18. November 2010 11

Nachfolge

1937 schrieb Dietrich Bonhoeffer ein aufwühlendes, verstörendes Buch. Ein katholischer Blogger schreibt: „Ich kann mich nicht erinnern, einen spröderen Text je gelesen zu haben. Gleichzeitig wüsste ich nicht, welche Schrift eines Theologen mich unvermittelter getroffen hätte.“ Es geht mir ähnlich; Bonhoeffers „Nachfolge“ hat eine Aktualität, der man sich schwer entziehen kann.

Die dreißiger Jahre waren überschattet vom aufziehenden Krieg, Pogrome lagen in der Luft, und die Kirche war dabei sich anzupassen. 1937 schloss die NS-Regierung Bonhoeffers Predigerseminar in Finkenwalde. Man merkt seinen Büchern eine tiefe Sorge um die Kirche an, die sich auch in seinem (kirchen-) politischem Werk in dieser Zeit niederschlug: Er spürte, dass die Kirche innerlich zu geschwächt war, um dem gewachsen zu sein, was kommt. So arbeitete er in fieberhafter Eile an Allianzen und Bekenntnissen, um der Kirche die Kraft zu geben, sich gegen den beginnenden Nationalsozialismus zu stellen.
In diesem Klima wurden die berühmten und bewegenden Zeilen des ersten Kapitels von „Nachfolge“ geschrieben:

Billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. Unser Kampf heute geht um die teure Gnade.
Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung, verschleuderter Trost, verschleudertes Sakrament; Gnade als unerschöpfliche Vorratskammer der Kirche, aus der mit leichtfertigen Händen bedenkenlos und grenzenlos ausgeschüttet wird; Gnade ohne Preis, ohne Kosten. Das sei ja gerade das Wesen der Gnade, dass die Rechnung im voraus für alle Zeit beglichen ist. Auf die gezahlte Rechnung hin ist alles umsonst zu haben. Unendlich groß sind die aufgebrachten Kosten, unendlich groß daher auch die Möglichkeiten des Gebrauchs und der Verschwendung. Was wäre auch Gnade, die nicht billige Gnade ist?
Billige Gnade heißt Gnade als Lehre, als Prinzip, als System; heißt Sündenvergebung als allgemeine Wahrheit, heißt Liebe Gottes als christliche Gottesidee. Wer sie bejaht, der hat schon Vergebung seiner Sünden. Die Kirche dieser Gnadenlehre ist durch sie schon der Gnade teilhaftig. In dieser Kirche findet die Welt billige Bedeckung ihrer Sünden, die sie nicht bereut und von denen frei zu werden sie erst recht nicht wünscht.
[…]
Teure Gnade ist das Evangelium, das immer wieder gesucht, die Gabe, um die gebeten, die Tür, an die angeklopft werden muss. Teuer ist sie, weil sie in die Nachfolge ruft, Gnade ist sie, weil sie in die Nachfolge Jesu Christi ruft; teuer ist sie, weil sie dem Menschen das Leben kostet, Gnade ist sie, weil sie ihm so das Leben erst schenkt; teuer ist sie, weil sie die Sünde verdammt, Gnade, weil sie den Sünder rechtfertigt… Teure Gnade ist Menschwerdung Gottes.
(Bonhoeffer, Dietrich: Nachfolge, S. 14-16 der Originalausgabe)

Worüber Bonhoeffer spricht, ist eine schwache Kirche, die von Gnade spricht, aber Gott nicht ernstlich sucht, eine Kirche, die Herrlichkeit sucht, aber das Kreuz verachtet. Eine solche Kirche wird niemals Stand halten, wenn Standfestigkeit gefragt ist.
Besonders wühlt mich auf, dass man in einer solchen Kirche Bedeckung der Sünden bekommt, die man nicht bereut und von denen man nicht frei werden will. So wird Gnade zu einem Freibrief für Sünde. Wir sind ja erlöst, egal was wir tun und wie wir leben. Gerade diese Geisteshaltung treffe ich allüberall bei Jesus Freaks an. Wir haben ein Fundament von Vergebung und wissen, dass wir errettet sind. Aber wir haben auf dieses Fundament nichts aufgebaut und sind nicht zu der Erkenntnis gekommen, was das Opfer Jesu wirklich bedeutet.
Jesus ist nicht gestorben, damit uns Sünde nicht tötet, sondern damit die Sünde getötet wird. Er ist nicht gestorben, damit wir frei sind, zu sündigen, ohne Angst vor Strafe zu haben, sondern damit wir frei sind von Sünde. Ich meine, dass ein Ruck durch unsere Bewegung gehen muss, der uns rausreißt aus einem Lebensstil, der Sünde toleriert (und nicht selten feiert) und uns zu einem heiligen Leben befreit. Alles andere nimmt der Gnade, die Jesus alles gekostet hat, ihren Wert und verkauft sie unter Preis.

[dieser Artikel ist im kranken Boten erschienen]

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11 Kommentare

  1. danke.
    ich habe letztens mal in einer predigt erwähnt, dass es ein großer verdienst der jesus freaks ist die gnade ( und liebe ) gottes neu betont und zentriert zu haben. ein großes erbe und ich denke wir dürfen sehr dankbar dafür sein (ok wir waren / sind ja dabei ).

    ich finde es mutig, dass du öffentlich aussprichst, dass es eine art „auf der stelle “ tretten gibt. aber : wer auf der stelle tritt, bewegt die beine noch 🙂 und muss vielleicht nur mal geschubst werden.

    eine kleine ergänzung : geistliche autorität möge nicht nur gehört sondern auch bedacht und befolgt werden.

  2. die gefahr ist bei so was natürlich, dass man gute grundlagen über den haufen wirft und dann bei gesetzlichkeit rauskommt. das möge nicht passieren, ich bin aber auch eher zuversichtlich, dass sich das gelegte fundament von gnade und liebe als tragfähig erweist und man nun etwas heiligkeit darauf aufbauen kann.

  3. heilige bombenleger 🙂

  4. starke Worte!
    „Und sie entsetzten sich über seine Lehre, denn er lehrte mit Vollmacht und nicht wie die Schriftgelehrten“ 😉

  5. @ miriam: und das ist erst der Anfang! in den nächsten tagen beginnt eine recht lange reihe über die „nachfolge“, die ich im urlaub gelesen habe. ich hätte echt nicht erwartet, dass das buch so krass ist.

  6. Ja..das ist schon wahr..

    Die andere Seite der Medaille:

    Man müsste sich mal in Ruhe angucken, was in evangelikalen Kreisen [nein – ich schere nicht alle über einen Kamm!] so alles unter Heiligung firmiert, was bei Licht besehen nicht viel anderes ist als eine bestimmte „christliche Kultur“!

    Im allgemeinen bekomme ich dort das Gefühl, dass viel zu schnell von „Sünde“ die Rede ist:

    Nicht, dass es sie nicht gäbe..
    aber in dem Moment, wo wir von Sünde sprechen [zum Beispiel (unseren) Kindern gegenüber!], sagen wir damit, dass Gott etwas hasst!

    Stärker kann man Gewissen nicht binden – und das sollten wir im Wesentlichen Gott selbst überlassen, bzw. nur dort tun, wo es tatsächlich eindeutig ist (Mord, Lügen, Habgier..).

    Nur am Rand:

    Ich habe bei den Jesus Freaks (insbesondere der ersten Jahre) viele Predigten gehört, die sehr klar und glaubwürdig zu Heiligung aufgerufen haben..und ich habe auch die Früchte gesehen.
    Die – zugegeben – nicht immer geblieben sind.

    Der Hauptunterschied:

    Damals waren die JF noch weit von dem entfernt, was ich als „evangelikale Ideologie“ bezeichnen würde – was heute [nach meiner Wahrnehmung] in großen Teilen leider ganz anders ist.

    Davon abgesehen:

    Das Jesus nicht gestorben ist, damit uns Sünde nicht tötet, sondern die Sünde getötet wird [bzw. wir für sie tot sind!], ist natürlich absolut wahr!

    Und schön gesagt.

  7. Was ich noch geagt haben wollte:

    Nein, ich habe kein Feindbild „Evangelikale“.
    Ich bin ja [per Definitionem] selber einer.

    Allerdings kenne ich auch genau deswegen die Innenansicht..und die ist nicht immer (und nur) hübsch.

    Just for the record.

  8. das hätte ich auch nicht gedacht (andere vielleicht schon – wer weiß?)

    inhaltlich sprichst du einen interessanten punkt an.mehrere eigentlich, aber wichtig ist auf jeden fall die frage, was denn sünde ist. und paradoxerweise meine ich, dass wir sie vielleicht nicht beantworten sollten, oder zumindest nur unscharf. das problem, das du ansprichts sehe ich nämlich auch: man bastelt dann schnell eine regelkultur in der man alles mögliche nicht mehr darf und verwechselt diese dann mit gottes wort. ist immer das problem mit regeln und katalogen. wird schwer sein dem zu entkommen.

    mal am rande: was sind denn die JF deiner wahrnehmung nach nun? gern auch über mail, wenn das hier nicht der rechte ort dafür ist.

  9. in einem buch über religionsgemeinschaften werden die jesusfreaks als „evangelikal charismatische “ jugendbewegung beschrieben.
    davon mal abgesehen ist ja heiligung kein primär evangelikales thema. viele pfingstbewegungen (über) betonen dies. sieht man in die anfänge der elim bewegung oder nach pensecoala sieht man ein sehr starke betonung in richtung was hier als evangelikale ideologie bezeichnet wird. ich bin in einer sehr pietistischen gemeinde christ geworden und verstehe was gemeint ist und habe auch jahrelang gedacht dies wäre ein primär evangelikales problem, stichwort gesetztlichkeit, aber man findet es überall.

    ps: nur aus alter liebe würde ich auch gerne erfahren wie die jesusfreaks den geshen werden… von innen und aussen :-).

  10. Findest Du den Text auch spröde, Storch? Das würde mich als Schreiberling einfach mal interessieren, um die heutige Wahrnehmung von solcher Literatur zu verstehen. Wenn ja, warum ist er „spröde“?
    Bin immer wieder erfreut über solche Posts, denn man braucht die Weisheit der „Alten“, auch wenn sie nicht alt geworden sind!

  11. da stellt sich zunächst die frage, was „spröde“ genau ist. irgendwie ein schönes adjektiv, aber es ist schwer zu sagen, was einen text spröde macht.
    auf mich wirkt er oft alt, verschnörkelt. manches ist schwer zu lesen weil bonhoeffer viel voraussetzt und zum teil recht lange sätze macht. ich kann das aber schlecht beurteilen wie man heute solche texte (normalerweise) wahrnimmt weil ich viel solche sachen lese. und gegen kant und co ist die nachfolge noch sehr einfach zu lesen.

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