicht einfach durch Geburt ein tugendhafter oder guter Mensch, man wird es durch Praxis. Darüber zu lesen und zu studieren bringt wenig, der Nutzen selbst der besten Bücher (also auch Aristoteles eigener „Nikomachischen Ethik“) ist begrenzt, sie können inspirieren, entheben uns aber nicht der Verpflichtung das Gelernte anzuwenden.
Eine Möglichkeit ethisch zu wachsen ist nach Aristoteles, tugendhaften Vorbildern zu folgen. Natürlich geht er auch darauf ein, was eine tugendhafte Person ist, aber im Grunde ist das für einen Philosophen ein seltsamer Tipp, denn er beantwortet nicht die Frage danach, was tugendhaft ist und wie man sich entsprechend verhält. Interessanterweise wirft diese Antwort aber ein Schlaglicht darauf, wie man als Christ lernt, sich gut zu verhalten. Wir folgen einem moralisch hochstehenden Vorbild. Für uns ist es gar keine Frage, wen wir uns suchen und wer uns in unserem Leben und Charakter weiterbringen kann. Die modernste Fassung dieses jahrtausende alten Tipps tragen vermutlich einige die diese Predigt hören oder lesen am Arm: WWJD – what would Jesus do?
Wir können tugendhaftes Verhalten am besten lernen indem wir dem tugendhaftesten Vorbild folgen, das überhaupt möglich ist: Jesus Christus. Für uns ist die Frage nach dem richtigen Verhalten im Grunde noch wichtiger oder schwieriger als für die Menschen ohne Jesus. Wir lernen einen Verhaltenskodex der sich nicht auf Werte dieser Welt stützt und somit oft nicht direkt aus der Erfahrung der Welt abzuleiten ist. Das Verhalten in Gottes Reich stellt oft die Regeln die man in der Welt lernt gerade auf den Kopf. Wir brauchen ein Vorbild, dass den Weg bereits gegangen ist und uns helfen kann, ihn ebenso zu gehen.
So verstanden liest sich Aristoteles fast wie die Hoffnung des Alten Testamentes. Irgendwann wird jemand kommen, dessen Vorbild so leuchtend ist, dass man ihm bedenkenlos folgen kann. Bei denen die Aristoteles auslegen gibt es verschiedene Vorschläge, wer diese Person ist, der man folgen und durch deren Nachahmung man lernen kann, sich tugendhafter zu verhalten. Ghandi wird an die Seite von Sokrates, Buddha oder Jesus gestellt. Es zeigt sich ein ungebrochenes Bedürfnis nach Leit- und Vorbildern. Wen man sich als Vorbild sucht wird viel mit der eigenen, nicht zuletzt religiösen Überzeugung zu tun haben. Für mich kommt nur Jesus Christus in Frage, auch wenn es andere Personen gibt deren Vorbild ich viel zu verdanken habe.
Immanuel Kant
Der Königsberger Philosoph Immanuel Kant hat sich viele Gedanken über Ethik gemacht. Er versuchte, einen allgemeingültigen Satz zu formulieren, der aller Ethik zu jeder Zeit und an jedem Ort zugrunde liegt. Dieser Satz taucht in seinen Werken in verschiedenen Formulierungen auf und wird als kategorischer Imperativ bezeichnet. Eine Fassung lautet:
„Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten)
Man kann Menschen benutzen. Das kommt so häufig vor, dass wir es oft gar nicht mehr merken, wenn wir benutzt werden. Leiter benutzen Menschen um ihre Visionen zu erfüllen, Gemeindeglieder benutzen Leiter um sich ihrer eigenen geistlichen und menschlichen Verantwortung zu entziehen. Niemand will so behandelt werden und doch fällt es und schwer, andere nicht so zu behandeln. Wir wollen gerne um unserer selbst willen geliebt werden und nicht nur um unserer Kraft, unseres Wissen oder anderer Eigenschaften willen.
Wenn wir Aristoteles folgen und auf das Vorbild Jesu schauen, was sehen wir dann? Wie sieht er Menschen? Oft unterstellen wir Gott dieselben Motive wie sterblichen Menschen; wir glauben, dass wir aus einem bestimmten Grund errettet sind und Gottes Gnade gewissermaßen abarbeiten müssen. Das Gegenteil ist der Fall. Petrus schrieb über unseren Preis:
18 Ihr wisst doch, dass ihr freigekauft worden seid von dem sinn- und ziellosen Leben, das schon eure Vorfahren geführt hatten, und ihr wisst, was der Preis für diesen Loskauf war: nicht etwas Vergängliches wie Silber oder Gold, 19 sondern das kostbare Blut eines Opferlammes, an dem nicht der geringste Fehler oder Makel war – das Blut von Christus. (1.Petrus 1,18-19 nach der NGÜ)
Das Wort „kostbar“ bedeutet, dass Jesu Blut extrem wertvoll ist. Da Jesus weit und breit das einzige fehlerlose Opfer war, kann man sagen, dass sein Blut nicht einfach wertvoll war sondern einzigartig. Einen höheren oder auch nur anderen Preis hätte niemand entrichten können. Jesus selbst illustriert das im Lukasevangelium:
7 »Angenommen, einer von euch hat einen Knecht, der ihm den Acker bestellt oder das Vieh hütet. Wenn dieser Knecht vom Feld heimkommt, wird dann sein Herr etwa als Erstes zu ihm sagen: ›Komm und setz dich zu Tisch!‹? 8 Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: ›Mach mir das Abendessen, binde dir ´einen Schurz` um und bediene mich! Wenn ich mit Essen und Trinken fertig bin, kannst auch du essen und trinken.‹? 9 Und bedankt er sich hinterher bei dem Knecht dafür, dass dieser getan hat, was ihm aufgetragen war? 10 Wenn ihr also alles getan habt, was euch aufgetragen war, dann sollt auch ihr sagen: ›Wir sind Diener, weiter nichts; wir haben nur unsere Pflicht getan.‹« (Lukas 17,7-10 nach der NGÜ)
Selbst wenn wir alles richtig machen und alles tun, was uns aufgetragen ist, machen wir uns nicht für Gott bezahlt. Niemand kann sagen, dass Gott einen Gewinn an ihm macht. Das ist auch weder nötig noch gefordert, wir sind eher Liebhaberobjekte. Gott hat uns nicht zu einem bestimmten Zweck erkauft sondern einfach aus Liebe, weil er mit uns Gemeinschaft haben will.
Wir sollten Menschen ebenso behandeln: Um ihrer selbst willen. Als ich letztes Mal gepredigt habe, ging es um Sex und das ist ein gutes Beispiel. Man kann Beziehungen in jeder Richtung – und eben auch körperlich – so leben, dass der andere Mittel zum Zweck wird. Dann benutze ich den anderen damit meine Bedürfnisse erfüllt werden. Das ist keine moralisch gute Vorgehensweise, das Ziel sollte sein, den anderen um seiner selbst willen zu lieben. Für dieses Prinzip kann man, gerade im Bereich von Beziehungen, leicht Beispiele finden. Sind meine nichtchristlichen Freunde wirklich meine Freunde, oder benutze ich die Beziehung nur um sie mit Jesus bekannt zu machen? Führe ich Diskussionen mit Menschen um Recht zu behalten und mein Selbstvertrauen daran aufzubauen, oder weil ich mich für mein Gegenüber interessiere?
Natürlich ist damit nicht alles gesagt, was man über Ethik sagen kann. Es ist nicht einmal alles damit gesagt, was Aristoteles und Immanuel Kant darüber gesagt haben. Aber schon diese beiden Schlaglichter liefern eine Mengen Anregungen, sich über unseren Umgang mit Menschen Gedanken zu machen.
[2010-08-27 Ethik]
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