Der Ursprung aller Dilemmata
In einem Radiofeature über die Unbefleckte Empfängnis Marias versucht sich der Theologe Matthias Remini an einer Definition der Erbsünde, die heute noch Sinn ergibt. „Das bedeutet, dass wir hineingestellt werden in Unheilszusammenhänge. Nehmen sie jetzt, also wir sprechen in einer Situation, wo die Welt debattiert, ob sie in Syrien eingreifen soll oder nicht. Sollen Bodentruppen geschickt werden oder nicht? Wenn sie sie nicht schicken, dann werden Zehntausende von Kurden sterben. Schicken sie sie, dann müssen sie sie ohne ein UNO-Mandat schicken. Also, was sie tut, es wird ein Fehler sein. […] Und genau das meint der Begriff der Erbsünde: Wie ich auch handle, ich komme nicht umhin, durch mein Handeln Folgen zu zeitigen, die Unheil mit sich bringen und ich selber bin in meiner Handlung und in meinem Dasein in Strukturen hineingestellt, die eben auch Unheil sind.“ (Finck 2014).
Erbsünde ist also das fundamentale und existenzielle Unvermögen des Menschen sich richtig zu verhalten. Mit dem klassischen Ansatz Augustins, dem zufolge die Sünde durch Geschlechtsverkehr, wie ein Virus, weitergegeben wird, bin ich an dieser Stelle nie ganz grün geworden, aber mit dieser modernen Erklärung kann ich sehr gut leben. Sie ist eine gute Umschreibung für einen Teil dessen, was Sünde für den Menschen bedeutet, nämlich das Unvermögen Gottes Maßstäbe zu erfüllen, gut zu sein oder sich auf eine Weise ethisch korrekt zu verhalten, die allen Seiten und Ansprüchen gerecht wird.
Dieses Unvermögen zur konsequenten Ethik hat Dietrich Bonhoeffer stark beschäftigt. Es ist greifbar in der Frage der Rechtfertigung des Tyrannenmordes. „Kirche muss in manchen Fällen auch bereit sein, Schuld auf sich zu nehmen, um schlimmere Schuld zu vermeiden […]. Bonhoeffer hat zwar sein Mitwissen, seine Teilnahme an der Planung des Tyrannenmordes nie gerechtfertigt. Auch der Tyrannenmord bleibt ein Mord und damit Schuld vor Gott. Aber auch der macht sich schuldig, der dem Treiben des Tyrannen nichts entgegensetzt und der sich nicht für das Leben der Opfer einsetzt. Es gibt also Situationen, in denen wir nur zwischen Schuld und Schuld wählen und auf einen gnädigen Gott hoffen können.“ (Krähenbühl 2012).
Wie ernst Bonhoeffer dieses Dilemma nahm, zeigt eine Unterhaltung mit seinem Schwager Hans von Dohnanyi „Jesu Wort ‚Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen‘, gilt das auch für uns?“ Bonhoeffer antwortete; „Ja, das gilt auch für uns. Wir müssen akzeptieren, dass wir diesem Gericht verfallen. Aber solcher Menschen bedarf es nun.“[1]
Auch wenn es heute um viel weniger geht, ist unser Dilemma durchaus vergleichbar – der Umgang der Kirche mit Homosexuellen, speziell mit homosexuellen Christen scheint keine Option zu lassen, in der wir uns nicht schuldig machen. Entscheidet man sich für eine biblizistische Herangehensweise und setzt darauf, homosexuelle Menschen und Glaubensgeschwister konsequent auszugrenzen, führt man damit einen jahrhundertealten Trend fort, durch den schreckliches Leid verübt wurde.
Nachdem das Christentum Staatsreligion wurde, wurden schnell Gesetze erlassen, die Homosexualität verboten. Wer dennoch bei „widernatürlichem Beischlaf“ erwischt wurde, endete nicht selten auf dem Scheiterhaufen. Diese Praxis brutaler Verfolgung fand im Dritten Reich nur ihren Höhepunkt, stand dort aber keinesfalls in Widerspruch zu dem, was immer schon Praxis war.
Man kann nicht auf die Geschichte zurückblicken, ohne zu spüren, dass wir uns schuldig gemacht haben. Wer heute weiterhin eine Politik der radikalen Abgrenzung verfolgt, die Homosexuellen den Zugang zur Gemeinde oder bestimmten Ämtern verwehrt, macht im alten Geist weiter. Hier hilft es nicht zu behaupten, dass wir die Sünde hassen, aber die Sünder lieben. Das, so habe ich oft von Betroffen gehört, wird als größte Lieblosigkeit empfunden.
Auf der anderen Seite steht die Bibel mit ihrer einhellig negativen Haltung gegenüber Homosexualität. Es gibt viele Versuche, diese Haltung zu relativieren oder ganz fortzudiskutieren. Allerdings konnte mich bislang kein Versuch wirklich überzeugen.
Den Prüfstein bildet ein einfaches Gedankenexperiment: Wäre es zurzeit König Davids möglich gewesen, dass sie zwei männliche Soldaten zusammen sind? Oder in der Gemeinde in Rom, als Paulus sie besuchen wollte? Wohl kaum. Das Argument dreht sich meist um eine Spielart der Ansicht, dass die Bibel sich nur gegen sexuelle Praktiken wendet, die auch Homosexuelle verabscheuen: Tempelprostitution, Pädophilie und erzwungener Sex. Obwohl die Bibel selbstverständlich gegen solche Praktiken ist, wäre es historisch naiv anzunehmen, dass Paulus nicht auch einvernehmlichen gleichgeschlechtlichen Sex kannte. In der Antike waren die griechischen und römischen Diskussionen zum Thema ähnlich komplex wie heute. Es gab weitgehend dieselben Ansichten zum Ursprung und dieselben Wertungen wie auch in unserer Gesellschaft.
Wenn man die Bibel ernst nimmt, muss man zugeben, dass sie Homosexualität als Sünde wertet.
Damit stehen wir in einem klassischen Dilemma. Entweder, wir machen weiter wie bisher – und versündigen uns wie gewohnt an Schwulen und Lesben – oder wir beschreiten neue Wege, auf denen wir uns an der traditionellen Interpretation der Bibel versündigen.
Hier zeigt sich das Problem der gefallenen Schöpfung und es ist schwer, einen Kompromiss vorzuschlagen. Die Lösung kann nicht darin bestehen biblische Aussagen anachronistisch umzuwerten, sondern unsere Haltung gegenüber dieser einen Sünde ebenso zu überdenken wie wir das auch bei zahllosen anderen getan haben, die ebenso in der Bibel stehen. So würde niemand mehr auf die Idee kommen eine Frau zu steinigen, die sich in der Hochzeitsnacht nicht mehr als Jungfrau erweist (5. Mose 22,13-21).
Ein erster Gedanke geht in Richtung Gewissensfreiheit. Jeder Mensch, egal welcher Orientierung muss sich selbst dafür entscheiden, wie er seine Sexualität auslebt. Es steht niemandem zu, für einen anderen zu entscheiden. Ebenso muss aber auch jeder Gemeinde das Recht zugebilligt werden, ihre eigenen Maßstäbe aufgrund ihrer biblischen Erkenntnis festzulegen.
Ein Konfliktgrund liegt darin, dass man heute auf beiden Seiten diese Eigenverantwortlichkeit nicht mehr zubilligen will. Die Homosexuellen versuchen zur Not mit rechtlichen Mitteln eine Freiheit zu erzwingen, die man ihnen nur freiwillig geben kann. Auf der anderen Seite sehen Christen es als ein Zeichen der Endzeit an, wenn sie diese Freiheit bekämen. Hier gibt es auf beiden Seiten Entspannungspotential.
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[1] http://cms.bistum-trier.de/bistum-trier/Integrale?MODULE=Frontend&ACTION=ViewPageView&Filter.EvaluationMode=standard&PageView.PK=31&Document.PK=86847. Zuletzt geprüft am 25.04.2015.
Quellen
Finck, Almut (2014): 1854 – Unbefleckte Empfängnis als Dogma. WDR 3 ZeitZeichen vom 08.12.2014.
Krähenbühl (2012): „Dein Reich komme … auch zu meinem Feind?“, wort+wärch 2012 – 02, Seite 8.
Zeitzeichen. Köln: WDR 3. Online verfügbar unter http://www.wdr3.de/programm/sendungen/wdr3zeitzeichen/pius100.html, zuletzt geprüft am 11.04.2015.
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