8 Wer ein weises Herz hat, nimmt Gebote an, ein törichter Schwätzer aber kommt zu Fall. (Sprüche 10,8 nach der Zürcher)

Ich muss immer ein bisschen schmunzeln, wenn ich solche Sprüche lese. Speziell in meiner Jugend habe ich das genau umgekehrt gesehen. Es war kein Zeichen für Weisheit, wenn man Gebote angenommen hat. Eher war es umgekehrt: Wer verstanden hatte, wie schlecht die Welt läuft, und dass es gerade das Einhalten von Geboten ist, das den Status Quo schützt, der wird sich gegen jedes Gebot auflehnen und eher das Gegenteil dessen tun, was ihm gesagt wird.
Jahre später sehe ich es ganz anders aber immer noch ähnlich. Es ist tatsächlich weise, Weisungen annehmen zu können, aber die Haltung darin hat sich völlig geändert. Es ist eine Sache etwas zu tun (oder zu lassen) was jemand sagt und eine ganz andere mit welcher Haltung oder aus welcher Motivation man das tut. Tatsächlich finde ich mich heute in der Retrospektive als unfrei. Ich konnte bestimmte Dinge nicht tun weil Eltern und andere Autoritäten sie taten.
Heute bin ich frei viele Dinge zu tun, aber ich habe auch Überzeugungen entwickelt, die mich manches tun lassen, was mir früher spießig erschienen wäre. Heute würde ich mich als wertkonservativ bezeichnen, das schließt Unkonventionalität nicht aus. Früher hätte mir die innere Freiheit gefehlt, mich als konservativ zu bezeichnen.
M.Scott Peck hat in den 80ern eine alte Theorie psychologisch wieder aufgewärmt und spricht von der vierten Stufe der Entwicklung (stage four). In dieser Stufe entdeckt man Gutes und Wichtiges an Dingen gegen die man früher mit Leidenschaft rebelliert hat. (Wen das interessiert, der möge einfach mal nach Peck und stages googeln). In Nietzsches Entwicklungsgleichnis aus dem Zarathustra entspricht diese Phase dem Kinde. Nietzsche zufolge beginnt die geistige Entwicklung des Menschen auf der Stufe des Kamels: Er lässt sich klaglos alles aufladen und erträgt es gerne. Dann wird er zum Löwen und verwirft alles, was man ihm aufgeladen hat – er stellt sich gegen jeden Glauben und jedes Gesetz. Zuletzt wird er in der Wüste zum Kind – bereit zu lernen und voller Offenheit gegenüber der Welt und ihren Ideen.
In dieser Entwicklungsstufe kann man Weisheit lernen. Man übernimmt nicht mehr ein Konzept, weil jemand anders es sagt. Man muss auch nicht mehr alles über den Haufen werfen um sich selbst zu behaupten sondern kann mit innerer Sicherheit lernen.

Von dieser „Entwicklungspsychologie“ (nicht im Sinne Piagets und anderer) her wäre der törichte Schwätzer jemand der in einer Stufe hängen geblieben ist. Ein Leben lang Kamel zu sein ist ebenso falsch wie ein Leben lang Löwe zu sein. Viele Menschen verbringen ihr Leben in einem der beiden Stadien. Entweder kommen sie über ein bloßes Repitieren von Wahrheit nicht hinaus, bauen dabei aber keine innere Beziehung zur Wahrheit auf, oder sie kämpfen in lebenslanger Auflehnung gegen alles und jeden, der im Gewand der Autorität daher kommt.
Vermutlich meinte Salomo in einem engeren Sinne betrachtet, nur die zweite Form mit dem törichten Schwätzer. Im Grunde sind aber beide Formen ähnlich weit von der Weisheit entfernt. Vielleicht ist der Löwe, auch wenn er uns schwieriger erscheint, sogar näher dran, denn er lebt schon in seiner Rebellion, das Kamel hat sie erst noch vor sich.

Be Sociable, Share!

Schreibe einen Kommentar

Diese HTML-Tags und Attribute sind erlaubt: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>