ich hatte es im vorigen post schon angekündigt, dass die definition von „system“ sich ändern würde. ab jetzt meine ich mit system nur noch theologische systeme, die mit dem glauben an gott zu tun haben, die also davon ausgehen, ihren ursprung in einer offenbarung gottes zu haben.

viele theologen gehen von einer fortschreitenden offenbarung der bibel aus. dahinter steckt folgendes geschichtsbild:
im ersten jahrhundert war die offenbarung gottes in jesus christus naturgemäss noch sehr frisch, die apostel lebten noch und mit ihnen viele andere, die jesus persönlich gekannt und seine predigten gehört hatten. viele hatten pfingsten die erste ausgiessung des heiligen geistes persönlich mitbekommen. die atmosphäre war vom übernatürlichen geprägt, in den gemeinden war es noch üblich menschen in den gottesdiensten zu haben, die von den toten auferstanden waren oder andere heftige dinge erlebt hatten.

mit der zeit bildete sich in den kommenden jahrhunderten der kanon des neuen testamentes aus. schriften, die zweifelhaft waren wurden ausgetauscht. die offenbarung wurde zunehmend indirekt, von den aposteln lebte keiner mehr und man lernte gott über die bibel und den heiligen geist kennen. in dieser zeit begann das geisteswirken zu verflachen und spätestens als nach der fertigstellung des kanons die grossen theologischen grundwahrheiten etabliert wurden, lag der fokus eindeutig mehr auf der geistigen entwicklung als auf dem übernatürlichen wesen gottes. damit will ich nicht sagen, dass das wirken des heiligen geiste irgendwann einmal komplett aufgehört hat. ich bin zwar kein kirchenhistoriker, aber soweit mir bekannt, gab es in jeder zeit charismatische strömungen. aber diese waren während der folgenden jahrhunderte nicht so prominent wie die gedanklichen ströme.

im mittelalter verlor sich die offenbarung gottes mehr und mehr und man begann zu philosophieren, theologie zu betreiben, kreuzzüge zu führen, kirchenpolitik zu betreiben usw. das zeitalter der scholastik, in dem die europäische christenheit angeblich über so unwichtige fragen diskutierte, „wie viele engel auf einem stecknadelkopf tanzen könnten“, markiert für viele den absoluten tiefpunkt des christentums. die diskussion mit den engeln hat zwar so nicht wirklich stattgefunden, zeigt aber in welche dogmatische verstrickungen man sich hineinbegeben hatte. interessanterweise leitet sich das englische wort für „dummkopf“ (dunce) vom namen eines renommierten scholastischen denkers ab: duns scotus:“(vgl. alister mcgrath: der weg der christlichen theologie, münchen 1997, seiten 49-50)“:. schon der begriff „mittelalter“ ist abschätzig gemeint: mit ihm bezeichneten autoren der renaissance die geistig und geistlich uninteressante epoche zwischen der antike und der renaissance.
später, in der reformation, ging es wieder richtig nach vorne: luther entdeckte die errettung „ganz aus gnade“ wieder. erasmus von rotterdam gab das erste griechiche NT heraus (den textus rezeptus). auf einmal kam wieder bewegung in das christentum, gottes offenbarung nahm zu und stellte alte, vergessene glaubensgrundsätze wieder her.

„fortschreitende offenbarung“ bezieht sich demnach in erster linie auf die zeit ab der reformation. es geht nicht darum, dass gott eine grundlegend neue offenbarung gegeben hätte. der zug ist abgefahren, jesus ist gottes letztes wort (hebräer 1,1-2). vielmehr zeigt gott die dinge, die immer schon in der bibel gestanden haben neu. er offenbart und betont sie, stellt sie wieder her. ohne an offenbarung zu glauben ist die geschichte der denominationen nicht verstehbar. wenn gott nicht mehr reden und die menschen ihn nicht mehr hören würden, wäre der christliche glaube eine statische sache, bei der sich allenfalls die form noch durch auseinandersetzung mit der aussenwelt verändern würde. offenbarung geht aber davon aus, dass auch der inhalt noch änderungen unterworfen ist, je nachdem gott estwas offenbart.
je nachdem, wen man fragt sieht die geschichte der fortschreitenden offenbarung unterschiedlich aus. einige offenbarungen die genannt werden sind:

    – das heil ganz aus gnade (reformation)
    – das universelle priestertum aller gläubigen (reformation)
    – die neuentdeckung der geistesgaben und speziell des sprachengebetes (pfingstler)
    – die neuentdeckung der heilungsgabe (glaubensbewegung)
    – die entdeckung, dass gott kulturübergreifend ist (jesus freaks)
    – die neubewertung des dienstes der frauen (feministische theologie)

das führt zu der vermutung, dass es eigentlich gar nicht in gottes sinne ist, dass sich überhaupt theologische systeme gebildet haben und noch weniger, dass sich zu bewahrung und ausbau dieser systeme denominationen gebildet haben. dass wir heute eine so undurchschaubare menge an bekenntnisrichtungen innerhalb des leibes christi haben, mag an einem missverständnis liegen. vielleicht ging es gott ja darum jeweils den ganzen leib zu erfrischen, zu reformieren und zu verändern. vielleicht war es jagar nicht seine absicht, dass sich eine evangelische kirche bildete sondern dass die bestehende katholische reformiert würde.
so würde fortschreitende offenbarung nicht zu fortschreitender spaltung und zersplitterung der gemeinde jesu führen. im grunde ist es ein wahrer unzustand, dass sich die dinge so entwickelt haben, wie sie sich eben entwickelt haben: dass an dem ersten jahrhundert das christentum immer weiter zersplittert.

auf der anderen seite wäre es eine sozialutopie anzunehmen, dass es anders gehen könnte. neuerungen gefährden immer das alte. das alte mag sich nicht erneuern und noch weniger etwas von seinem anspruch aufgeben, den es einfach daher hat, dass es schon vorher bestanden hat. neues muss eigene strukturen aufbauen um überhaupt leben zu können.
ich weiss, dass es ein düsteres bild ist, das ich hier zeichne. aber im tiefsten grunde meines herzens bin ich davon überzeugt, dass eine reformation bestehender systeme nicht möglich ist. für ein bestehendes system steht im reformationsfalle alles auf dem spiel. wenn das, was ein system ausmacht in frage gestellt wird, dann wird es sich nicht ändern können ohne gefahr zu laufen, sich nach der änderung nicht wiederzuerkennen, also kaputtgegangen zu sein. wir haben als erneuerer immer eine tendenz auf die alten systeme und gemeinden herunterzuschauen, die nicht mit der zeit mitgehen wollen. dabei sollten wir uns aber eines vor augen halten: änderung heisst geistesgeschichtlich immer am zyklus von tod und auferstehung teilzuhaben. bevor etwas neues geboren werden kann muss das alte sterben. aber niemand stirbt gerne – und wenn, dann nur unter kampf.

wenn die annahme stimmt, dass systeme nicht veränderbar sind, zumindest nicht nachdem sie eine bestimmte grösse und tragfestigkeit der struktur erreicht haben, dann müssen reformströmungen ihrerseits strukturen ausbilden um ihrem auftrag gerecht zu werden. was dieser auftrag ist, davon handelt einer der nächsten posts. bis dann!

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7 Kommentare

  1. Hmmm, im Grunde stimme ich Dir zu. Jedoch gibt es selbst aus der systemischen Perspektive Möglichkeiten, wie Systeme ihre Strukturen ändern. Luhmann nennt das „Informationen“. Überaschende und neue Inputs, die eine Paradoxie im System herstellen, auf das nun das System reagieren muss. Systeme ändern ihre Strukturen, wenn sie Informationen wahrnehmen. Und hier liegt meiner Meinung nach das Problem: Jedes System selektiert seinen „Sinn“ selbst, also den Gegenstand der Beobachtung. Eine wichtige Abwehrtaktik, um Systeme stabil zu halten ist demnach das konsequente „Wegschauen“ oder systemisch ausgedrückt: Die Nicht- Beobachtung.
    Die Kunst der Veränderung der Systeme ist, Wahrnehmungsprozesse auszulösen, vielleicht sogar, als Systemteilnehmer Paradoxien zu kreieren, um Strukturveränderung herbei zu führen.
    Soweit zum Soziologischen. Interessanter finde ich aber die psychologische Ebene: Was bringt Menschen dazu, sich zu verändern ? Welche Prozesse finden im Bewußtseinssystem des Menschen statt ? Eine Frage, der sowohl Daggi (daggionline.blogspot.com) und Marlin (siyach.blogspot.com) nachgehen. Ich hoffe sie teilen der Blogosphäre ihre Ergebnisse mit…

  2. da sprichts du zwei probleme an, die ich bisher nicht lösen konnte.

    1. die definition von system.
    ich definiere nicht wie luhmann. das liegt daran, dass ich nicht über soziale systeme schreibe sondern über theologische. also eher gedankengebäude. dummerweise werden die aber erst in ihrer sozialen dimension greifbar. wenn barth seine dogmatik nach dem schreiben verbrannt oder vergraben hätte, wäre es zwar ein theologisches system gewesen, aber eines, das keine relevanz hätte weil es das leben keines menschen (ausser barth selbst) berührt hätte.
    theologische systeme werden erst diskutierbar, wenn eine anzhal menschen ihnen folgen. in dem sinne sind sie soziale systeme und können mit luhmann besprochen werden. aber ihr wesenskern ist nicht sozial, weswegen wir bei luhmann an der falschen adresse sind.

    in jedem fall glaube ich dennoch nicht an reformation eines systemes. wenn die „information“ kommt, kommt es zu spaltung oder teilung. ein paar bleiben und bauen eine mauer gegen die information, ein paar gehen und bauen ein neues system.

    2. paradoxien.
    das ist das grössere problem. meiner beobachtung nach gibt es in einem system keine paradoxien und keine brüche. innerhalb des systems kann das system nur wahre aussagen treffen. dabei kann es eine aussage oder erfahrung und ihr komplettes gegenteil gleichermassen integrieren.

    dabei hilft das „ketzerprinzip“: jemand, der einen widerspruch zeigt wird als häretiker abgestempelt. dass es häretiker gibt zeigt nur, dass das system auf dem richtigen weg ist, denn ihm weht der wind ins gesicht. damit beweist ein fehler im system nur, dass das system recht hat…
    der ketzer kann auch feind genannt werden, die kritik nicht inhaltlich sondern struktureller natur ist. dann spricht das system von der verfolgung der rechtgläubigen.
    bei kompletter ablehnung sagt das system, dass der böse zeitgeist ihm entgegensteht.

    aber wie man es dreht und wendet, von innen betrachtet hat das system immer recht. man kann es deshalb von aussen nicht angreifen, weil aussen per se feindlich ist. ein reformversuch von innen kann aber nihct stattfinden, weil das system einen reformator aus den eigenen reihen als einen fremdkörper wahrnehmen wird.
    wie man es dreht und wendet, es kommen immer wieder zirkelschlüsse heraus. das erinnert an joseph hellers „catch 22“.

    wenn das stimmt, ist ein system nur dann überhaupt veränderbar, wenn es externe kontrollen zulässt. aber das ist unwahrscheinlich, denn die meisten systeme schaffen sich ihre kontrollen selber und verlegen sie nach innen.

  3. Ok, ich bin natürlich gleich in Richtung soziale Systeme, wie Gemeinde oder JFI galoppiert. Allerdings würde ich theologische Gedankengebäude nicht als System, sondern als Beobachtung eines oder mehrere Systeme betrachten. Somit endet hier für mich die Notwendigkeit, theologische Systeme zu ändern. Luther hat z.B. ersteinmal kein System erneuert, sondern eine neue Beobachtung angestellt. Die Beobachtung der reformatorischen Theologie. Diese ist von vielen Menschen und sozialen Systemen als Information verarbeitet worden, in der Weise, dass Systeme neue Redundanzen schafften.

  4. Mir ist da ne ganz kleine kleinigkeit Aufgefallen…
    „bevor etwas neues geboren werden kann muss das alte sterben.“
    Das stimmt zwar für Samen die dann zu Bäumen werden aber im Tiereich stimmt es meistens nicht… außer zB so Spinnen die die tote Mutterspinne aufessen etc. …meistens ist es sogar gut das das alte noch nicht stirbt wenn das Neue klein ist. Ich glaub bei Gemeinden und Denominationen ist das auch oft so… ich denk manchmal das Gott vieleicht nur wegen unser Zeit heute, wo die Menschheit an sich in Tausend kleine Subkulturen zerfällt so viele Denominationen zugelassen hat, damit auch wirklich für jeden was dabei ist (rumspinn).

  5. Hey ihr,

    wie steht ihr zu Kreationismus. Einige freikirchliche Christen, zu denen ja auch die Jesus Freaks zu rechnen sind, vertreten steif und fest, das die Erde und daß gesamte Universum innerhalb von 6 Tagen entstanden sind und daß der Mensch nicht von den niederen Primaten abstammt. Die Evolutionstheorie nach Darwin wird als antchristlich verdammt, da sie ja den glauben an Gott angeblich zerstören würde. In Amerika wird oder wurde in einigen Bundestaaten auf Biologiebüchern ein Warnpickerl aufgeklebt, wo darauf hingewiesen wird, das die Evolutionstheorie keine wissenschaftlich bewiesene Theorie sei. Auch hier in Deutschland sind die Chaoten vom Verein Wort und Wissen e.V mächtig am Start solche Aktionen auch hier abzuziehen. Man muß kein Freund der darwinschen Evulotionstheorie sein, aber was hier abgeht erinnert an die
    Zeiten Galileo Galilei’s, der zum Papst hat gehen müssen um von sich von seinen Lehren loszusagen. Ich halte mich an die wissenschatlichen Fakten, daß vor 15 Milliarden Jahren das Uninversum in einem Urknall entstanden ist. Außerdem ist die Evulotionstheorie durch etliche Fossilienfunde bewiesene Tatsache. Man nehme 1 g Uran U 238, messe mit einem Dosimeter die Aktivität und ermittle die Halbwertszeit bzw. die Zerfallskonstante und rechne zürück wann dieses Uran 2 g waren. Da werden die Damen und Herren Kreationisten schauen, wann dies war.
    Ich wende mich entschieden gegen die Aufassung der Wissenschaft, daß die Welt so quasi aus dem Nichts entstanden ist, bzw. da Gott wohl völlig ausen vor gelassen wird. Aber wenn für Gott die Zeit eine unerschöpfliche Ressource ist, warum sollte er sich den Streß gegeben haben das in einer Woche durchzuprügeln, nur das einige Fundies in den USA dies steif und fest behaupten. Warum soltte er nicht bei der Erschaffung von Lebewesen nicht modelliert haben, bis er das Optimum herausgefunden hat, also den Homo sapiens sapiens aus den ( ich betone das mit Nachdruck) Primaten geschaffen hat. Ist unser Glaube so auf den Buchstaben fixiert, daß wir an den Tatsachen vorbeisehen oder sie sogar leugnen?
    Könnt ihr mir eine wissenschaftliche Antort gegen oder sagt ihr mir die stereotype Floskel :“du weißt was in der bibel steht“
    Also legt los.

  6. mit „hey ihr“ bin ja wohl auch ich gemeint. ich bin (unsicherer) kreationist, aber kein missionarischer. mir ist egal, ob einer kreationist ist oder (theistischer) evolutionist. ich habe kein problem mit deinen überzeugungen. vielleicht hast du ja recht.

    aber deine haltung, mit der du (1) „uns“ kreationisten begegnest, (2) freikirchler und jesus freaks mit irgendeinem feindbild, das du woanders gewonnen hast, identifizierst, (3) aus der überlegenen position des wissenden uns törichte zum sparring rufst, diese haltung solltest du überdenken. ein bisschen mehr liebe und demut ist für fruchtbare diskussionen hilfreich.

    was die jesus freaks denken, sollen sie dir selber antworten, wenn sie mögen. ich bin nur ihr freund und kann nicht für sie sprechen.

  7. tag underdog. ich schliesse mich erst einmal haso an. hier wird diskutiert, nicht gestritten. diskussionen ergeben sich wenn das thema für mehr als einen aktuell interessant ist, nicht nach aufforderungen oder herausforderungen.

    da ich darüber hinaus kein naturwissenschaftler bin kann ich mich dir nihct als kompetenter fragenbeantworter vorstellen. aber hier ist meine meinung zum schöpfungsbericht. natürlich eine theologische antwort, aber das ist erst einmal alles, was ich zu geben habe:
    http://www.jfrs.de/storch/blog/wordpress/2005/08/18/metatheologie-3-eiswurfel-und-sprache/

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