Die zwölfte Vorlesung, „Anfechtung“ betitelt, überrascht mich. Sie ist weniger intellektuell als geistlich herausfordernd und ich hätte bei Barth nicht mit solchen Gedanken gerechnet. Die Anfechtung der Theologie ist, dass Gott sich aus ihr zuückzieht. Dann redet der Theologe nicht mehr von Gott her sondern über ihn. Der Unterschied ist gewaltig und denke, dass ihn jeder kennt, der mit Jesus lebt und ihm nachfolgen will: Man macht nichts anderes als sonst. Vielleicht ist das, was man tut, nach menschlichen Maßstäben sogar besser als sonst. Vielleicht predigt, denkt und dient man besser. Aber trotzdem ist Gott nicht mehr in dem Ganzen.
Ich kenne selber solche Zeiten in denen Gott nicht da ist, mich nicht erfüllt und nicht segnet. Das seltsame ist, dass in solchen Zeiten alles gut gehen kann; die Hülle stimmt, nur der Inhalt feht. Mich macht es nervös festzustellen, dass Gottes Geist mein Werk nicht beseelt, aber viele werden es nicht einmal merken. Gottes Schweigen ist beredet, aber wenn man seine Stimme nicht kennt, fällt sein Schweigen nicht weiter auf weil der Kontrast fehlt. Barth dichtet zur Veranschaulichung Amos 5 um und schafft so ein dichtes prophetisches Reden über die Jahrhunderte hinweg:

Ich hasse, ich verschmähe eure Vorlesungen und Seminare, eure Predigten, Vorträge und Bibelarbeiten, und mag nicht riechen eure Gespräche, Tagungen und Freizeiten. Denn wenn ihr da eure hermeneutischen, dogmatischen, ethischen und pastoralen Weisheiten vor einander und vor mir ausbreitet – an diesen Opfern habe ich keinen Gefallen und das Opfer eurer Mastkälber sehe ich nciht an. Hinweg von mir das Geplärre, das ihr Alten mit euren dicken Büchern und ihr Jungen schon mit euren Dissertationen veranstaltet! – und das Spiel der Rezensionen, das ihr in euren Zeitschriften, Rundschauen und Umschauen, in euren Kirchen- und Literaturzeitungen treibt, mag ich nicht hören.1

So spricht kein langweiliger Theologe; so spricht ein Prophet. Barth wird das beredte Schweigen Gottes gekannt haben; wie sonst könnte er so schreiben? Ich verstehe dieses göttliche Schweigen als einen Ruf in die Intimität, ins Mystische hinein. Gott lockt uns mit seiner Abwesenheit in seine Gegenwart; sein Schweigen lockt in sein Reden hinein.
Die geistliche Welt sähe anders aus, wenn mehr diesen schweigenden Ruf hören und ihm Folge leisten würden!

[mehr über Karl Barth]

Be Sociable, Share!
  1. Karl Barth: Einführung in die evangelische Theologie, Seite 148-149 []

Ein Kommentar

  1. genial!

Schreibe einen Kommentar

Diese HTML-Tags und Attribute sind erlaubt: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>