[de]
Nachdem ich im letzten Beitrag John Wimber positiv erwähnt habe, möchte ich ihn nun auch noch zitieren. Ich habe in meinem Regal ein kleines Büchlein von ihm gefunden: „Einblicke ins Reich Gottes“, Projektion J, 1981.
Wimber folgt dem Ansatz von George Ladd, einem Professor am Fuller Seminary. Ladd scheint die Theologie der „eschatologischen Spannung“ geprägt zu haben, wenn ich auch nicht weiss, ob er je das Wort benutzt hat. Wimber zitiert ihn jedenfalls mit der Spannung zwischen dem „schon-jetzt“ und dem „noch-nicht“. Wimber zitiert auch Oscar Cullmann mit einem genialen Vergleich dieser Theologie:

In seinem Buch „Christus und die Zeit“ vergleicht Oscar Cullmann unsere Situation mit der der Alliierten im zweiten Weltkrieg nach der Landung in der Normandie. Am 6.Juni 1944 schlugen und gewannen die Alliierten die kriegsentscheidende Schlacht. Doch der Krieg ging weiter und endete erst am 8.Mai 1945, dem sogenannten „Tag des Sieges“ – elf Monate später. Zwischen der Entscheidungsschlacht und dem Tag des Sieges starben mehr amerikanische Soldaten als zu jedem anderen Zeitpunkt des Krieges.
Genauso verhält es sich mit Jesus. Unsere Entscheidungsschlacht fand am Ostermorgen statt, unser Tag des Sieges ist das zweite Kommen Christi. In der Zwischenzeit geht der Krieg weiter. (Seiten 25-26)

Die Spannung in der wir uns befinden liegt demnach im zeitlichen Raum zwischen dem ersten und dem zweiten Kommen Christi begründet. Dazwischen befinden wir uns in einem geistlichen Krieg. Gottes Reich ist angebrochen aber nicht vollendet.
Auf Seite 28 zieht Wimber dann eine Schlussfolgerung:

Jesus gab den Jüngern die Fähigkeit, Satan zu überwinden. Als er die Zwölf und die Zweiundsiebzig aussandte, um das Reich zu verkündigen, trug er ihnen gleichzeitig auf, das Reich durch Zeichen und Wunder zu demonstrieren. (Hervorhebungen im Originaltext)

Dieses demonstrieren des Reiches durch Zeichen und Wunder kommt bei Wimber häufiger vor. (Falls hier vineyard-Leute mitlesen, die mehr in den Schriften Wimbers zuhause sind als ich würde mich interessieren, wie sie das „demonstrieren“ verstehen).

An dieser Stelle geht meine Theologie mit der Wimbers auseinander. Ich folge ihm, Ladd und Cullmann schon darin, dass das Reich sich derzeit im Kampf ausbreitet und wir noch nicht den „Tag des Sieges“ erlebt haben an dem der Feind komplett geschlagen wird. Ich kann aber nicht in der Implikation folgen, dass Gottes Reich in Wundern demonstriert wird. Wunder aller Art sind keine Zeichen auf das Reich hin, sie sind Zeichen der Gegenwart des Reiches. Noch zugespitzter sind sie das Reich selbst. Wenn Gottes Herrschaft anbricht geschieht das in Kraft. Das ist keine theologische Spitzfindigkeit sondern eine profunde Aussage, die wiederum die Spannung verlagert. Die Spannung in der wir leben ist keine zeitliche – es ist eine praktische: wieviel von Gottes jetzt schon vorhandener Realität bekommen wir in unsere Welt hinein? Das Reich ist jetzt hier: ganz und gar, es steht uns komplett „zur Verfügung“, wir müssen es nur in dieser Welt sichtbar werden lassen.
Die Ansicht von Heilungen als Zeichen eines kommenden Reiches verstellen uns den Blick darauf, dass das Reich längst hier ist. Schlimmer noch: sie gibt einen Grund für Hoffnung, aber nicht für Glauben. Hoffnung bezieht sich auf die Zukunft, Glaube greift jetzt zu. Damit ist die Anschauung des Reiches als einer zukünftigen Sache lähmend für die Ausbreitung des Reiches im Hier und Jetzt.

Diese Auffassung finde ich im Neuen Testament begründet. Jesus selber sagt von seinem Befreiungsdienst:

Wenn ich aber die Dämonen durch den Finger Gottes austreibe, dann ist doch das Reich Gottes schon zu euch gekommen. (Lukas 11,20)

Ich glaube nicht, dass es übertrieben wäre das auch auf andere Heilungen und Wunder zu übertragen und zu sagen: alles, was durch die Kraft Gottes geschieht ist Reich Gottes. Das Prinzip ist hier, dass in Gottes Kraft seine Wirklichkeit in unsere Wirklichkeit hineinbricht. Das Reich Gottes ist nichts, was wir als zukünftig begreifen sollten sondern als etwas, das gleichzeitig existiert.
Paulus schreibt ähnlich:

Denn das Reich Gottes besteht nicht im Wort, sondern in Kraft. (1.Korinther 4,20)

Das muss uns zu einer herausfordernden Frage bringen: „ist Gottes Reich unter uns, wenn wir nur Worte für Kranke haben aber keine Kraft?“ und: „wenn es nicht unter uns ist, was bauen wir statt dessen?“
In dieser Frage, das will ich unbedingt noch sagen, bin ich mit Wimber einig. Ich glaube nicht, dass er die Schlussfolgerungen aus der eschatologischen Spannung gezogen hat wie viele andere. Heute ist der Ausdruck leider oft eine theologische Rechtfertigung für Kraftlosigkeit. Bei Wimber war das anders, sein Dienst war bestimmt nicht kraftlos sondern von Manifestationen des Reiches durchdrungen. Er stand sehr stark für einen theologisch gesunden Heilungsdienst in der Kraft des Geistes.

Zeichen sind ein Ausweis

Das Neue Testament spricht oft von Zeichen. Z.B. bezeichnet Johannes die Wunder Jesu als Zeichen. Das sind aber keine Zeichen auf ein kommendes Reich hin sondern Zeichen, die Jesus ausgewiesen haben als Messias. Es war klar, dass die Leute sich auch damals schwer damit taten den Worten Jesu zu glauben, denn oft war das, was er sagte wirklich schwer zu fassen. Deswegen brauchte Jesus einen Ausweis um zu zeigen, dass er wirklich eine göttliche Realität mit sich brachte.
In genau demselben Sinn brauchen wir heute Zeichen wenn wir Gottes Reich predigen und bringen. Glücklicherweise lebt in uns derselbe Heilige Geist, der auch in Jesus lebte und so können wir dieselben (und grössere! – Johannes 14,12) Wunder tun wie Jesus. Ohne diese Wunder wäre es nicht möglich Gottes Reich voranzutreiben weil das Reich und Wunder nicht zu trennen sind. Deswegen enthalten die Missionsbefehle in Matthäus und Markus auch beide die Verheissung übernatürlicher Kraft. Zum Abschluss zitiere ich die letzten Verse des Markusevangeliums und nächstes Mal geht es dann noch etwas weiter mit den Zeichen der Gegenwart des Reiches.

Und durch die, die zum Glauben gekommen sind, werden folgende Zeichen geschehen: In meinem Namen werden sie Dämonen austreiben; sie werden in neuen Sprachen reden; wenn sie Schlangen anfassen oder tödliches Gift trinken, wird es ihnen nicht schaden; und die Kranken, denen sie die Hände auflegen, werden gesund werden. Nachdem Jesus, der Herr, dies zu ihnen gesagt hatte, wurde er in den Himmel aufgenommen und setzte sich zur Rechten Gottes. Sie aber zogen aus und predigten überall. Der Herr stand ihnen bei und bekräftigte die Verkündigung durch die Zeichen, die er geschehen ließ.] (Markus 16,17-20)

[/de]
[en]

After favorably mentioning John Wimber in my last article, I would like to quote from one of his booklets I found on my shelf: “Kingdom come – understanding what the Bible says about the reign of God” , Vineyard doin‘ the stuff, 1988.
Wimber follows George Ladd, professor at Fuller Theological Seminary, in his line of thought. Ladd seems to have shaped the theology of “eschatological tension”, even though I don`t know whether he ever used this term. Wimber quotes him on the tension between the “already now” and the “not yet”. Wimber also quotes Oscar Cullmann`s brilliant comparison with this theology:

Oscar Cullmann, in “Christ and Time”, compares our situation to that of the Allies in World War II after D-day. The decisive battle of the war was fought and won by the Allies on D-day, June 6, 1944. But the war continued and was not over until V-E Day, May 8, 1945 – eleven months later! More American lives were lost between D-day and V-E Day than at any other time of the war., So it is with Jesus; our D-day is Easter Sunday, and our V-E Day is the second coming. Between the two, the war wages on. (page 29)

The tension we live in is therefore situated between the first and the second coming of Christ. We live in a spiritual war time. God`s kingdom has dawned but not yet completed. Concluding from this, Wimber says on pages 31 and 32:

Jesus empowered the disciples to overcome Satan. When Jesus instructed the Twelve and Seventy-two to preach the kingdom, he also instructed them to demonstrate the kingdom by performing signs and wonders.

This demonstration of the kingdom by signs and wonders is a recurring theme with Wimber. [If there are any members of the Vineyard movement reading this who know Wimber`s publications better than I do, I would be interested to find out how they understand “demonstration”].
At this point my theology diverges from Wimber`s. I agree with him, Ladd and Cullmann to the point that the kingdom is expanding through a battle and that we have not yet seen the “V-E Day” when the enemy is completely defeated. But I cannot follow the implication that God`s kingdom is demonstrated in signs and wonders. Various signs and wonders do not point to a future kingdom, they are an indication of the presence of the kingdom. More pointedly, they are the kingdom. The dawning of God`s kingdom happens in power. That is not theological sophistry but a profound statement that shifts the tension. The tension we live in is not of a temporal nature but of a practical one: How much of God`s reality can we bring into our world? The kingdom is here now: wholly and completely “at our disposal”, we just have to make it visible in this world.
If we believe that healing is a sign of a future kingdom we lose sight of the fact that the kingdom is already here. And even worse: It is a reason for hope but not for faith. Hope refers to the future but faith takes a hold now. The idea of a future kingdom therefore paralyses the expansion of the kingdom in the here and now.
I find this belief substantiated in the New Testament. Jesus himself says about his ministry of deliverance:

But if I drive out the demons by the finger of God, then the kingdom of God has already come upon you. (Luke 11,20)

I don`t think it would be exaggerated to also apply that to healings and miracles and to state: Everything that happens through the power of God is the kingdom of God. The principle at the bottom of this is that in God`s power his reality invades our reality. We should not understand the kingdom of God as a future occurrence but as something that exists simultaneously. Paul says something similar in 1. Corinthians 4,20:

For the kingdom of God consists of and is based on not talk but power.

This raises a challenging question:” Is God` s kingdom among us if we have only words for the sick but no power?” and “If it is not among us, what are we establishing?”I need to say, that I agree with John Wimber in this question. I don`t believe that he drew the same conclusions from the eschatological tensions as many others did. Today this is oftentimes and unfortunately used as an excuse for a lack of power. That was different for Wimber. His ministry was definitely not void of power but permeated by manifestations of the kingdom. He very strongly represented a theologically sound healing ministry in the power of the Spirit.

Signs are an Identity Card
The New Testament often speaks about signs. John, for example, calls the miracles that Jesus worked signs. But those were not signs of a coming kingdom but signs that identified Jesus as the Messiah. It was clear that already then people had a hard time believing Jesus` words because many of the things he said were hard to grasp. That was why Jesus needed an identity card to show that he truly brought a godly reality with him. Likewise we need signs today when we preach and bring God`s kingdom. Fortunately the very same Holy Spirit who lived in Jesus lives in us also and therefore we are able to do the same (and greater! John 14,12) miracles that Jesus did. Without these miracles it would be impossible to further God`s kingdom because you cannot separate kingdom and miracles. That is why the Great Commission both in Matthew and in Mark contains the promise of supernatural power. In closing I would like to quote the last verses of the gospel of Mark and continue about signs of the presence of the kingdom next time.

And these attesting signs will accompany those who believe: In my name they will drive out demons; they will speak in new languages; they will pick up serpents, and if they drink anything deadly, it will not hurt them; they will lay their hands on the sick, and they will get well. So then the Lord Jesus, after he had spoken to them, was taken up into heaven, and he sat down at the right hand of God. And they went out and preached everywhere, while the Lord kept working with them and confirming the message by the attesting signs and miracles that closely accompanied. Amen. (Mark 16, 17-20)

[translation: Marion. I am always looking for people who would like to translate articles.]

[/en]

Be Sociable, Share!

3 Kommentare

  1. Guten Morgen storch,

    erst einmal vielen Dank für diese Reihe. Ich muss sagen, dass das Thema Wunder (Heilungen usw.) für mich persönlich absolutes Neuland sind und ich diesen Sachen bisher eher skeptisch gegenüber stand.
    Durch deine Beiträge erleichterst du mir auf jeden Fall den Zugang dazu.

    Was ich krass finde: Im Andachtsbuch „Mein Äußerstes für mein Höchstes“ von Oswald Chambers war der letzte Satz für den heutigen Tag: „in uns lebt der selbe Heilige Geist wie in Jesus“. Das ist mir nochmal ganz neu bewusst geworden und hat mir heute morgen sehr geholfen.
    Und was ist jetzt? Jetzt lese ich genau denselben Satz in deinem Beitrag. Sehr cool!

  2. Hallo Storch, ich habe eben deinen Beitrag über „Soteriologie und Prophetie“ auf glaube.de gelesen – vielen Dank!

    Ich bin froh, daß du einige Dinge ansprichst, die auch mir ein Thema sind in der letzten Zeit und die ich auch genauso sehen kann wie du es schreibst.

    Am meisten aber freut mich, daß diese Sicht der Dinge die Kraft birgt, theologische Strömungen zueinander zu bringen und Versöhnung in so ekelhaften christlichen Grabenkämpfen zu stiften, wie ich sie heutzutage oft vorfinde.

    Du machst mir Mut und sicherlich auch vielen, denen es ähnlich geht. Weiter so,

    Timo

  3. hallo patrick und timo,

    danke schön. ihr könnt euch kaum vorstellen, wie ermutigend es ist so etwas zu lesen. es ist ja nicht so, dass man ganz unwidersprochen da steht wenn man sich mit heilung und generell gottes kraft auseinander setzt… es freut mich besonders wenn meine „Sicht der Dinge die Kraft birgt, theologische Strömungen zueinander zu bringen und Versöhnung in so ekelhaften christlichen Grabenkämpfen zu stiften“. das wäre ein echtes ziel von mir.
    ich halte es in der tat für falsch, dass es diese grabenkämpfe gibt und christen sich ständig zwischen zwei unvollständigen denkweise entscheiden müssen die ihnen eigentlich beide gehören!

    gottes segen euch!

2 Pingbacks

  1. […] Heilung III – Das Reich und der Auftrag II – die Spannung Heilung IV – Das Reich und der Auftrag III – Kennzeichen des Reiches […]

Schreibe einen Kommentar

Diese HTML-Tags und Attribute sind erlaubt: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>