zunächst unterscheide ich zwei grundlegend unterschiedliche arten von theologischen systemen. diese unterscheidung hat erst einmal nicht mit theologie zu tun, es ist also eine unterscheidung, die auf jedes theologische system anwendbar ist, egal, was es für einen inhalt hat. diese unterscheidung beschreibt die perspektive, die das system auf „wahrheit“ hat. „wahrheit“ ist dabei das identitätstiftende element eines derartigen systems. wenn wir von gott reden, geht es um die wahrheit, die jemand erkannt hat.
dabei ist wahrheit nicht an glauben gebunden. es gibt auch atheistische systeme, deren wahrheit es ist, dass die bibel ein buch ist, das nur von menschen geschrieben ist, dass jesus ein guter mensch war und die letzte aussage des christentums in einer verhaltensnorm besteht, die das NT vorgibt. im unterschied zu systemen, die auf glauben aus sind, werden aus liberalen und atheistischen systemen immerhin keine denominationen. atheismus eignet sich nicht dazu, kirchen zu bilden.
im weiteren verlauf werde ich den begriff „theologisches system“ eingrenzen auf solche systeme, die den begriff „wahrheit“ mit dem glauben an einen gott verbinden.

blickwinkel die nebenstehende grafik zeigt die blickwinkel, die ein system mindestens einnehmen kann. links ist ein system, das den blick stark nach innen, auf das zentrum gerichtet hat. rechts ein system, das den blick nach aussen, auf den rand gerichtet hat. in der praxis hat das folgende auswirkungen:“(aus didaktischen gründen drehe ich die reihenfolge. sorry, ich hatte keine lust, die grafik noch umzustellen.)“::

1.systeme mit blick auf den rand
meiner ansicht nach ist dies das klassische modell eines theologischen systems. die identität wird über abgrenzung von anderen theologien und der welt gebildet. man weiss sehr genau, was man glaubt, aber das system ist in erster linie über seine grenzen definiert. das ist negative theologie par excellence, die definition über das, was man nicht ist, nicht meint und nicht glaubt.
wenn man einmal darauf achtet stellt man schnell fest, dass die meisten systeme so funktionieren. gestern habe ich z.b. einen buchprospekt eines bekannten verlages bekommen, in dem fast alle bücher nach diesem prinzip aufgebaut waren: „was gott wirklich über charismatischen lobpreis sagt“, „warum wir nicht an dieser und jener stelle mit dem zeitgeist/modernen theologischen strömungen/ etc. mitschwimmen“, usw.usf. bücher, websites, seminare, etc. gegen andere theologien gibt es haufenweise.
bei einer solchen blickweise kann man meist sehr gut den rand des systems feststellen. man kann sagen, ob jemand dazu gehört oder nicht. man kann die eigene position leicht gegenüber allen anderen abgrenzen. eine solche abgrenzungspolitik macht natürlich mühe und so gibt es in den entsprechenden richtungen jeweils sehr populäre grenzschützer, die alle anderen ansichten unter die lupe nehmen und ihnen fehler nachweisen.

der hauptnachteil dieses blickwinkels liegt imho darin, dass der blick auf das eigene zentrum verstellt ist. wenn identität nur über abgrenzung läuft verblasst das wesentliche, der kern. das kann man im gespräch feststellen, wenn angehörige dieser systeme minutiös darlegen können, was andere falsch machen, aber das, woran sie selber glauben nur in einigen programmatischen schlagsätzen darstellen können.
ich vermute, dass das eine historisch entwicklung ist, kann das aber derzeit nicht belegen. mit einiger sicherheit haben die gründer dieser systeme eine offenbarung gottes gehabt, die sie in den mittelpunkt der betrachtung gestellt haben. als das system mehr und mehr denominationellen charakter angenommen hat, wuchs der druck, sich abzugrenzen und nach innen hin zu konsolidieren. so wird spätestens die dritte generation von leitern angefangen haben, andere zu prüfen und sich abzugrenzen.

2.systeme mit blick auf das zentrum
systeme, deren blick sich auf das zentrum richtet funktionieren völlig anders. hier ist die abgrenzung gegenüber anderen weniger wichtig, denn dass identitätsstiftende element ist das zentrum, auf das sich alle mitglieder zu bewegen. in der konsequenz verschwimmen natürlich die grenzen zur welt und anderen theologischen systemen weil man einfach keine notwendigkeit verspürt, sich klar abzugrenzen. interessanterweise hat kester brewin in seinem buch „thecomplex christ“, es als ein kennzeichen emergenter gemeinden genannt, dass sie „blured borders“ haben, dass also ihre grenzen verschwimmen. offenbar wären also systeme mit unklar defninierteren grenzen besser an die postmoderne angepasst.
in der praxis gibt es noch recht wenige systeme, die zentrumsorientiert sind. es hat sicherlich schon immer welche gegeben, aber sie waren verhältnismässig in der unterzahl. erkennbar sind sie daran, dass in ihren gemeinden eine pluralität verschiedener ansichten in nicht wesentlichen punkten herrscht und dass die bedingungen für mitgliedschaft und mitarbeit sehr niedrig gehalten wird. entscheidend dafür, dazu zu gehören ist nicht, viele regeln zu befolgen, einen dresscode zu halten usw. sondern eine positive einstellung zum systemkern. im frommen deutsch könnte man von herzensmitgliedschaft sprechen.

um von randfixierten zu zentrumsorientierten systemen zu kommen müsste ein paradigmenwechsel stattfinden. und zwar leider einer der unwahrscheinlichsten sorte. menschen scheinen darauf ausgelegt zu sein, gerne gegeneinander zu kämpfen. in der gesamten menschheitsgeschichte scheint es keine zeit ohne krieg gegeben zu haben:“(humberto maturana und andere gehen davon aus, dass es in der steinzeit matristische kulturen gegeben hat, die keinen kriegt kannten. das wort „matristisch“ hat nichts mit matriarchat zu tun, also einer gesellschaft, die von frauen beherrscht wurde (matriarchate gab es sicher nicht). vielmehr ist eine nicht-agressive form des zusammenlebens gemeint. die entsprechenden archäologischen funde sind vermutlich auch anders interpretierbar, auf jeden fall ist sicher, dass sich diese formen nicht lange gegenüber kriegerischen nachbarn behaupten konnten.)“:. es liegt in unserem blut uns abzugrenzen und zu bekämpfen. systeme, denen es um das zentrum geht sind nicht beherrschbar, weil ihre mitglieder schlechter zu kontrollieren sind:“(damit spreche ich nicht gegen leitung. soziale systeme brauchen meiner ansicht nach immer leiten. mehr noch, sie haben eine leitung und zwar immer, wenn mehr als zwei personen zusammen eine gruppe bilden.)“:. da aber macht eine der haupttriebfedern bei allen systemen schlechthin ist, ist es unwahrscheinlich, dass sich solche systeme durchsetzen.

die geschichte des christentums ist leider eine sehr blutige und unrühmliche. noch vor wenigen hundert jahren hätte ich wegen der gedanken, die ich hier äussere, angst um mein leben haben müssen. wenn man die geschichte der christen als eine geschichte der theologie wertet (was weder ganz falsch noch ganz richtig wäre), dann wäre auch die geschichte der theologie eine unrühmliche und blutige. als zu zeiten der reformation die täuferbewegungen aufkamen („tauffgesinnte“), wurden ihre anhänger von den reformatoren zum teil blutig verfolgt. bücher wie der „märtyrerspiegel“ bezeugen die tötung tausender männer, frauen und kinder. in einigen der gemeinden mussten die prediger ehelos leben, nicht weil man an das zölibat glaubte sondern weil der märtyrertod fast sicher war und der mann so wenigstens keine familie hinterliess…

das ist die extremste spielart des ersten blickwinkels. abgrenzung bis zum tod oder töten. jede geschichte ist mit blut geschrieben, aber bei unserer eigenen macht es mich schaudern. weil dieser charakterzug des menschen in allem was er tut deutlich wird, kann ich kaum glauben, dass wir einen flächendeckenden paradigmenwechsel hin zu zentrierten systemen erleben werden.
aber es ist eine schöne vision: christen, die genau wissen, was sie glauben und darüber mit andersgesinnten in diskurs treten können. christen, die glauben ohne fanatisch zu sein, in deren gemeinden man sich als nichtgläubiger genauso wohl fühlen kann wie als andersgläubiger. in deren denken und gemeinden liebe wichtiger ist als wahrheit und barmherzigkeit als ideologie. hoffentlich ist es wirklich eine vision und keine utopie—–

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nachsatz:
zum ende noch eine preäsentation, die dasselbe als strukturmodelle darstellt. ich habe darüber 2004 bei willofreak ein seminar gemacht. wen es interessiert, der kann sich hier die animierte powerpointpräsentation hier runterladen. viel spass!

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