20. August 2010 0

Predigt: fleißige Liebe

Meine letzte Predigt in Remscheid handelte von Freundlichkeit. Als Tugend scheint diese in Vergessenheit zu geraten, sie ist aber nach Galater 5 ein Teil der Frucht des Geistes und damit etwas, das Gott selbst in uns hervorbringen möchte. Galater 5,22-23 handelt von dem Charakter, den sich Gott für uns wünscht. Der Weg zu diesem Charakter ist denkbar einfach, denn Gott selbst bringt ihn in uns hervor, wenn wir mit ihm leben. Frucht zu bringen ist etwas einfaches, ein Baum schwitzt nicht und muss nicht hart arbeiten, um Äpfel oder Birnen an seine Zweige zu hängen – es geschieht von selbst; es folgt seiner Natur. Keine Frucht hervorzubringen ist unnatürlich.
Es ist wichtig, dieses Prinzip zu verstehen, denn oft gehen wir total falsch an geistliche Segnungen heran: Wir sind überrascht, wenn jemand nach einigen Jahren Christsein ein heiliges Leben führt oder Gottes Reden hört. Es sollte umgekehrt sein: Wir sollten überrascht sein, wenn jemand mit Jesus lebt und nicht heilig und voll des Geistes ist – nicht diejenigen sind seltsam, die Gott erleben, sondern die anderen.
So verstanden würden andere Fragen stellen. Die Frage wäre dann nicht mehr: „was macht dieser richtig, dass er so gesegnet ist?“ sondern: „Was macht diese falsch, dass sie es nicht ist?“ Mit solchen Fragen lässt sich viel fruchtbarer arbeiten und Glaube ist nicht mehr das Lotteriespiel, als das er manchen Gläubigen erscheint.

Ich möchte heute über eine weitere Tugend sprechen, die nicht direkt in Galater 5 steht, aber daraus folgt: Über den Fleiß. In der Bibel ist viel die Rede von Liebe. Das Griechische ist, was das Wort angeht, differenzierter als das Deutsche. Im Griechischen gibt es ein Wort für körperliche Liebe, ein anderes für die Liebe in der Familie, noch ein anderes für die unter Freunden und eben auch ein Wort für die reinste und höchste Form der Liebe, wie sie auch im Galaterbrief genannt wird. Diese Liebe heißt agape und bedeutet eine unbedingte, aber auch praktische positive Einstellung gegenüber einem anderen.

Es ist dieselbe Liebe, mit der auch Gott uns liebt: Er hat eine unbedingt und unbeirrbare positive Einstellung uns gegenüber, ein absolutes Wohlwollen. Natürlich würde das niemandem etwas nutzen, wenn es theoretisch bliebe, aber Gottes positive Einstellung zu uns zeigt sich in seinem Segen und seiner Erziehung. Liebe kann nicht theoretisch bleiben, sonst wäre sie wertlos. Deswegen steht gerade im 1.Johannesbrief und im Jakobusbrief, dass man sich selbst und andere glatt belügt wenn man behauptet zu lieben, aber diese Liebe sich nur in Worten und nicht in Taten ausdrückt.

Die Motivation der Nächstenliebe
Am Montag habe ich einen Vortrag bei der Studentenmission in Köln gehalten, in dem es um das Thema „soziale Verantwortung als Christ“ ging. Ein Teil davon geht mir noch immer nach, so dass ich heute wieder darüber nachgedacht und gebetet habe. Karl Marx (1818-1883) prägte im neunzehnten Jahrhundert den berühmten Satz, dass Religion das Opium des Volkes sei. Damit meinte er, dass Religion den Menschen einlullt und ihm die Kapazität nimmt, sich mit dem Leid in der Welt auseinanderzusetzen.

„Marx vertrat die Auffassung, die Religion im Allgemeinen wolle die in der Gegenwart Leidenden trösten, indem sie ihnen die Freude eines Lebens nach dem Tode schmackhaft mache. Dadurch lenke sie sie von der Aufgabe ab, die gegenwärtige Welt so zu verändern, dass das Leiden aufgehoben werden könne.“1

Marx hatte ein fast schon religiöses gesellschaftliches und politisches Konzept. Er stellte sich die Welt potentiell als einen Ort vor, an dem jeder gut leben und glücklich sein konnte. Er hatte die Vision einer gerechten und für jeden Menschen lebenswerten Welt.
Nun beobachtete er wohl, dass der christliche Glaube die Erfüllung dieser Vision auf das Jenseits oder eine Zeit in der Endzeit verschob, die unerreichbar weit weg ist. Wer aber fest damit rechnet, dass er einmal nach dem Tode in einer Welt aufwacht, in der es keinen Hunger und keine Krankheit mehr gibt, der wird sich in dieser Welt nicht im Kampf gegen Hunger und Krankheit engagieren.
Auch wenn Marx sicherlich Christen um sich herum fand, die so gelebt haben, ist das Konzept dennoch theologisch außerordentlich fragwürdig, weil Jesus ein Reich gepredigt hat, das hier beginnt – nicht erst im Himmel. Wir bauen ein ewiges Reich, das bereits jetzt anfängt. Überdies ist es gerade Gottes Liebe die uns antreibt uns für den Nächsten stark zu machen.

Aus zwei Gründen wundert mich diese Einschätzung außerordentlich; der eine ist ein persönlicher, der andere ein historischer Grund.

1) Ich selber habe ein grundlegendes Interesse an sozialen Dingen und dem Gemeinwohl erst kennen gelernt, als ich anfing mit Jesus zu leben. Vorher stand ich sehr unter dem Einfluss einer Haltung der Sinnlosigkeit die aus einem überwältigenden Gefühl der Zeitlichkeit stand. Ich sah keinen Sinn darin, in etwas zu investieren, das ohnehin in einigen Jahrzehnten vorbei sein würde. Sicherlich ritt diese Perspektive auf der Welle des Punk-Lebensgefühls, dass ich als Jugendlicher hatte. Dennoch war es real.
Spätestens wenn in einigen Milliarden Jahren die Sonne am Ende ihres Lebens angelangt ist und sich bis über die Erdumlaufbahn ausgedehnt haben wird, ist alles vorbei in das wir investiert haben. Dann wird es egal sein, wie wir gelebt haben, denn niemand wird sich an uns erinnern. Dieses Lebensgefühl setzte nicht nur dem Fleiß sondern auch jedem sozialen Handeln ein Ende.
Es änderte sich allerdings dramatisch als ich selbst die Liebe Gottes kennen lernte und verstand, dass er nicht nur mich liebt, sondern ebenso jeden anderen Menschen. Jesus sagt, dass man nicht Gott lieben aber anderen gleichgültig gegenüber stehen kann.

20 Wenn jemand behauptet: »Ich liebe Gott!«, aber seinen Bruder oder seine Schwester hasst, ist er ein Lügner. Denn wenn jemand die nicht liebt, die er sieht – seine Geschwister -, wie kann er da Gott lieben, den er nicht sieht?

Ich habe also eher die entgegen gesetzte Erfahrung gemacht, dass nämlich Glaube motiviert anderen zu helfen. Diese Erfahrungen haben auch viele andere gemacht und letztlich hat Albert Schweitzer (1875-1965) einiges das Mitleid aus christlicher Sicht geschrieben. Schweitzer war gerade einmal acht Jahre alt als Karl Marx starb, so dass es keinen intellektuellen Austausch zwischen den beiden gab. Aber ein anderer Christ zeigte als Zeitgenosse Marx’ wie falsch dieser lag. Das ist der historische Grund für meine Verwunderung.

2) Viele soziale Reformationen wurden aus einer christlichen Grundhaltung heraus vorangetrieben. William Booth (1829-1912) gründete die Heilsarmee, die sich intensiv mit den Nöten der Ärmsten auseinandersetzte und in London schwerpunktmäßig in den ärmsten Stadtteilen wie Whitechapel und Spitalfields arbeitete.

Die Heilsarmee stellte zu dieser Zeit die Welt ziemlich auf den Kopf, machte auf soziale Missstände aufmerksam und wurde sogar die treibende Kraft hinter einigen Gesetzesänderungen. Es ist schwer vorstellbar, dass Karl Marx von diesem Engagement nichts mitbekommen haben soll. Offensichtlich treibt Religion den Menschen nicht notwendigerweise in Passivität seiner Umwelt gegenüber – mindestens bei manchen geschieht das gerade Gegenteil und Gottes Geist rüstet sie aus, ihre Welt zu verändern.

Die Begegnung mit der Liebe verändert

Wer eine Begegnung mit Gottes Liebe hatte, wird den Nächsten in den Blick bekommen und ihm dienen wollen. Liebe führt immer zu Dienst, anders ist das gar nicht denkbar.
Wenn wir möchten, dass unsere Städte sich verändern ist Liebe der Schlüssel. Der Schlüssel für die Liebe liegt wiederum in der Frucht des Geistes und der Hingabe an Jesus. Setzen wir uns Jesus aus, wird seine Liebe mehr und mehr in uns wirksam werden und wir werden die Welt mit derselben Liebe lieben wie Christus uns liebt – ab da ist es keine Frage mehr, dass wir uns für unsere Mitmenschen engagieren.

[Audiopredigt]

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  1. McGrath, Alister E.; Wiese, Christian (1997): Der Weg der christlichen Theologie. Eine Einführung. München: Beck, S. 557 []

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