Der präexistente Gottessohn

Jesus wurde zwar als Mensch um das Jahr null herum geboren, aber es gab ihn schon vorher. Manche Informationen bekommt man nur aus dem Johannesevangelium, weil Johannes einen etwas anderen Blickwinkel repräsentiert als die anderen Evangelien und teilweise sehr viel philosophischer ist als die synoptischen Evangelien – d.h. er ging manchen Fragen tiefer auf den Grund als Matthäus, Markus und Lukas. Sein Evangelium beginnt mit den berühmten Worten:

1 Am Anfang war das Wort; das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.
2 Der, der das Wort ist, war am Anfang bei Gott.
3 Durch ihn ist alles entstanden; es gibt nichts, was ohne ihn entstanden ist.
4 In ihm war das Leben, und dieses Leben war das Licht der Menschen.
5 Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht auslöschen können.

[Einschub in dem es um Johannes geht]

14 Er, der das Wort ist, wurde ein Mensch von Fleisch und Blut und lebte unter uns. Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit voller Gnade und Wahrheit, wie nur er als der einzige Sohn sie besitzt, er, der vom Vater kommt.
15 Auf ihn wies Johannes die Menschen hin. »Er ist es!«, rief er. »Von ihm habe ich gesagt: Der, der nach mir kommt, ist größer als ich, denn er war schon vor mir da.« (NGÜ)

Ich habe mich an dieser Stelle für die NGÜ entschieden, weil sie meiner Ansicht nach stimmiger ist als die Elberfelder. Die griechische Vokabel für „Wort“ ist „Logos“ und hat einen männlichen Artikel. Deswegen übersetzt sie „Der, der das Wort ist“. Die Elberfelder bezieht sich (grammatisch richtig) auf Logos und übersetzt „dieses“. Das ist zwar nur eine Nuance und im weiteren Verlauf des Textes wird es in jeder Bibelübersetzung vollkommen klar, dass hier Jesus Christus gemeint ist, aber die NGÜ nimmt uns hier etwas theologische Arbeit ab und wird deswegen zitiert.

„Logos“ ist ein Begriff, der in der griechischen Philosophie und Mystik sehr wichtig ist und der entsprechend vielschichtig ist. Man muss sich entscheiden, ob man ihn einfach als Wort übersetzt oder ob man versucht, ihn genauer zu umschreiben. Frieder Lauxmann schreibt über diese Problematik:

Wenn Heraklit vom „Logos“ spricht, dann meint er damit etwas, was weit über das „Wort“ hinausgeht. Der Übersetzer muss sich entscheiden, ob er „Logos“ einfach so stehen lässt, oder ob er versucht, den Begriff zu umschreiben. Willhelm Capelle bietet folgende Deutungen an: das sinnerfüllte Wort, die vernünftige Rede; bei Heraklit aber versucht er Logos als Weltvernunft, Weltprinzip, Weltgesetz, Verhängnis, Allnatur, Gottheit, Warheit zu deuten. Diese Denkweise war damals keineswegs unangefochten, denn Heraklit setzte sich mit einem solchen abstrakten Begriff von der Weltvernunft im Gegensatz zu den Mythologien und vor allem zu den Mysterienkulten der Zeit um 500 v.Chr. ab. Seine Aussage über den Begriff „Geist der Zeit“ ist zeitlos: Das Weltgesetz (Logos), das doch ewig ist, begreifen die Menschen nicht (…) Denn obgleich alles nach diesem Gesetz geschieht, machen sie den Eindruck, als ob sie nichts davon ahnten.

Wenn man den Logos so versteht, kommt man – glaube ich – näher an das heran, was Johannes aussagen wollte. So verstanden ist Logos etwas in der Richtung eines philosophischen Gottes: ein ewiges, schöpferisches Prinzip. Genau das spricht Johannes dann ja auch deutlich aus: dieser Logos war Gott.
Jesus war also bereits bevor er geboren wurde. Hier wurde nicht einfach ein Mensch geboren, sondern Gott selber wurde Mensch. Der, durch den alles wurde, der also bereits bei der Schöpfung dabei war, wurde nun in Jesus Mensch. Jesus selbst wusste das und zeigt dieses Wissen in einem Streitgespräch mit den Juden:

57 Da sprachen die Juden zu ihm: Du bist noch nicht fünfzig Jahre alt und hast Abraham gesehen?
58 Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe Abraham war, bin ich. (Johannes 8,57-58 nach der NGÜ)

Die Tatsache, dass Jesus schon vor seiner Geburt existierte, bezeichnet man in der Theologie als „Präexistenz“ – also „Vorexistenz“.

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7 Kommentare

  1. deswegen heißt es auch im Schöpfungsbericht „Lasset uns Menschen machen“. Da unterhalten sich der Vater, der Sohn und der Heilige Geist miteinander.
    Auf der Hildesheimer Bernwardstür ist es Christus, der Adam aus dem Staub zieht und zum Leben erweckt.
    http://www.raymond-faure.com/Hildesheim/Hildesheim_Dom/Hildesheim_Dom_Bernwardstuer_32a.jpg

  2. ja, das denke ich auch. eine der stellen, die die dreieinigkeit im AT belegen. die bernwardstür kannte ich nicht. mal dumm gefragt: woran erkennt man, dass das christus ist? ich kann die ganzen chiffren, die in der sakralen kunst verwendet werden, leider nicht lesen.

  3. Das schließt man einfach daraus, dass Bernward diese Figur mit einem Heiligenschein ausgestattet hat, in dem sich ein Kreuz befindet. Und es ist vor allem im Kontext der ganzen Tür dieselbe Person, die später auch gekreuzigt wird.
    Die Bernwardstür ist so eine Art biblischer Comicstrip auf zwei Türflügeln. Auf dem linken Flügel wird gezeigt, wie es nach Schöpfung und Sündenfall bergab geht, auf dem rechten Flügel werden entsprechende Heilsereignisse aus dem NT gezeigt. Der Schöpfung gegenüber steht z.B. die Auferstehung und dem Sündenfall gegenüber sieht man die Kreuzigung Jesu.
    Es ist einfache Theologie in Metall gegossen und es hat eine hohe Symbolkraft, dass der Bischof und die Gemeinde durch diese Tür in die Kirche einziehen (aktuell leider nur an hohen Feiertagen, bezeichnenderweise gibt es einen Seiteneingang für den Alltag und Touristen). Durch die Erzählungen der Bibel tritt man ein in die Kirche und wird Christ.
    Ich finde es bemerkenswert, was dieser Bischof zwischen 800 und 900 für eine Souveränität in der Bibelauslegung zeigt. Und vor allem auch in der Kompetenz, das eindrücklich zu vermitteln.

  4. wow, das ist echt eindrucksvoll. ich finde das immer bewundernswürdig, wie künstler so eine symbolik und tiefe schaffen können. leider entgeht mir so etwas immer wenn ich in einer kirche bin und ich sehe nur bilder oder statuen. ich brauche immer jemanden, der mir die sakrale kunst auslegt, sonst fehlt mir einfach der zugang 🙁

  5. In der Schulzeit fand ich das auch immer extrem langweilig und uninteressant. Aber später hat es sich dann doch als fruchtbar erwiesen. Man muß halt manchmal auch ganz respektlos hingucken und sich klarmachen, was man da sieht. Ich glaube, man hat da oft so einen Filter im Kopf, dass das Alte und zunächste Unverständliche gar nicht interessant sein kann.
    Bei der Bibel ist es ja genau so. Manche Geschichten ist man so gewöhnt, dass es Jahre dauert, bis man plötzlich eine ganz neue und gute Lesart entdeckt.

  6. hattest du so was in der schule? in welchem fach denn? in kunst haben wir immer gemalt usw. in geschichte scheint es immer um das dritte reich gegangen zu sein und reli war nur ein bisschen sozial blabla. ich glaube, so was hätte mich mehr interessiert.

  7. Wir wurden in Deutsch mal vor die Bernwardstür geschleift. Könnte auch Religion gewesen sein. Aber damals hatte ich nicht so wahnsinnig viel dafür übrig. Mit ein bißchen Glück interessiert man sich später dafür. Im Nachhinein denke ich, hätten wir mehr solche Sachen tun können und vor allem auch mehr auswendig lernen. Es gibt einfach Dinge, die versteht man nicht gleich oder mag sie nicht besonders. Später ist man froh, dass man sie hat. Später werden sie vielleicht wirksam.

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