Habt endlich die Güte, wendet euch mir zu, ich lüge euch nicht ins Gesicht. (Hiob 6,28 nach der Einheitsübersetzung)
Es gibt viele Modelle, die Menschen in Schubladen einordnen. Populär sind dabei entweder zwei (Mann oder Frau, Christ oder Heide) oder vier (DISG oder in der Soziologie Talcott Parsons die AGIL-Kreuztabellen). Meiner Ansicht nach sind das meistens Plattheiten, die uns helfen sollen mit Komplexität umzugehen. Menschen brauchen Schemata, etwas was ihnen sagt, wer „in“ ist und wer „out“ und was ihnen hilft die welt zu sortieren und zu verstehen. Letztlich wird niemand, hoffe ich!, der ernsten Meinung sein, dass unsere kleinen Schamata die Welt so abbilden wie sie ist. Niklas Luhmann, den ich momentan gerne lese, hätte das gemocht. Für ihn stand am Anfang allen Denkens der Satz: „mache eine Unterscheidung“. Ich selbst bin noch unschlüssig. Ich mag die Schönheit des Komplexen, warum es reduzieren?
Dennoch sprang mich eine Unterscheidung an als ich diese Verse gelesen habe. Es gibt zwei (jawohl, nur zwei!) Arten von Christen: diejenigen, die zuhören können und die Prediger. Hiobs Freunde waren Weltmeister darin ihre Theologie an den Mann zu bringen. Sie konnten reden und reden und klangen dabei so herzlos wie die Imagebroschüre des Ku Klux Klan. Ihr Problem war, dass sie einfach nicht anders konnten als das, was sie gelernt hatten weiter zu geben. Sie waren wie diese fiesen kleinen Radios, die es mal bei McDonalds in den Juniortüten gab und die alle nur ein einziges Lied spielten. Manchmal „no angels“ mag okay sein, aber bitte nicht immer.
Hätten sie sich Hiob in ehrlichem Interesse zugewandt, ihm zugehört und ihn verstanden statt einfach die Phrasendreschmaschine anzuwerfen wären dem heutigen Hiobleser einige unerquickliche Kapitel und ihnen selbst einige Peinlichkeiten erspart geblieben. Bestimmt hätten sie dann anders geredet.
Da Christentum sich wesentlich um eine Botschaft aufbaut, haben wir uns manchmal eine Botschaftermentalität zugelegt die in vielen Situationen einfach nur unpassend ist. Statt uns den Menschen um uns herum zuzuwenden werfen wir jedesmal die Predigplatte an wenn wir ihnen begegnen und wiederholen so eloquent wie stereotyp die vier geistlichen Gesetze, die fünf Schritte zur Heilung und die sieben Todsünden. Womit wir oft so auferbauend sind wie die 39 Peitschenhiebe…
Für mich war es eine wichtige Lektion zu begreifen, dass meine geistlichen Einsichten nicht für jedermann sind und dass manch einer gar nicht scharf ist auf meine Lösungsvorschläge. Manchmal ist es besser, einfach zuzuhören und zu schweigen – und beim Schweigen auch noch in eine weitere Richtung zu hören, nämlich auf die Stimme des Geistes. Irgendwer hat mal gesagt, dass er immer nur mit einem Ohr zuhört, wenn ihm jemand Probleme erzählt, und mit dem anderen Ohr auf Gott hört. Ich bin sicher, dass dieses Vorgehen zu überraschenden Äusserungen führt und dass das, was man dann noch sagt „frisch“ ist und nicht einfach eine Wiederholung. Ganz sicher wird sich jemand, dem man erst einmal zuhört, vielleicht sogar ganz ohne eine Antwort zu kennen, nicht angepredigt fühlen wie Hiob. Und dann auch nicht so harsch reagieren: „Habt endlich die Güte…“
Jeder Mensch hat zwei Ohren und nur einen Mund. Vielleicht wollte uns Gott damit was sagen…
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