27. Oktober 2010 3

die beiden Klarheiten

Martin Luther hatte eine interessante Theorie zur Auslegung der Bibel. Er unterschied eine innere und eine äußere Klarheit (claritas interna und externa.

Freilich gestehe ich, daß viele Stellen in der Schrift dunkel und verschlossen sind, nicht wegen der Erhabenheit der Dinge, sondern wegen der Unkenntnis der Worte und der Grammatik, die jedoch in nichts das Verständnis aller Dinge in der Schrift aufhalten kann. Denn was kann an Erhabenem in der Schrift verborgen bleiben, nachdem die Siegel gebrochen, der Stein von des Grabes Tür gewälzt und damit jenes höchste Geheimnis preisgegeben ist: Christus, der Sohn Gottes, sei Mensch geworden, Gott sei dreifaltig und einer, Christus habe für uns gelitten und werde herrschen ewiglich? Wird das nicht sogar in Elementarschulen bekannt gemacht und dort auch gesungen? Nimm Christus aus der Heiligen Schrift, was wirst du außerdem noch darin finden? Die Dinge also, die in der Schrift geltend gemacht sind, sind alle zur öffentlichen Kenntnis gebracht, wenn auch einige Stellen bisher aus Unkenntnis der Worte dunkel sind…1

Hierin zeigt sich die typisch Luthersche Unterscheidung der inneren und äußeren Klarheit: Während die Grammatik einer Passage unklar sein und so den Sinn verschleiern kann, ist doch der Inhalt der Schrift – nämlich Christus – für jeden klar und zugänglich. Laut Luther ist es eine Lüge Satans, dass die äußere Unklarheit sich auf die innere Klarheit auswirkt. Durch diese Lüge wurden Christen abgehalten, sich mit Gottes Wort auseinander zu setzen und die innere Klarheit der Schrift für sich selbst zu entdecken.
Ich finde den Gedanken berückend modern. Mir kommt es auch so vor, dass die Hauptarbeit der Theologie mit der äußeren Klarheit zu tun hat, während der Glaube an der inneren Klarheit interessiert ist und von ihr lebt. Ich stelle es selbst immer wieder fest, dass mein Glaube leidet, wenn ich mich mit den dunklen Stellen beschäftige und auflebt, wenn ich mit der inneren Klarheit der Schrift beschäftige.
Während das Evangelium auch für Kinder in der Grundschule begreifbar ist, stellt uns die Form der Bibel oft vor Rätsel, die auch für kluge Köpfe echte Herausforderungen darstellen. Als jemand der in dieser Spannung zwischen Herz und Verstand lebt weiß ich, dass man an dieser doppelten (Un)klarheit leiden kann, dass sie aber auch einen starken Reiz ausmachen kann.

Später, in derselben Schrift, definiert Luther den doppelten Schriftsinn wie folgt:

Es gibt eine zwiefache Klarheit der Schrift, so wie auch eine zwiefache Dunkelheit, eine äußerliche im Dienst des Wortes gesetzte und eine andere, in der Erkenntnis des Herzens gelegene. Wenn du von der inneren Klarheit sprichst, nimmt kein Mensch auch nur ein Jota in der Schrift wahr, wenn er nicht den Geist Gottes hat.

Auch die äußere Klarheit der Schrift ist im Grunde genommen klar. Sie wird nur vernebelt durch die Schalkheit des Satans (wie Luther es so schön sagte), der uns zu bildhafter Auslegung verführt, die von der unmittelbaren (und einfachen) Auslegung des Wortes ablenkt:

Ich habe dieses beobachtet, daß alle Haeresien und Irrtümer in der Schrift nicht aus der Einfachheit der Worte gekommen sind, wie man fast auf dem ganzen Erdkreis verbreitet, sondern aus der Nichtbeachtung der Einfachheit der Worte und aus den Bildreden oder Folgerungen, die man aus dem eigenen Gehirn zu gewinnen sucht…

Auch heute noch ist es durchaus sinnvoll und unterhaltsam Luther zu lesen. Umso mehr weil eine aktuelle amerikanische Studie herausgefunden hat, dass nur knapp die Hälfte der US-Bürger wissen, dass Martin Luther mit der Reformation zu tun hatte! Die Studie ist beängstigend und hat unter anderem auch gezeigt, dass die wenigsten amerikanischen Katholiken wissen was Transsubstantiation ist. Da fragt man sich doch, was die Menschen eigentlich glauben, die sich selbst als gläubig bezeichnen.

Be Sociable, Share!
  1. Daß derf reie Wille nichts sei (1525). Deutsche Übersetzung in M. Luther, Ausgewählte Werke, hrsg. von H. H. Borcherdt und G. Merz. Ergänzungsreihe 1. Bd., München3 1962, S. 15 ff. []

3 Kommentare

  1. @Storch: Ich habe damals im Kommunionunterricht nie bewußt den Begriff „Transsubstantiation“ wahrgenommen. Dass aber Brot (ehm… Hostie) und Wein (mit Wasser vermischt) in den Leib und das Blut Jesu verwandelt würden, hat man mir schon verständlich vermittelt.
    Vielleicht kranken auch manche Umfragen an einer für die Befragten nicht verständlichen Fragestellung und nicht nur am fehlenden Wissen der Befragten?

  2. Sehr hilfreiche Unterscheidung – merci fürs Entdecken.

  3. @ Thomas: ich vermute, dass Trans… Im englischen geläufiger ist, da liest man es auch in „normalen“ Büchern. In einer deutschen Umfrage würde man wohl „Wandlung“ schreiben.

Schreibe einen Kommentar

Diese HTML-Tags und Attribute sind erlaubt: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>