Ich muss gestehen, dass ich Dieter Nuhr nicht kenne. Eigentlich trifft das auf jeden Kabarettisten zu, denn das Genre liegt mir nicht besonders. Aber nun habe ich natürlich seine Islamkritik gesehen und möchte gern einmal einen Vergleich ziehen.
Ich bin Christ. Keiner von denen, die nur Weihnachten einen Gottesdienst besuchen, sondern einer von denen, die an Weihnachten einen Gottesdienst veranstalten. Als Christ verstehe ich, dass es einen nerven kann, wenn andere das in den Schmutz ziehen, was man glaubt. Es gäbe so vieles, was mich vermutlich an Nuhrs Programm nerven würde. Ich rolle jedes Mal die Augen, wenn ich in den zweifelhaften Genuss der Jesus-Comedy bei 1live komme. So ein Scheiß! Aber warum sollte ich sie deshalb verklagen? Ich lebe in Deutschland und kann meine Meinung frei äußern. Also: „1live Comedy ist ganz bitter. Humor ganz unten. Unterirdisches Niveau, schlecht gemacht. Pfui. Aber, liebes 1live, ihr habt jedes Recht, schlechte Comedy zu machen.“
Wie Voltaire versichere ich euch: „Ich bin nicht Eurer Meinung, aber ich werde darum kämpfen, dass Ihr Euch ausdrücken könnt.“
Genauso verstehe ich, dass es nervt, wenn man sich immer wieder erklären muss. Wenn Muslime sagen, dass Nuhr den wahren Islam nicht kennt, mag das sein. Aber geht es mir denn anders? Wie oft habe ich mich für Kreuzzüge erklären müssen, für Judenverfolgungen, die Hetze gegen Homosexuelle, die Enteignung der Donatisten, die Inquisition. Alles ist lange her, oft Jahrhunderte. Mit meinem Glauben hat es nichts, aber auch gar nichts zu tun. Trotzdem ist es in den Köpfen der Leute fest verankert. Man muss eben Überzeugungsarbeit leisten, wenn man eine Botschaft hat.
Als Jesus Freaks schrieben wir früher, dass wir erlebt haben, dass trotz all dieser schrecklichen Dinge an der Sache mit Jesus etwas Fantastisches dran ist. Also lasse ich es mir nicht verdrießen, es wieder und wieder zu erklären. Im Gegenteil, jeder, dessen Religion zu Gewalt geführt hat, muss sich von dieser distanzieren – auch wir Christen. Wie viel mehr trifft das dann auf diejenigen zu, deren Religion aktuell für Gräueltaten herhält?
Hätte ich jeden Komiker verklagt, der die Kirche beleidigt oder meinen Glauben verspottet, hätte ich keine Zeit mehr zum Beten gehabt! Aber ich habe es nicht. Satire hat in unserer Gesellschaft nämlich eine wichtige Funktion: Sie sagt auf lustige, beißende, spöttische Weise, was sich sonst niemand traut. Und davon profitieren wir alle, auch wenn wir uns manchmal nicht nur Lachtränen aus den Augen wischen müssen.
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