06. Juni 2011 11
Gesellschaftsverändernde Gemeinde 02.1 – Gemeinde als Feld
Anfang der 80er Jahre schrieb Jerry Cook, zu der Zeit Pastor der East Hill Church in Gresham, Oregon, ein Buch mit dem Titel „Liebe, Annahme und Vergebung“. Der Titel ist etwas irreführend, denn es handelt sich nicht um ein Buch über Seelsorge sondern über Gemeindebau. Cook entwirft darin das Konzept von Gemeinde als Ort und als Kraft.
Die Gemeinde als Feld ist die vorherrschende Ansicht in der christlichen Welt. Man stellt sich Gemeinde als organisierte und lokalisierte Struktur vor, zu der man Leute schicken kann und in der mitgearbeitet wird.
Beim Feld-Konzept ist die organisierte Gemeinde der Ort, zu dem die Leute kommen, um das Werk Gottes zu tun. Eines Bauern Feld ist der Ort, an dem er für seine Ernte aussät und seine Arbeit verrichtet. Genauso ist das Feld – im Sinne von Gemeinde – der Ort, an dem die Gemeinde ihre Arbeit leistet. Was immer von der Gemeinde getan werden muss, wird hier getan.
Diese Auffassung, dass das Feld der Ort ist, an dem die Arbeit geleistet wird, ist entscheidend. Jesus sagte: „das Feld ist die Welt“ (Matthäus 13,38). Daraus ergibt sich, dass die Arbeit der Gemeinde in der Welt getan werden soll. Wenn wir die Vorstellung haben, dass die Gemeinde der Ort ist, an dem die Arbeit für Jesus getan werden soll, dann sind wir von dem Konzept, das Jesus ursprünglich vermittelte, abgewichen. Anstelle der Welt haben wir die Gemeinde zum Arbeitsfeld gemacht.1
Im Folgenden untersucht Cook die praktischen Konsequenzen dieses Gemeindeverständnisses unter fünf Überschriften.
1. Worauf legt die Gemeinde-als-Feld wert?
Der Fokus liegt auf Räumen, Werbung und Programmen. „Die Akzente der Gemeinde [verlagern sich] auf Sichtbarkeit, Organisation und Werbung“.
2. Welche Ziele verfolgt die Gemeinde-als-Feld?
„Die Ziele eines solchen Gemeindekonzeptes lassen sich in Begriffen wie Besucherzahlen, Gemeindebudget und Baulichkeiten umreißen. […] Natürlich sind diese Ziele flexibel. Wenn wir nicht große Scharen erreichen, verlagern wir unsere Vorstellung von Erfolg von der Quantität auf die Qualität.“
3. Wie erreicht die Gemeinde-als-Feld das Ziel ihres Dienstes?
„…sind die Leute beieinander, liegt die Arbeit ganz in den Händen einer Person, deren Beruf das ist.“ Wird die Arbeit für diesen Profi zuviel, zieht er weitere Profis heran, die ihm helfen, die Arbeit zu tun. So entsteht Struktur: „Nach und nach bekommt jeder Profi sein eigenes Ressort zugewiesen, so dass es für jedes Gebiet im Leben der Gemeindemitglieder berufshalber Zuständige gibt. Damit wird eine ziemlich sterile Art professioneller Dienstauffassung erreicht.“2
4. Was motiviert eine Gemeinde-als-Feld?
„Im Großen und Ganzen kann die Motivation einer Gemeinde-als-Feld auf einen Nenner gebracht werden: Menschen in die Gemeinde zu ziehen. Das nennt man Evangelisation. Hat man sie einmal in der Tasche der Gemeinde, so muss man sie auch darin halten, weil das Feld ja andernfalls zusammenschrumpfen würde. Also werden Programme ausgearbeitet, die darauf zugeschnitten sind, Leute bei der Stange zu halten. Das erfordert einen großen Aufwand.“
5. Wo liegen nun die Gefahren dieser Auffassung von Gemeindeleben?
Cook nennt vor allem zwei Gefahren: Der Pastor einer solchen Gemeinde ist entweder ein Superstar oder eine Marionette. Je nachdem wie die Einflussmöglichkeiten verteilt sind und es um seine Gaben bestellt ist. Der Gemeinde geht es nicht besser: Entweder wird sie im Laufe maximal dreier Generation in ein absolutes Mittelmaß verfallen, oder sie bildet eine weltfremde Subkultur in der die eigene Homogenität in Abschottung von anderen gefeiert wird.
Falls in diesen Stichpunkten der Eindruck entsteht, Cook habe überzeichnet und karikiert, stimmt das durchaus. Es ging ja gerade darum, einen Kontrast zu zeigen. Dennoch finde ich sowohl mich selbst, als auch fast jede Gemeinde die ich kenne, in Cooks Gedanken wieder.
Ich möchte noch mal die größte Gefahr einer solchen Gemeindephilosophie herausstreichen: Menschen werden leicht zu Erfüllungsgehilfen der Vision und Philosophie des Pastors. Was für Menschen gilt, gilt leider auch für die Predigt, den Lobpreis und alles andere: Nichts wird mehr Zweck aufgefasst sondern als Mittel (Kant).
- Cook, Jerry (1995), Seite 40 [↩]
- Die Organisationsformen deutscher und amerikanischer Gemeinden unterscheiden sich an dem Punkt deutlich voneinander. Während es in den USA üblich ist, Gebetspastoren oder Singlepastoren zu haben, sehen die Strukturmodelle in Deutschland anders aus. Die generelle Aussage bleibt davon allerdings unberührt und das Problem bleibt bestehen. [↩]
Onkel Toby schrieb am
6. Juni 2011 um 10:58Finde ich überhaupt nicht überzeichnet, aber das Schlimmste an dieser Art von ‚Kirche‘ ist: Wenn ersteinmal jemand davon Leben muss (vor allem im freikirchlichen Bereich), dann gilt sein Hauptziel letztlich immer der Erhaltung des Status Quo bzw. dem Wachstum, und er oder sie wird -bewußt oder unbewußt -immer Menschen im Hinblick auf dieses Ziel manipulieren. Genau an diesem Punkt endet die spirituelle Freiheit in der Gemeinde.
Kurze Frage: In wie weit differieren denn die JF von diesem Bild.
Johannes Roth schrieb am
6. Juni 2011 um 11:02Ein mittlerweile bekanntes Problem. Ich kenne auch so gut wie keine Gemeinde, die, mal mehr mal weniger, nicht darunter leidet. Interessant, dass er das schon vor 30 Jahren geschrieben hat.
storch schrieb am
6. Juni 2011 um 11:10in irgendeinem maße leidet ganz sicher jede gemeinde an diesen dingen. wie OT sagt: geld muss rein kommen. bei den JF sicher weniger als anderswo weil selten eine so teure infrastruktur da ist wie in „normalen“ freien gemeinden. man hätte also vielleicht mehr freiraum. allerdings ist es sicher in erster linie eine denke, was man macht und da kann ich nicht sagen, in welchem paradigma wir mehrheitlich unterwegs sind. dafür bin ich einfach nicht mehr genug in der bewegung.
berlinjc schrieb am
6. Juni 2011 um 11:28Interessant wäre auch das: Was ist das Hilfreiche an diesem Modell (nicht auf das mögliche Wachstum bezogen, sondern bezogen auf den „Gemeindealltag“)? Durchaus im positiven Sinne zu verstehen…
Thomas schrieb am
6. Juni 2011 um 11:30„Geld muss reinkommen“ stimmt doch eigentlich nur dann, wenn man fest angestellte Mitarbeiter mit Gehalt und/oder feste Ausgaben (in Form von Miete etc) hat.
Insofern sind manche Hauskirchengemeinden da besser aufgestellt (die Probleme liegen da aber oft woanders).
storch schrieb am
6. Juni 2011 um 11:35@berlinjc: da kommen ja noch ein paar teile 🙂
@ Thomas: Das könnte stimmen, aber ich denke, dass dieser eine Vorteil viele andere negative Aspekte nicht aufheben kann. Letztlich müssen wir damit leben, dass Gemeinden Fixkosten haben. Aber das ist auch nicht wirklich ein Problem so lange es nicht unser ganzes Denken und unsere Herangehensweise an Gottes Reich und Gemeinde bestimmt.
jens schrieb am
6. Juni 2011 um 13:59..es kommen zwar noch ein paar teile, aber gerade an dieser stelle passt es ganz gut: die stelle im 1.Kor 3,9 in der Paulus selbst das Bild der Gemeinde als (Acker)Feld bemüht. bin mal gespannt, ob/was dazu kommt.
storch schrieb am
6. Juni 2011 um 14:05nein, dazu kommt nichts. paulus sagt dort aber, dass wir (nicht die gemeinde) gottes ackerfeld und bau sind. cook hat nur die matthäusstelle drin, dass die welt der acker ist.
Elisabeth Lantman schrieb am
6. Juni 2011 um 19:27„Wenn wir nicht große Scharen erreichen, verlagern wir unsere Vorstellung von Erfolg von der Quantität auf die Qualität.““
Also wir sind im Umgekehrten Verhältnis zu den Zielen Gottes mit uns, und den Mitmenschen.
„Ich möchte noch mal die größte Gefahr einer solchen Gemeindephilosophie herausstreichen: Menschen werden leicht zu Erfüllungsgehilfen der Vision und Philosophie des Pastors. Was für Menschen gilt, gilt leider auch für die Predigt, den Lobpreis und alles andere: Nichts wird mehr Zweck aufgefasst sondern als Mittel (Kant).“
In der Zweckauffassung liegt auch ein Problem.
Die Zweckauffassung des Auslegers ist auch immer ein Problem,wie schon oben beschrieben.
„dann gilt sein Hauptziel letztlich immer der Erhaltung des Status Quo bzw. dem Wachstum“
Und dann ist es so: „Damit wird eine ziemlich sterile Art professioneller Dienstauffassung erreicht“
Und wo stehen wir selbst mit unserem eigenen Arbeitsplatz, Sekretärin, Pastor, Lobpreisleiter, Organist, Krankenschwester?
Arbeiten wir für Geld,für was? Was ist unser Motor unser Motiv?
mattse schrieb am
8. Juni 2011 um 18:53Kennste den schon? (Das Video meine ich)
http://www.elia-gemeinschaft.de/wordpress/2010/11/18/kirche-und-zukunft/der-gott-der-migranten
Passt n bisschen finde ich, vor allem das mit den „pyramid builders“.
storch schrieb am
9. Juni 2011 um 12:10nein, kenne ich nicht. habe ich gespeichert, wenn ich mich das nächste mal mehr mit dem thema beschäftige, schau ich es mir an. danke für den tipp!