01. Oktober 2008 14
Einführung in die Hermeneutik VII – Die Werkzeuge III – die Bibel III
Zwei Autoren
Die Bibel ist also nicht vom Himmel gefallen, wie das anderen heiligen Büchern zugeschrieben wird, sondern hat durchaus einen menschlichen Ursprung. Aber das ist natürlich nicht alles. Wenn sie auch von Menschen geschrieben ist, wurde sie doch von Gott inspiriert.
Wie diese Inspiration genau aussieht ist schwer zu sagen. Es gibt in den verschiedenen theologischen Lagern eine ganze Bandbreite von Glaubensüberzeugungen: die einen glauben an ein wörtliches Diktat des Heiligen Geists, andere glauben, dass Gott nicht mehr als eine grundlegende Idee beigesteuert hat. Irgendwo zwischen diesen beiden Polen wird die Wahrheit liegen. Die Frage der Inspiration der Schrift zu klären ist auch nicht Aufgabe dieser Schrift, aber als Tatsache steht fest, dass Gott maßgeblich an der Bibel beteiligt war, so dass wir mit Fug und Recht die Bibel als das Wort Gottes ansehen.
Eine der größten Herausforderungen der Theologie ist es nun, Menschliches von Göttlichem zu trennen. Herauszufinden, was Gottes ewiges Wort an uns ist, und was einfach nur Spiegel der Zeit gewesen ist, so dass wir es mit Recht als unverbindlich für uns betrachten können.
Paulus wies seinen Schüler Timotheus an, das Wort „in gerader Richtung zu schneiden“ (Elberfelder). Das griechische orthotome?, wird verschieden übersetzt und gedeutet, kann aber auf jeden Fall auch die Bedeutung von gerade schneiden haben. Genauso sollen wir säuberlich und ordentlich Menschliches von Göttlichem trennen, um das herauszufinden, was für uns als Menschen des 21.Jahrhunderts wichtig ist.
Dabei ist es allerdings wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass die Bibel Gottes Wort ist, nicht enthält. Wir suchen nicht nach einem göttlichen Kern in der Bibel, sondern glauben, dass die ganze Bibel Gottes Wort ist. Nur, sie ist nicht immer Gottes Wort an uns. Das zeigt sich gerade in den Briefen und dem Alten Testament immer wieder. Selbst die Gebote sind nicht immer Gottes Gebote an uns.
Beispiel: Der Mantel des Paulus
Den Reisemantel, den ich in Troas bei Karpus ließ, bringe mit, wenn du kommst, auch die Bücher, namentlich die Pergamente. – 2.Timotheus 4,13
Unzweifelhaft handelt es sich bei dieser Stelle um einen Auftrag, ein Gebot sozusagen. Nur ist es eben kein Gebot an uns, auch wenn es im Wort Gottes steht.
Beispiel: Das Gesetz des Alten Testamentes
Während das erste Beispiel eher humoristisch gemeint war, ist das zweite eine theologisch absolut ernste Sache. Wie sollen wir als Christen mit dem Gesetz des Alten Testamentes umgehen? Die Frage bezieht sich natürlich mehr oder weniger auf das ganze Alte Testament, das ja im grossen und ganzen nur wenig mehr ist als das Gesetz Gottes und seine Anwendung. Ich will aber an dieser Stelle nur auf das Gesetz im engeren Sinne eingehen.
Vielfach erscheint es sehr wahllos, wenn Christen sich auf Gesetze des Alten Testamentes berufen. Die einen sollen (angeblich) befolgt werden, die anderen (angeblich) nicht. Insgesamt gilt es festzustellen, dass die Gesetze des Alten Testamentes Bundesauflagen an Israel waren. Der Bund Gottes mit dem Volk Israel zeigte sich von Gottes Seite her in Segen, von menschlicher Seite her in Erfüllung der Bundesauflagen, eben der Gesetze.
Teil der Gesetze des Alten Testamentes ist das Recht des alten Staates Israel. Unter diesem Gesetz lebt heute niemand mehr. Selbst zu Zeiten des Neuen Testamentes, als Israel ein Teil des römischen Reiches war, konnten manche Gesetze dieses Landes schon nicht mehr ohne weiteres zur Anwendung gebracht werden (die Römer behielten sich ein Monopol auf die Todesstrafe vor). An die Zivil- und Strafgesetze des Alten Testamentes können wir uns gar nicht halten.
Wir leben als Christen nicht mehr im Bund des Alten Testamentes, sondern im Bund des Neuen Testamentes, der im Blut Christi geschlossen ist (1.Korinther 11,25). Wenn ein alter Bund von einem neuen Bund abgelöst wird, gelten direkt nur die Auflagen des alten Bundes, die direkt wiederholt werden. Alles andere hat eher illustrativen Charakter.
Wiederholt wurden z.B. neun der zehn Gebote (das Sabbatgebot wurde nicht wiederholt), so dass man davon ausgehen kann, dass diese Gebote für uns nach wie vor eine wichtige Basis ethischen Handelns darstellen.
Nicht wiederholt wurde das berühmteste Zitat des Alten Testamentes überhaupt:
Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Wunde um Wunde, Beule um Beule. (2.Mose 21,24-25)
Dieses Gebot gilt wohl nicht mehr für uns (manche finden das bedauerlich…), an seine Stelle trat:
Ihr habt gehört, daß gesagt ist: «Auge um Auge und Zahn um Zahn!»
Ich aber sage euch: Ihr sollt dem Bösen nicht widerstehen; sondern wenn dich jemand auf deinen rechten Backen schlägt, so biete ihm auch den andern dar; und wer mit dir rechten und deinen Rock nehmen will, dem laß auch den Mantel; und wenn dich jemand eine Meile weit zu gehen nötigt, so gehe mit ihm zwei. – Matthäus 5,38-41
Fee und Stuart haben einige Regeln für den Umgang mit dem Alten Testament so griffig formuliert, dass ich sie abschliessend zu diesem Beispiel zitieren möchte :
• Du sollst das alttestamentliche Gesetz als völlig von Gott inspiriertes Wort für dich sehen.
Du sollst das alttestamentliche Gesetz nicht als Gottes direktes Gebot an dich sehen.
• Du sollst das Alttestamentliche Gesetz als Grundlage für den Alten Bund und damit für Israels Geschichte sehen.
Du sollst die alttestamentlichen Gesetze nicht als für Christen im Neuen Bund verbindlich sehen, es sei denn, sie werden ausdrücklich erneuert.
• Du sollst Gottes Gerechtigkeit, Liebe und hohe Maßstäbe erkennen, wie sie im alttestamentlichen Gesetz offenbart werden.
Du sollst nicht übersehen, dass Gottes Gnade im entsprechenden Mass zur Strenge des Gesetzes steht.
• Du sollst das alttestamentliche Gesetz nicht als vollständig betrachten. Es ist nicht allumfassend.
Du sollst das alttestamentliche Gesetz als Paradigma verstehen, das exemplarisch zeigt, welches Verhalten in der Vielfalt der verschiedenen Lebensumstände erwartet wird.
• Du sollst nicht erwarten, dass das alttestamentliche Gesetz in den Propheten oder im Neuen Testament häufig zitiert wird.
Du sollst im Gedächtnis behalten, dass die Essenz des Gesetzes (die Zehn Gebote und die beiden höchsten Gebote) in den Propheten wiederholt und im Neuen Testament erneuert wird.
• Du sollst das alttestamentliche Gesetz als grosses Geschenk an Israel sehen, das viel Segen brachte, wenn man ihm gehorchte.
Du sollst das alttestamentliche Gesetz nicht als Zusammenstellung willkürlicher, lästiger Bestimmungen betrachten, die die Freiheit der Menschen beschränken sollten.
Günter J. Matthia schrieb am
1. Oktober 2008 um 10:11Nur mal so angemerkt: Diese Serie finde ich ganz und gar klasse! 1000 Dank!
storch schrieb am
1. Oktober 2008 um 10:30das freut mich. danke fürs feedback!
Martin Dreyer schrieb am
1. Oktober 2008 um 22:46Sehr hilfreicher Beitrag für mich. Ich bin ja gerade VOLLSTENS im AT drin, aber hänge gerade mit den Chroniken etwas durch (motivationsmäßig).
Aber ich hab noch nie so intensiv mich mit den „alten Verträgen“ beschäftigt und es ist schon echt interessant, was da so abgegangen ist, wie Gott um sein Volk gekämpft hat, wie er mit ihnen umgegangen ist.
storch schrieb am
2. Oktober 2008 um 08:51ich bin aufs AT echt gespannt. da sind ja einige sachen drin, die schwer wieder zu geben sind.
Patrick schrieb am
2. Oktober 2008 um 14:19Interessante Sache, dass mit dem Auge um Auge, Zahn um Zahn usw.
Wuerdet ihr sagen, dass ich mich als Christ nicht mehr pruegeln darf? Ich mein, wenn mir jemand eins auf Auge gibt und mich weiter angreift, darf ich dann zurueck hauen?
Ich hab mich letztens mit einem Freund ueber das Thema unterhalten, und er hatte auch eine interessante Auslegung zu der Backpfeifen-Stelle (leider kann ich sie nicht hunderpro wiedergeben). Aber fuer ihn ist es richtig sich zu verteidigen, anstatt sich einfach ein paar aufs Maul geben zu lassen.
Ich persoenlich wuerde mich bei 2. auch sicherer fuehlen…
storch schrieb am
2. Oktober 2008 um 14:40zurückschlagen sollte nicht die grundlage deiner ethik sein. eventuell gibt es tatsächlich bessere wege. aber im falle der selbstverteidigung würde ich es für korrekt halten zurück zu schlagen.
andererseits schätze ich, dass es eine erkenntnissache ist. man kann soweit in gottes gegenwart und schutz leben, dass man nicht mehr zurückschlagen würde. jesus sagt ja auch, dass er ein engelheer bestellen könnte um ihn aus gethsemane zu holen – und auf dieses recht verzichtet hat.
Frollein Friede schrieb am
2. Oktober 2008 um 15:21Die Frage „Darf man als Christ…?“ ist eh vollkommen absurd. Was „Verboten“ und „Erlaubt“ ist regelt nicht die Bibel sondern die Gesetzbücher der Staaten in denen wir leben. Wenn es hingegen darum geht, was man ethisch verantworten kann, so kann man diese Frage nur sich selbst beantworten. Wenn Du meinst, dass Gott das toll findet, wenn Du Dich prügelst, dann prügel Dich eben. 😉
Wenn Dir allerdings klar ist, dass Gott das Scheiße findet, dann bleibt eh nichts anderes, als dafür zu beten und daran zu arbeiten neue Handlungsoptionen zu erlernen. Solange allerdings der Mangel an Handlungsoptionen herrscht, bleibt einem oft nix anderes, als eben auch mal „falsch“ zu handeln. Im übrigen nennt man das „moralisches Dilemma“ – deswegen ist Vergebung der Schuld überhaupt erst notwendig …
Patrick schrieb am
2. Oktober 2008 um 15:22Ja es entspricht auch nicht meiner Ethik irgend jemanden zu schlagen und ich bin Gott sei Dank auch noch nie wirklich in die Situation gekommen!
Aber ich habe mich schon oft gefragt, was ich in einer solchen Situation machen wuerde? Vielleicht wegrennen? Oder dem Gegner einfach versuchen den Gegner auf moeglichst sanfte Weise unschaedlich zu machen?
Ich fuehle mich einfach unsicher bei dem Gedanken mich gruen und blau hauen zu lassen.
Aber die Sache mit der Erkenntnis ist einer guter Gedanke!
storch schrieb am
2. Oktober 2008 um 17:01die sache mit den handlungsoptionen und dem moralischen dilemma finde ich gut, FF. von wem ist das? klingt irgendwie nach zitat.
Frollein Friede schrieb am
3. Oktober 2008 um 02:21Keine Ahnung. Also entweder das ist tatsächlich von mir oder ich habe es irgendwo unbewusst übernommen. Ist mir so in den Sinn gekommen, als wir in der Schule in Philosophie „Ethik“ hatten…
storch schrieb am
3. Oktober 2008 um 08:52wow. den gedanken will ich auf jeden fall mal weiterspinnen, passt gut in das rein, was ich im moment predige. danke.
Königstochter schrieb am
3. Oktober 2008 um 11:31Guckmal, da hab ich gestern bei theolounge einen interessanten Link zu gefunden – geht mehr um die Entwicklungsstufen moralischen Handelns, aber dennoch ganz interessant…
jordanus schrieb am
5. Oktober 2008 um 11:14ich finde es auch ganz ausgezeichnet, dass Du diese Serie machst. Das ist ein sehr wichtiges Thema. natürlich freue ich mich auch, weil ich dann hin und wieder anlass zum kritteln habe.
diese zehn „gebote“ zur auslegung des gesetzes im at sind zur orientierung nicht schlecht und beschreiben die lage ziemlich gut.
allerdings bin ich immer wieder erstaunt, storch, wie Du als mehr charismatisch geprägter Christ solche Regeln aufstellst, während ich als Lutheraner und Befürworter der „pneumatischen Exegese“ dieses schon als einschränkend empfinde.
Ich finde die Gebote oben sehr hilfreich, um sich diesem Problem zu nähern, aber ich glaube, dass auch das Gott auch durch das Gesetz heute noch auf ganz unerwartete Weise zu uns spricht. Aber das schliessen diese fingierten Gebote ja auch nicht aus, oder?
Gesegneten Sonntag Euch allen!
storch schrieb am
7. Oktober 2008 um 01:01ich habe sie ja gar nicht aufgestellt sondern nur zitiert. fee/stuart schätze ich als konservativ-evangelikal ein, vermutlich also nicht unbedingt mein frömmigkeitsstil.
sie sind aber auch nicht als gesetze zu verstehen sondern als richtlinien, die man bei bedarf gerne überschreiten darf. gerade wenn der geist es erfodert, sollte man jede hermenutische regel durchbrechen (zumindest solange es eine „persönliche theologie“ anbelangt und nicht ein „so lehrt die bibel“ – das würde es ja einbeziehen, wenn gott durch die gebote spricht). aber nichtsdestotrotz halte ich die zehn regeln für einen guten vorschlag.
im übrigen gehe ich ohnehin, davon aus, dass gott durch ALLES sprechen kann wenn man ihm zuhört: natur, esel, tagespresse und bestimmt auch das AT.