27 Weigere dich nicht, dem Gutes zu tun, der ein Anrecht darauf hat, wenn es in deiner Macht steht, es zu tun.
28 Sage nicht zu deinem Nächsten: Geh und komm später wieder, morgen will ich dir etwas geben – wenn du es jetzt vermagst. (Sprüche 3,27-28 nach der Zürcher)

Manche Bibelstellen sind tagespolitisch brisant. Diese gehört sicherlich dazu.
Die Bibel enthält in beiden Testamenten eine hochstehende Ethik deren zentraler Begriff „der Nächste“ ist. Der Nächste ist der, der mich braucht. Sobald ich jemanden leiden sehe und ich seine Not lindern oder abstellen kann, ist er mein Nächster. Die Not dieses Nächsten ist meine Pflicht, man kann sich ihr nicht entziehen ohne sich an der Gesellschaft zu versündigen, denn die Gesellschaft war auf diesem Prinzip der Nächstenliebe aufgebaut. Die einzige Schwierigkeit bietet hier die Wendung „wenn er ein Anrecht darauf hat“. Im Grunde würde man die Bibel so verstehen, dass sich aus der Not das Anrecht ableitet – wer in Not ist hat ein Recht auf Hilfe.
In den modernen westlichen Gesellschaften finden wir dieses Prinzip etwas verändert vor. Das europäische Sozialsystem ist nach dem Subsidiaritätsprinzip aufgebaut, in dem die Gemeinschaft hilft, wenn der einzelne nicht helfen kann. Das Prinzip ist fest verankert in christlichem Handeln und nicht zuletzt von christlichen Denkern mitentwickelt und ausformuliert worden. Es bedeutet konkret in der modernen Politik, dass der Bund zunächst Träger auf Landes- oder Städteebene sucht, bevor er selbst eine (soziale) Verantwortung wahrnimmt. Aber er HAT die soziale Verantwortung, etwa für den Unterhalt von Arbeitslosen.
Ein solches System gab es natürlich im antiken Israel nicht. Soziale Hilfe war zumindest im Wesentlichen Nachbarschaftshilfe, die auch von Kommunen oder geistlichen Strukturen übernommen werden konnte, aber nicht per se Sache des Staates war.
Heute sieht es eher so aus, dass wir durch Steuern dem Staat helfen, seinem sozialen Auftrag nachzukommen, er aber die Armen speist, die Arbeitslosen bezahlt usw. Dadurch gerät der Nächste zunehmend aus unserem Blickfeld und vielfach leisten Bundesbürger gar keinen sozialen Beitrag, der über das zahlen von Steuern hinausgeht. Eine Gesellschaft ist aber darauf angewiesen, dass ihre Bürger sich ins Gemeinwohl investieren, indem sie sich gegenseitig helfen und sich ehrenamtlich engagieren. Aktuelle Diskussionen über die Schließung von Schwimmbädern und Bibliotheken zeigen, wie wichtig es noch werden wird, sich für das Gemeinwohl einzusetzen, damit nicht Einrichtungen die allen zugute kommen von der Bildfläche verschwinden.

Auch die unscheinbare Wendung „der ein Anrecht darauf hat“ wird wieder diskutiert. In reichen Jahren ist es einem Volk egal, wo sein Geld hinfließt. In mageren Jahren kommen selbst vergleichsweise kleine Beträge in die Diskussion. Als die Sprüche geschrieben wurden, konnte sich noch jeder selbst überlegen, wem er hilft und wem nicht. Heute finanziert man über Steuern Menschen, die man nie gesehen hat. Daraus folgt, dass auch die Diskussion darüber, wer ein Anrecht auf Unterstützung hat, zunehmend öffentlich geführt werden. Sollen auch die Arbeitslosen unterstützt werden, die jeden Job ablehnen und sich offen als arbeitsunwillig zeigen oder nur diejenigen, die wirklich suchen aber es schwer haben, einen Job zu bekommen? Solche Fragen tauchen immer mehr auf und die Berichterstattung der Medien schürt oft Unzufriedenheit.
Ich meine, dass es eine Chance für Christen ist, sich einzumischen. Wir schauen fasziniert auf Leute wie Karl Barth, der Adolf Hitler geschrieben und ihm erklärt hat, dass Antisemitismus nicht christlich sein kann. Oder auf Dietrich Bonhoeffer, der bereit war, für seine Überzeugungen zu sterben. Auch in unserer Zeit gibt es genug Gelegenheiten für Christen zu politischem Handeln und Denken. Ich bin gespannt darauf, was die Zukunft in diesem Bereich noch bringen wird und auch darauf, wie ich selber mich in manchen Bereichen positionieren werde. Bisher gibt es da erst einmal ein erwachendes Interesse, aber noch wenige Konkretionen.

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3 Kommentare

  1. meine persönliche erfahrung in dem bereich ist keine schöne, aber vielleicht auch keine repräsentative. während meiner elternzeit habe ich mich ehrenamtlich zweimal die woche bei der tafel engagiert. bei 65 ehrenamtlichen waren zwei christen. das war ein kleiner schnitt.
    die politische ebene die du ansprichst, habe ich so beobachtet : wir engagieren uns ich sag mal überdurchschnittlich ( yvonni und ich ) und die menschen finden es gelinde gesagt „suspekt“, das christen sich einmischen und stellung beziehen, zur not kämpfen. irgendwie scheint auch die „welt“ zu meinen, dass christen dies nicht tun, bis hin zu der meinung, dass (gedacht) wird, dass christen dies nicht dürfen. umso mehr, dass wir wieder „stimme“ erheben. mein persönliches vorbild ist die weisse rose.
    leider ist es wohl so, dass wir es nicht den c parteien überlassen sollten, was die menschen unter christlich beobachten. ob man nun in die organisierte politik gehen sollte, oder nicht, ist ja geschmacksache, aber ich denke auch : wenn wir schweigen, werden die steine irgendwann schreien.

  2. das ist doch total seltsam, oder? im grunde müsste es bei uns sehr viele gutmenschen geben, denn die liebe gottes treibt doch zu allerlei sozialem. historisch kommt auch so viel engagement aus dem glauben, dass mich das total wundert wenn menschen den christen dieses engagement nicht mehr zutrauen.

  3. william booth hat die kinderprostitution in england abgeschafft.

    ich sehe das auch so. es gibt viele gutmenschen. leider bleiben die in ihren gemeinden. dort gibt es leider immer noch zuviele kuriose gedanken über arbeitslosigkeit, obdachlosigkeit, patchworkfamilien usw. usw. das man oft das gefühl hat stellung zu beziehen würde bedeuten, den schützenden rahmen zu verlieren (ich übertreibe, übertreibe ich ? ) zum beispiel die emergente bewegung stellt eine menge fragen zu sozial und umweltpolitik, bewegt sich aber zu einem großen teil außerhalb der etablierten kirchen.
    unsere nichtchristlichen freunde hatten bis zu uns ( und vielleicht immer noch, nur jetzt ausser uns ) die meinung dass christen übertrieben israelfreundlich ODER antisemitsch und homophob sind. aufjedenfall extrem und radikal und nie positiv auffallend. allerdings kannten sie keinen persönlich.
    ein weites feld, wir müssen aus den gemeinden heraus in die welt hinein…

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