Bonhoeffer leiht sich bei Kierkegaard einen Gedanken, der mich sehr anspricht; ein Bild, das einiges erklärt. Die Erkenntnis, dass man es nicht schaffen kann, vor Gott gerecht zu leben, ja, dass man es nicht einmal versuchen muss, steht am Ende des Kampfes nicht an dessen Anfang.
Wenn Faust am Ende seines Lebens erkennt, dass „wir nichts wissen können“, ist das etwas völlig anderes als wenn ein fauler Student mit dieser Erkenntnis seinen mangelnden Eifer zu erklären sucht. Wenn er sagt, dass lernen sich nicht lohnt weil man nichts wissen kann ist das etwas ganz anderes als bei Faust.
Bonhoeffer bringt diesen Gedanken in Bezug auf Martin Luther an:
Luther hatte gelehrt, dass der Mensch auch in seinen frömmsten Wegen und Werken vor Gott nicht bestehen kann, weil er im Grund immer sich selbst sucht.
(…)
Dass Gnade allein es tut, hatte Luther gesagt, und wörtlich so wiederholten es seine Schüler, mit dem einzigen Unterschied, dass sie sehr bald ausließen und nicht mitdachten und sagten, was Luther immer selbstverständlich mitgedacht hatte, nämlich die Nachfolge, ja, was er nicht mehr zu sagen brauchte, weil er ja immer selbst als einer redete, den die Gnade in die schwerste Nachfolge Jesu geführt hatte. ((Bonhoeffer, Dietrich; Kuske, Martin (2002): Nachfolge. 1. Aufl. der Taschenbuchausg. Gütersloh: Gütersloher Verl.-Haus (Gütersloher Taschenbücher, 455), S. 36))
Es gibt eine Art Luther zu zitieren, die seine Lehre im Endeffekt durchstreicht. Luther lebte und lehrte keine billige Gnade, er wird aber gerne benutzt um diese theologisch mit einem großen Namen zu legitimieren.
Hier zeigt sich ein weiteres Mal ein Prinzip, das auf diesem Blog immer wieder einmal thematisiert wurde: Die Biographie gibt einer Aussage erst den Rahmen in dem man sie verstehen kann. Viel schlechte Theologie ist entstanden wenn die Jünger nur die Worte ihres Meisters wiederholten und nicht sein Zeugnis. Smith Wigglesworth heilte manche Menschen indem er sie schlug. Seine Jünger versuchten dasselbe, aber die Kranken wurden nicht geheilt. Bei Kenneth Hagin liest man manche Extreme mit denen die Glaubensbewegung heute in Verbindung gebracht wird, nicht.
Gerade die Biographie Luthers machte seine Lehre verständlich, sie erklärt aber auch das Prinzip, dass man nicht etwas an den Anfang stellen darf, was ein Ende ist. Die Erkenntnis, es nicht zu schaffen führt am Ende eines Lebens zu Liebe und Demut, am Anfang führt sie zu Selbstbetrug. Ein anderes Beispiel ist die berühmte Aussage des Paulus in Galater 2,24: „nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir.“
Paulus sagte das am Ende seines Lebens. Wenn wir es an den Anfang setzen und behaupten, „dass Christus uns lebt“, ignorieren wir den lebenslangen Kampf des Apostels und behaupten etwas für uns, was wir noch nicht erkämpft haben. So wird eine geistliche Wahrheit zum reinen Bekenntnis, hinter dem nichts steht. Wir müssen lernen die Dinge an die richtigen Stellen auf der Zeitachse einzuordnen.
Am Ende noch mal den Kierkegaard-Gedanken als Originalzitat:
Wenn Faust am Ende seines Lebens in der Arbeit an der Erkenntnis sagt: „ich sehe, dass wir nichts wissen können“, so ist das Resultat, und etwas durchaus anderes, als wenn dieser Satz von einem Studenten im ersten Semester übernommen wird, um damit seine Faulheit zu rechtfertigen. (Kierkegaard) (Seite 38. Bonhoeffer selbst hat „als Resultat“ stark markiert).
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