Römer 12 ist eines dieser typischen Pauluskapitel, in denen es mehr lose Hinweise, Anweisungen und Ermahnungen gibt als ein beherrschendes Thema. Bisher konnte man jedem Kapitel des Römerbriefes ein Thema zuordnen, manchmal waren es auch zwei oder drei. In Römer 12 ist das nicht mehr möglich, das Kapitel kann nicht von einem Thema her verstanden werden sondern müsste Vers für Vers ausgelegt werden.
Da das meiner Methode für diese Reihe widerspricht werde ich mich auf einige wenige Verse konzentrieren die mir in der Übersetzung nach Walter Jens besonders hervorstechen. ich habe beim Lesen das Gefühl, dass die Richtung in die meine Gedanken durch die Übersetzung gedrängt werden, nicht immer der tatsächlichen Richtung des Römerbriefes entsprechen. Einige Verse erscheinen in der Übertragung anders als im normalen Zusammenhang des Römerbriefes. Ich nehme das Risiko falscher Schlüsse auf mich und lese nicht den griechischen Text oder andere Übersetzungen parallel. Wenn dabei etwas herauskommt, was Du als falsch empfindest, stell es doch bitte in einem Kommentar richtig. Ich mag es, eine neue Übersetzung auf mich wirken zu lassen und sie nicht exegetisch zu beurteilen. Für eine korrekte Auslegung des Briefes ist das natürlich keine gute Methode, aber für diese Reihe ist es in Ordnung.

So soll Euer Gottesdienst sein –
vernünftig, weil er dem Willen Gottes entspricht.
1

Da macht Paulus mal ein Fass auf. Viele werden ihm an diesem Punkt leidenschaftlich widersprechen. Wenn es einen vernünftigen Gottesdienst gibt, der dadurch gekennzeichnet ist, dass er dem Willen Gottes entspricht, muss doch auch der Umkehrschluss gelten: es muss einen unvernünftigen Gottesdienst geben, der nicht Gottes Willen entspricht. In einer Zeit die vom Missverständnis der Toleranz geprägt ist, wird das zu einer politisch unkorrekten Aussage. Wer besäße schon die chuzpe einem anderen zu sagen, sein Gottesdienst sei unvernünftig, weil er dem Willen Gottes nicht entspräche?
Früher, in den Zeiten des ausgeprägteren Denominationalismus, war es ja durchaus üblich ganzen Konfessionen einen vernünftigen Gottesdienst abzusprechen. Gut, dass das heute nicht mehr so ist. Der Hinweis darauf, dass es möglich ist, einen unvernünftigen Gottesdienst zu haben sollte kein Anlass sein mit Fingern zu zeigen und ihn bei anderen zu suchen. So leicht macht es uns die Bibel nicht (s. Matthäus 7!) Vielmehr ist es eine Aufforderung an uns selbst uns zu prüfen. Ist etwa unser Gottesdienst unvernünftig und nicht dem Willen Gottes entsprechend?
Paulus erklärt in den Versen vorher, was der vernünftige Gottesdienst ist: komplette Hingabe an Gott, mit allem was wir haben: Herz, Kraft und Hirn. Zeit, Geld, alle Ressourcen. Alles, was wir haben. Gottesdienst wird in dem Moment unvernünftig in dem wir etwas von uns zurückhalten und so göttliches und menschliches mischen. Eine herausfordernde Ansage, der man sich stellen muss. So gesehen kann niemand mehr mit dem Finger zeigen und jeder hat vor seiner eigenen Haustür genug zu kehren… Damit steht eine zweite Aussage im Zusammenhang:

[…] haltet nich am Bestehenden fest,
sondern lasst Euch verwandeln,
findet zu neuem Denken,
das Euch prüfen lehrt,
was Gott will.
2

Ich habe ein ganzes Buch über diesen Vers geschrieben („Das Wortbuch“, das bald erscheint), von daher fällt es mir schwer, mich nur auf einige Aussagen zu beschränken. Der Hinweis auf „das Bestehende“ ist typisch Walter Jens. Er findet sich in anderen Bibelübersetzungen nicht. Das macht ihn für mich zu einem fruchtbaren Gedanken. Der größte Feind des Fortschritts ist immer die alte Erkenntnis. Die größten Feind einer neuen Erweckung sind oft die Vertreter der alten Erweckungsbewegungen. Tradition ist ein zweischneidiges Schwert und man wird ihr nicht gerecht wenn man nur vor ihr warnt und sie schlecht macht. Ohne Tradition gäbe es keinen Fortschritt in der Theologie und keinen Glauben. In diesem Sinne ist Tradition nicht nur gut sondern unverzichtbar.
Tradition stellt aber auch die Gefahr der Verknöcherung dar. Christen bleiben in ihrem Leben mit Gott stehen wenn sie die Vergangenheit mehr schätzen als neue Erkenntnis. Niemand wächst im Glauben wenn er an alten Erkenntnissen zu sehr festhält.
Für die Juden war dies das größte Hindernis Jesus zu erkennen. Sie waren so sehr in der Tradition und dem Gesetz verhaftet, dass sie nicht glauben konnten, dass Gott Mensch werden könne. Ihre Haltung zum Gesetz des Alten Testamentes schloss sie von einer Erkenntnis aus, die ihr Leben revolutioniert hätte.
Es hält uns immer auf wenn wir einen Rahmen um Gott machen und meinen, dass er nur so oder so handeln kann. Die Aussage „das kann nicht Gott sein“ aufgrund einer Vorprägung zu fällen verschließt uns für neue Erfahrungen.

Wer sich von Bestehendem lösen kann, wird belohnt. Er kann Gott auf neue Weise erleben und auf einem tieferen Niveau verstehen, was Gott will. „Gottes Wille“ ist etwas, was dynamisch ergriffen wird. Je mehr wir uns von altbekanntem lösen und uns immer wieder auf Gott einlassen, umso mehr erkennen wir Gottes Willen. Meine persönliche Vermutung ist, dass es damit zusammenhängt, dass wir Gott selbst immer tiefer kennen lernen und so genauer verstehen, was er mag und was nicht.

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  1. Jens, Walter: der Römerbrief. Stuttgart: Radius-Verl. (Radius Bücher), S. 61 []
  2. Jens, Walter: der Römerbrief. Stuttgart: Radius-Verl. (Radius Bücher), S. 61 []

3 Kommentare

  1. Sehr schön, wie Du beides wertschätzend erwähnst: Tradition oder die bisherige Erkenntnis Gottes und andererseits immer neue, tiefere Erkenntnis.

    Ich finde, es ist ein Stück weit eine Gratwanderung: Einerseits bereits gefundene Erkenntnisse nicht aufzugeben oder zu verlieren, indem ich mich auf neue Sichtweisen einlasse, aber den „Rahmen“, der ohne Zweifel immer da ist, so zu lockern und so flexibel zu halten, dass er Gott Raum zur Ausdehnung gibt.
    Also Bewahrung des Bestehenden bei ständiger Offenheit für unerwartetes Neues…

  2. Klingt logisch. Wer bestehende Strukturen hinter sich lässt und sich in seinem Leben auch mal bewusst dem Wandel und der Veränderung aussetzt, der bekommt einen geschärften Blick für das, was sich nicht verändert, was konstant ist in unserem Leben. Das ist, denke ich auch ein Grund, warum viele Menschen in einer Krise Gott so stark erleben. Man braucht allerdings da nicht unbedingt eine Krise für. Ein bisschen frischer Wind im Leben und loslassen von liebgewonnener Gewohnheit reicht meist schon aus.

  3. @Frollein, so sehe ich das auch!
    Thanx, fühle mich gerade wie schon
    öfters hier sehr ermutigt von dir…
    Vielen lieben Dank!!
    ****JESUS-ROCKS***
    mein Freund! 😛

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