28. Oktober 2007 3

Was im Dunkeln bleibt

Wieder einmal ein altes Handout. Dieses habe ich schon verschiedene Male benutzt und in andere Schriften eingearbeitet. Ich bin auch immer noch sehr froh, dass ich diese drei verschiedenen Versionen der Bekehrung des Saulus unter einen Hut bekomme…

Saulus aber schnaubte noch drohend und mordend wider die Jünger des Herrn, ging zum Hohenpriester und erbat sich von ihm Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit, wenn er etliche Anhänger des Weges fände, Männer und Frauen, er sie gebunden nach Jerusalem führte. Auf der Reise aber begab es sich, als er sich der Stadt Damaskus näherte, daß ihn plötzlich ein Licht vom Himmel umstrahlte. Und als er zur Erde fiel, hörte er eine Stimme, die zu ihm sprach: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Er aber sagte: Wer bist du, Herr? Der aber sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Es wird dir schwer werden, wider den Stachel auszuschlagen! – Apostelgeschichte 9,1-5

Die Bekehrungsgeschichte des Saulus hat immer schon einige theologische Fragen aufgeworfen. Das liegt in erster Linie daran, dass von ihr drei Versionen in der Apostelgeschichte zu finden sind: Apostelgeschichte 9, 22 und 26, und dass sich diese Geschichten scheinbar widersprechen.

Aber schon auf den ersten Blick ist es eine der faszinierendsten Geschichten überhaupt in der Bibel, die davon berichten, wie ein Mensch Christ wird. Saulus war ein berühmter religiöser Mann. Er war ein hochstehender und bekannter Pharisäer, wie er im Buche steht: hart, selbstgerecht und fanatisch. Als das Christentum aufkam, gab es für die Juden nur ein Gebot der Stunde: die neue Sekte musste ausgerottet werden. Einer von denen, die das frühe Christentum mit grosser Leidenschaft bekämpften, war der Pharisäer Saulus.
Es ist immer wieder erschreckend, wie blind und mitleidlos religiöser Fanatismus machen kann. In Saulus erfüllte sich die Prophezeihung, die Jesus seinen Jüngern in Matthäus 10,17 gab: Hütet euch aber vor den Menschen! Denn sie werden euch den Gerichten überliefern, und in ihren Synagogen werden sie euch geißeln.
Saulus war einer von denen, die aufrichtig glaubten, Gott einen Gefallen zu tun, indem sie Christen aufspürten, verhafteten und – falls möglich – töteten. Als Stephanus als erster christlicher Märtyrer starb (Apostelgeschichte 7), stand Saulus dabei, bewachte die Kleider derer, die Stephanus steinigten und hatte seinen pervers-frommen Spass an der Sache (Apostelgeschichte 7,58 und 8,1). Saulus machte seinen blutigen Job so gut, dass man ihn schliesslich aussandte, auch in anderen Teilen des Landes aufzuräumen, nachdem in Jerusalem eine ausgemachte Christenverfolgung losging. Und so kam es, dass er mit Briefen und Vollmachten ausgestattet nach Damaskus aufbrach.

Es sollte seine letzte Reise als jüdischer Inquisitor sein; Saulus kam nicht von ihr zurück. Während er noch auf dem Weg war, erschien ihm Jesus und veränderte sein Leben so total, dass vom alten Saulus nichts mehr übrigblieb und er sogar seinen Namen in Paulus änderte. Aus dem berüchtigten Christenverfolger wurde einer der berühmtesten Apostel Jesu. Die Wandlung war so vollkommen, dass uns bis heute eine Redensart davon geblieben ist: vom Saulus zum Paulus wird jemand, dessen Leben und Charakter sich total verändern.
Sehen wir uns im folgenden die dramatischen Ereignisse ein wenig näher an, die zu dieser Wandlung geführt haben, denn ich meine, dass sich hier einiges über das Wesen göttlicher Offenbarung lernen lässt.

:Gottes Offenbarung ist persönlich

Saulus war nicht alleine nach Damaskus unterwegs, er reiste mit einer Karawane Gleichgesinnter, die natürlich auch etwas von dem mitbekamen, was ihrem Anführer passierte. In der ersten Darstellung der Ereignisse heisst es: Die Männer aber, die mit ihm reisten, standen sprachlos da, indem sie zwar die Stimme hörten, aber niemand sahen. – Apostelgeschichte 9,7.
Die zweite Darstellung scheint dieser ersten zu widersprechen: Meine Begleiter aber sahen zwar das Licht und wurden voll Furcht, aber die Stimme dessen, der mit mir redete, hörten sie nicht. –Apostelgeschichte 22,9. Die Erklärung liefert die dritte Version, in der Paulus sagte, dass die Stimme mit ihm in hebräischer Sprache redete (Apostelgeschichte 26,14). Hebräisch war zur Zeit des Paulus fast eine tote Sprache, ähnlich wie heute Latein, die nur von wenigen gesprochen wurde. Paulus gehörte zu den wenigen, die Hebräisch konnten (siehe Apostelgeschichte 22,1). Seine Begleiter konnten kein Hebräisch und verstanden die Stimme deshalb nicht.
Dass Apostelgeschichte 22,9 so übersetzt wird, dass es so klingt, als ob seine Begleiter die Stimme gar nicht gehört hätten scheint mir ein wenig unglücklich. Das griechische Wort kann, genauso wie das deutsche „verstehen“, beides bedeuten: hören und begreifen. Was passiert war, ist eigentlich klar: die Begleiter haben zwar die Stimme gehört, aber nicht verstanden.

Ist das nicht seltsam? Mehrere Männer machen sich auf, aber Gott begegnet nur einem von ihnen, die anderen verstehen seine Stimme nicht. Aber so ist eben die Offenbarung Gottes: sie ist persönlich. Gott spricht meistens nicht ganze Gruppen und Völker an, er spricht zu einzelnen Menschen.
Jeder Mensch befindet sich im Zentrum der Aufmerksamkeit Gottes.
Nehmen wir zum Beispiel die Heilung der blutflüssigen Frau, wie Markus (5,24-37) sie berichtet. Jesus und seine Jünger waren unterwegs zu einem Wunder. Ein Synagogenvorsteher namens Jaïrus hatte Jesus gebeten, seine todkranke Tochter zu heilen, und sie waren auf dem Weg zu seinem Haus. Jesus war in einer Menschenmenge, und mitten in dem Gedränge und Geschiebe berührte eine kranke Frau den Saum seines Gewandes, also sozusagen das Bündchen seiner Hose. Durch diese einfache, vertrauensvolle Berührung wurde diese Frau geheilt – und Jesus spürte das! Jesus aber, der an sich selbst bemerkt hatte, daß eine Kraft von ihm ausgegangen war, wandte sich alsbald unter dem Volke um und sprach: Wer hat meine Kleider angerührt? (Vers 30). Die Jünger verstehen nicht einmal die Frage: Da sprachen seine Jünger zu ihm: Du siehst, wie das Volk dich drängt, und sprichst: Wer hat mich angerührt? (Vers 31). Für die Jünger Jesu war es eine Frau unter vielen, aber für Jesus war sie etwas Besonderes.

Die Offenbarung Gottes reisst uns aus der Anonymität der grauen Masse heraus. Auf einmal spüren wir, dass wir im Zentrum der Aufmerksamkeit Jesu sind. Ebenso, wie Gott aus dieser Reisegruppe Saulus hinauspickte und ihm eine Offenbarung schenkte, die keinem seiner Begleiter zuteil wurde, ebenso wie Jesus sich Zeit nahm für die Frau in der Menge, ebenso nimmt sich Gott für jeden von uns Zeit. Die Offenbarung Gottes ist nicht irgendeine Massenhysterie oder ein gehyptes Gottesdienstphänomen. Sie ist im Gegenteil das, was uns aus der Masse aussondert und alleine vor unseren Schöpfer treten lässt.

::Gottes Offenbarung lässt Gott selbst im Dunkel

Nachdem Saulus die Vision gehabt hat, war er blind. Er konnte erst wieder sehen, als ein Jünger namens Hananias in Jerusalem für ihn gebetet hatte. Eigentlich erscheint es fast ein wenig paradox, dass man von einer Vision blind werden kann, aber Gottes Licht war eben so hell, dass es Paulus im wörtlichen Sinne geblendet hat.
Etwa dreissig Jahre später schrieb Paulus seinem Schüler Timotheus über dieses Licht und er sagt ihm, dass Gott in einem unzugänglichen Lichte wohnt und kein Mensch ihn je gesehen hat noch sehen kann; (1.Timotheus 6,16). Das Licht, das Paulus und seine Begleiter gesehen haben und dass den eifernden Pharisäer so nachhaltig geblendet hat, war also schon von Gott, aber es war nicht Gott selber, sondern eher Gottes Wohnung. Die Briefe an Timotheus gehören zu den letzten, die Paulus in seinem Leben geschrieben hat. Manche Historiker gehen davon aus, dass sie aus seinem letzten Lebensjahr stammen. Das, was Paulus hier über Gott schreibt, kann also sozusagen als die Quintessenz seines Lebens mit Gott angesehen werden. Es erscheint schon seltsam, dass jemand, der Jahrzehnte mit Jesus gelebt und in dieser Zeit Wunder über Wunder erlebt hat, der das ganze Leben in seinen Höhen und Tiefen mit Gott gelebt hat und fast schon unvorstellbare Visionen hatte, am Ende zu dem Schluss kommt, dass man Gott nicht sehen kann.
Dennoch ist es so. Man kann etwas von Gott spüren, ihn hören und empfinden, aber letztlich bleibt er ein Rätsel. Im Herrn der Ringe sagt Gandalf: „Ihr Hobbits seid schon ein seltsames Volk, in einem Monat kann man alles Wissenswerte über euch lernen…“. Manchmal gehen wir mit Gott genauso um. Nachdem wir einen Glaubensgrundkurs gemacht und die Bibel einmal durchgelesen haben, meinen wir, alles Wichtige über Gott und das Leben mit ihm zu wissen. Für diejenigen, die es ganz genau wissen wollen, gibt es dann noch Bibelschulen und Seminare, in denen man in drei-, fünf- oder siebenjähriger Ausbildung auch noch das über Gott lernen kann, das gar nicht wissenswert ist. Wenn man dann fertig ist, hat man unter Umständen sogar einen „Master of Divinity“ und die trügerische Gewissheit, jetzt aber wirklich alles zu wissen und jede wichtige Frage beantworten zu können.
Aber natürlich ist das Quatsch. Menschen, mit denen wir ein Leben verbracht haben, können uns noch überraschen, und wir wundern uns nicht weiter darüber. Wieviel rätselhafter als ein Mensch ist Gott? Er lässt sich nicht in ein Schema pressen und mit zwei, drei Schlagworten treffend beschreiben. Gott ist grösser als alles, was wir von ihm sehen, hören und spüren.

So hoch der Himmel über der Erde ist, so viel höher sind meine Wege als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. – Jesaja 55,9

Je näher wir diesem Gott kommen, um so unbekannter scheint er zu werden. Je näher wir seinem Licht kommen, um so mehr werden wir von ihm geblendet. Ebenso wie der Wind uns so stark ins Gesicht wehen kann, dass es uns den Atem verschlägt, kann Gottes Licht so hell sein, dass wir davon geblendet werden.
Letzten Endes reicht ein Leben nicht aus, um Gott kennenzulernen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir im Himmel alle noch einiges zu entdecken haben und überrascht sein werden, wenn wir Gott von Angesicht zu Angesicht so sehen, wie er wirklich ist.

Früher dachte ich, dass ich einiges wissen würde über Gott, und natürlich hatte ich die Antworten auf alle grosse Fragen, die uns Menschen bewegen. Aber je näher ich Jesu komme, um so geheimnisvoller wird er mir. Was gut daran ist, ist dass mit jeder vorschnellen Antwort, die mir wie Sand durch die Finger rinnt, mein Vertrauen in den grossen, unfassbaren Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, wächst. Je grösser Gott wird, und um so weniger er sich in eine Form pressen lässt, um so tiefer wird auch das Staunen und die Anbetung.

:::Gottes Offenbarung kann man nicht weitergeben

Ein letztes Merkmal göttlicher Offenbarung folgt aus dem Vorangegangenen: man kann über die Erfahrungen schlecht reden. Die Begleiter des Saulus haben das Licht gesehen, das auf einmal um ihn herum strahlte, sie haben die Stimme gehört, auch wenn sie die Worte nicht verstanden haben. Vermutlich wird Saulus ihnen auf dem weiteren Weg auch erzählt haben, was er gehört hat und auf jeden Fall haben sie gesehen, dass Saulus blind und verwirrt war.
Trotzdem haben sie Jesus nicht angenommen und sind von ihrer Reise nicht so verändert zurückgekehrt wie Paulus.

Manchmal hat mich das fast wahnsinnig gemacht. Gott hat so viel in meinem Leben getan und Freunde und Bekannte haben das auch durchaus gesehen. Trotzdem hat kaum jemand die Konsequenz daraus gezogen und Gott angenommen. Warum nicht? Weil es eben nicht ihre Offenbarung war. Man kann den Effekt, den Gott auf ein Leben hat, sehen, ohne deshalb an Gott glauben zu müssen. Gott hat keine Enkelkinder; jeder muss selber angesprochen werden und ihn erfahren.
Es ist ohnehin schon ausserordentlich schwer, über Erfahrungen, die man mit Gott macht zu reden; vieles ist mit fast nichts zu vergleichen; man redet oft mit Heiden über Gott, wie man mit einem Blinden über die Farbe redet. Natürlich ist es trotzdem gut und richtig darüber zu reden, was wir mit Gott erleben, aber es bleibt immer übernatürlich, wenn jemand versteht, was wir sagen

Für Theologen
Hier noch einmal die drei – angeblich widersprüchlichen – Versionen auf einen Blick und eine mögliche Auflösung des Rätsels:

1.Version: Apostelgeschichte 9
Apg 9,7 Die Männer aber, die mit ihm reisten, standen sprachlos da, indem sie zwar die Stimme hörten, aber niemand sahen.
8 Da stand Saulus von der Erde auf; aber obgleich seine Augen geöffnet waren, sah er nichts. Sie leiteten ihn aber an der Hand und führten ihn nach Damaskus.

Die Männer bei Paulus hörten, die Stimme, sahen aber niemanden. Paulus sieht aber auch niemanden (Vers 9). Niemand bezieht sich also auf den Sprecher, nicht darauf, dass die Begleiter das Licht nicht gesehen hätten. Denn dann hätte auch Paulus das Licht nicht gesehen.

>>> Alle haben das Licht gesehen und die Stimme gehört, aber niemand hat den Sprecher gesehen.

2.Version: Apostelgeschichte 22
Apg 22,9 Meine Begleiter aber sahen zwar das Licht und wurden voll Furcht, aber die Stimme dessen, der mit mir redete, hörten sie nicht.

Die Begleiter sehen das Licht, das passt zu Apg. 9. Das sie die Stimme nicht hörten ist ein scheinbarer Widerspruch. Tatsächlich kann aber AKOUW (avkou,w), gerade wenn es mit Akkusativ steht, auch mit verstehen übersetzt werden. Da die Stimme hebräisch mit Saulus sprach (s.u.) und er der einzige in der Karawane war, der die Sprache konnte (hebräisch war zu der Zeit eine sterbende Sprache und es war etwas Besonderes, dass Paulus hebräisch konnte ? Apg 22,1), hörten die anderen zwar die Stimme, verstanden sie aber nicht.

>>> Alle haben das Licht gesehen und die Stimme gehört, aber nur Paulus hat verstanden, was die Stimme sagte – es war eben seine Offenbarung.

3.Version Apostelgeschichte 26
Apg 26,13 sah ich mitten am Tage auf dem Wege, o König, vom Himmel her ein Licht, heller als der Sonne Glanz, welches mich und meine Reisegefährten umleuchtete.
14 Und da wir alle zur Erde fielen, hörte ich eine Stimme in hebräischer Sprache zu mir sagen: Saul, Saul! was verfolgst du mich? Es wird dir schwer werden, gegen den Stachel auszuschlagen!

Es wird nichts über die Begleiter gesagt, aber die Geschichte wird um zwei wichtige Details erweitert: 1.) Das Licht war definitiv übernatürlich.
2.) Die Stimme sprach hebräisch, was für das Verständnis der 2. Version wichtig ist.

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verantwortlich für den Inhalt: storch. Für Fragen stehe ich gerne zur Verfügung.
? Bibelzitate nach der 1951er Schlachterübersetzung
? mehr Theologie der Jesus Freaks Remscheid im Internet: www.theologie.jfrs.de
? zu diesem Handout gibt es eine Predigtkassette. Auch als mp3 im Internet
? Das Bild: http://www.bibelsajten.nu/atillo/paulus.htm

[AudioPredigt zu diesem Handout]
[Handout als .pdf]

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Ein Kommentar

  1. geiles handout. seeeehr geil. auch die erklärung mit den 3 stellen… hatte da drüber noch nie nachgedacht, aber hätte mich bestimmt ne weile beschäftigt, wenn ich drauf gestoßen wäre. ^^
    danke!

2 Pingbacks

  1. […] zu verstehen – angesprochen zu sein. Als Saulus auf dem Weg nach Damaskus war, hatte er eine mächtige Begegnung mit Gott: ein Licht strahlte heller als die Sonne, und Gott rief ihn mit hörbarer Stimme. Auch seine […]

  2. […] dass sich die Berichte nicht widersprechen. [das habe ich schon mal gebloggt, deswegen nur ein Link] Beispiel: gegenseitige Unterordnung Ein Beispiel, wie Verszählung und Überschriften manchmal den […]

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