05. Juli 2009 8
Walter Jens – Römerbrief 17 – Kapitel 11.1
Das elfte Kapitel des Römerbriefes behandelt die komplizierte Haltung Israels zum Heil. Das Thema wird durch die persönliche Betroffenheit des Apostels und die drei Zeitebenen in denen das Kapitel handelt, noch zusätzlich verkompliziert. Es ist komplexe Theologie in der Sprache menschlicher Betroffenheit. Damit ist es auch ein schönes Lehrkapitel darüber wie Theologie generell betrieben werden soll. Was wäre das Nachdenken über Gott ohne persönliche Betroffenheit? Wer unpersönlich über Gott nachdenkt ist kein Theologe sondern Philosoph – er behandelt ein Thema ohne mit Gott in Beziehung zu stehen.
Die vorangegangenen Kapitel legen den Verdacht nahe, dass Gott sein Volk Israel verstossen hat. Da fängt Paulus Betroffenheit an:
Nein! Das kann ich nicht glauben!
Denn auch ich bin ein Jude,
Abrahams Nachfahr,
imd gehöre zu Benjamins Stamm.
Nein und abermals Nein!1
Insbesondere die starke Sprache, die Walter Jens hier benutzt, macht es schwer zu entscheiden, ob Paulus sich leidenschaftlich gegen eine unangenehme Wahrheit wehrt oder ein theologisches Argument vorbringen will. Aber zum Glück gibt es ja den Zusammenhang! Der macht klar, dass Paulus ein Argument vorbereitet. Es gab schon einmal eine Zeit in der Geschichte Israels, als die meisten Juden sich gegen Gott gestellt haben. Damals, zur Zeit von König Ahab und Prophet Elia war nicht das ganze Volk verstockt, es gab noch einen kleinen Überrest, der seine Knie nicht vor den fremden Göttern beugte: 7000 Männer, die treu zu ihrem Herrn standen (1.Könige 19,18).In dieser Zeit ist es dasselbe: wieder widersteht das Volk an sich Gott, aber es gibt einen Überrest, zu dem auch Paulus gehört:
Und so ist es auch jetzt,
durch Gottes Gnade auserwählt,
ein kleiner Rest vorhanden:
die Gemeinde der wahrhaft Getreuen,
eine Schar von Gerechten,
die Gott beruft: Du! Und Du! Und Du!
[…]
Was das Volk Israel – das ganze Volk! – suchte,
die Gemeinschaft mit Gott, hat es verfehlt.
Nur eine kleine Schar der Erwählten
erreichte das Ziel.2
An dieser Feststellung gibt es zwei interessante Aspekte, die man noch weiter diskutieren sollte. Zum einen zeichnet es den kleinen Überrest aus, dass er das neue Heil in Christus angenommen hat. Die Verstockten macht es aus, dass sie Jesus nicht als Messias angenommen haben und stattdessen weiter Gott durch den Buchstaben des Gesetzes dienen. Das eröffnet eine Diskussion, die auch heute noch brandaktuell ist: gibt es noch ein Heil in Israel, oder nicht? Auf diese Frage geht Paulus später ein. Zum anderen drängt sich die Frage auf, wie die Verstockung zustande kommt. Ist sie menschengemacht und auf falsche Entscheidungen zurück zu führen oder hat Gott Menschen verstockt und andere erleuchtet? Auch das ist eine brandaktuelle Frage, die wieder einmal mit der größeren Frage nach der Willensfreiheit des Menschen zusammenhängt.
Jens lese ich so, dass nur eine kleine Schar der Erwählten es geschafft hat. Das würde bedeuten, dass alle, das ganze Volk Israel erwählt war, aber nur eine kleine Schar in der Gemeinschaft Gottes angekommen ist. Leider lesen sich alle anderen Bibelübersetzungen anders. Luther übersetzt beispielsweise:
Wie nun? Was Israel sucht, das hat es nicht erlangt; die Auserwählten aber haben es erlangt. Die andern sind verstockt, (Römer 11,7)
So gelesen gibt es Menschen, die besonders auserwählt wurden um den neuen Weg in Christus zu erkennen. Ich meine aber, dass der Gesamtzusammenhang sowohl des Römerbriefes als auch der gesamten Schrift, gegen eine solche Interpretation spricht. Paulus predigt das Evangelium gerade auch im Hinblick darauf, dass Juden dadurch zum Glauben an Christus kommen möchten:
Als Sendbote Gottes,
[…]
preise ich meinen Dienst nicht zuletzt deshalb,
weil ich darauf hoffe,
die eigenen zum Nacheifern zu reizen
und wenigstens einige unter ihnen zu retten.3
Überdies hat Jesus in einem Gleichnis deutlich gepredigt, dass das ganze jüdische Volk zum Glauben gerufen ist, aber nicht gefolgt ist (Matthäus 22) und er verstand seinen Auftrag als Dienst am ganzen Volk (Markus 7,24). Der Grund der Verstockung ist in menschlichen Ursachen wie Tradition zu suchen, nicht in einem Wirken Gottes.
Die zitierte Stelle bietet auch eine Antwort auf die andere Frage. „Nein, es ist kein Heil mehr in Israel“. Könnte man noch durch das Gesetz gerecht werden, wäre der halbe Römerbrief und der Galaterbrief hinfällig. Ein großer Teil der Diskussionen im Neuen Testament drehte sich genau um diese Frage. Die Aneignung des Heils ist sicherlich der größte Bruch zwischen den Testamenten überhaupt. Ich kann mir gut vorstellen, dass da einiges Konfliktpotential lag und einige theologische Diskussionen nötig waren.
[Damit dieser Post nicht viel zu lang wird, unterbreche ich ihn hier und gehe übermorgen der Frage nach der Kontinuität des Heils zwischen den beiden Testamenten weiter nach.]
Philip schrieb am
5. Juli 2009 um 23:51Ääääh … und was ist mit Vers 8?
storch schrieb am
6. Juli 2009 um 08:48kann ich dir leider nicht sagen, jens hat keine verszählung und oft sind die Verse nicht genau zuzuordnen.
aber ich kann ja mal in einer anderen bibel nachschauen 🙂 in vers 8 zeigt paulus warum israel verstockt ist. im anderen, wodurch, also wie die verstockung bewirkt wird.
Arkadius schrieb am
6. Juli 2009 um 10:56Ich möchte hier jetzt erstmal sagen, daß es mir leid tut, wenn ich allzuheftig auf religiösen Gefühlen rumgetrampelt habe.
Zum Post:
„Wer unpersönlich über Gott nachdenkt ist kein Theologe sondern Philosoph – er behandelt ein Thema ohne mit Gott in Beziehung zu stehen.“
Ich werde jetzt hier nicht schreiben, wie ich das sehe, möchte Dich aber bitten, das vielleicht etwas zu erläutern.
Nur soviel: aus Gott eine -logie zu machen, kann durchaus sehr unpersönlich werden, glaub ich.
Philip schrieb am
6. Juli 2009 um 21:11Sorry, ich blicke da nicht durch, was da nun von Walter Jens und was von dir kommt. Ich dachte, den Satz, den ich da zitiert habe, stammt von dir.
Also ich wäre da vorsichtig zu sagen, dass die in Vers 7 erwähnte Verstockung nicht von Gottes Wirken kommt, wenn in Vers 8 wörtlich das Gegenteil steht.
Ich will ja nicht behaupten, dass ich Gottes Handeln hier verstehen könnte, aber wir müssen das im Notfall einfach mal ungeklärt stehen lassen. Luther würde wohl sagen, dass Vers 8 vom verborgenen Gott handelt. Das ist die Seite von Gott, die wir nicht verstehen (können).
storch schrieb am
7. Juli 2009 um 12:12Das ist gerne vergeben, Arakdius.
Erklärung: in der Theologie sollte es nicht darum gehen, aus Gott eine -logie zu machen sondern über Gottes Offenbarung nachzudenken. Angelehnt an Luhmann: „Theologie ist die Reflexionstheorie des Glaubens.“
http://www.jfrs.de/storch/blog/wordpress/2009/03/05/theologie-eine-weitere-definition/
Philosophie liebt die Weisheit und ist unabhängig von ihrem jeweiligen Gegenstand; bei der Theologie sollte es anders sein.
@ ja und nein. Will sagen: ich bin da sehr unsicher mit dieser Verstockung und ob sie ein Werk Gottes ist. Paulus bringt hier ja ein alttestamentliches Zitat um seinen historischen Punkt zu untermauern. Als historisches Statement lasse ich das natürlich stehen, als theologisches nicht – da müsste man es auslegen. Das AT weist ständig Gott als Urheber von Krankheiten und Katastrophen aus. Von Dingen also, die das NT dem Teufel zuschreibt. An dem Punkt war die Offenbarung des AT noch nicht. Deswegen lesen wir ja auch das AT durch die Brille des NT und da bin ich ziemlich überzeugt, dass eine Verstockung nicht von Gott ausgeht.
Das lässt sich auch statistisch zeigen: die Elberfelder liefert für die Suchabfrage „verstock*“ 40 Treffer. Davon sind nur 5 aus dem NT. Von diesen handeln 4 von Israel und dem AT. Nur Epheser 4,18 handelt davon, dass Völker ohne Christus verstockt sind und da ist verstockt nur eines von mehreren Adjektiven. Verstockung scheint mir ein deutlich alttestamentliches Konzept zu sein.
Arkadius schrieb am
8. Juli 2009 um 10:53Das Problem ist, daß man den Bezug zum Schöpfer verliert, wenn man in dem Text, der von dem Theologen verfaßt wurde, die volle Wahrheit sieht, anstatt zwischen den Zeilen zu lesen. Ohne dieses zwischen-den-Zeilen-lesen wird der Theologe zu Gott, also einem Götzen. Philosophische Lektüre liest immer zwischen den Zeilen. Philosophische Wissenschaft, also eine Wissenschaft, die mehr als bloße -logie ist, schaut hinter die Naturphänomene und erkennt so Gott, die allumfassende Wahrheit. Liebe zur Weisheit IST Liebe zu Gott und man kann Paulus ebenso als Philosophen lesen wie Einstein oder Newton.
Diese Problematik wird von Paulus in diesem wunderbaren Römerbrief sofort am Anfang aufgeworfen (1,19 – 22), er wird seinen Grund gehabt haben. Luther hat in seinen antisemitischen Konsequenzen aus solchen Stellen, um die es im heutigen Post geht absolut den Schöpfer verkannt und ist der Nichtigkeit verfallen. Es kommt ja auch noch später eine Stelle, in der es um staatliche Ordnung geht, deren wortwörtliche Lektüre nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts als das Absurdeste überhaupt gelten muß.
storch schrieb am
8. Juli 2009 um 19:59Das stimmt natürlich, aber es gehört auch eher zum Wesen der Theologie zu hinterfragen und kritisch zu sein, als einem (anderen) Theologen unbedingt zu glauben. Ausnahme ist natürlich für die Katholiken die Sonderstellung des Papstes, wenn er seine Unfehlbarkeitskarte ausspielt. Das Dogma dazu kommt allerdings auch erst aus dem 19.Jahrhundert und wird nur sehr selten angewandt.
Römer 13 ist schon eine schwierige Stelle, muss aber, wie alles andere auch, im Gesamtzusammenhang der Bibel gelesen werden. Da ist es dann klar, dass Unterordnung unter die Obrigkeit Grenzen hat. Da war im 20.Jhd. die bekennende Kirche und Männer wie Bonhoeffer schöne Beispiele.
Arkadius schrieb am
9. Juli 2009 um 09:39Stimmt, Bonhoeffer war mal ein Beispiel eines Menschen, der in der Nachfolge von Jesus seine göttliche Bestimmung erfüllt hat, anstatt den einfachen Weg des Gehorsams gegenüber der Welt zu gehen. Vielleicht wird die Zeit kommen, in der das nicht mehr die wenigsten so tun, sondern die meisten.