04. September 2007 9
Komplexität predigen
Die offenbare Komplexität der Bibel macht uns ja nicht nur für unser Leben zu schaffen; manchen von uns ist sie auch für den Dienst eine echte Herausforderung. Nun ist es nur konsequent dass ein Buch, das Gott nutzt um jeden Menschen, in jeder Situation anzusprechen komplex ist. Natürlich zeigt sich Gott von verschiedenen Seiten und kann herausfordernd, ermahnend, aufbauend, tröstend, richten usw. sein. Ist ja klar, schliesslich ist er unser Vater und je nachdem wo wir gerade stehen, brauchen wir mal diese und mal jene Behandlung.
Schwierig wird es erst, wenn man biblische Offenbarung aus ihrem Kontext der Beziehung herauslöst und alles harmonisieren will. Früher habe ich mich auch immer bemüht die „Weltformel“ zu finden, in der sich alle Widersprüche auflösen und alles ein schönes, einheitliches Ganzes ergibt. Heute halte ich das für falsch. Es ist kein Widerspruch wenn ich meinem Freund mal freundlich und mal hart ehrlich gegenüber trete. Es wäre einfach eine seltsame Beziehung, wenn ich mich immer gleich geben würde, auch wenn ich immer derselbe bin.
So denke ich, dass es auch bei Gott und seinem Wort so ist, dass Komplexität nötig ist weil die Menschen an die sich die Bibel richtet komplex sind und keine einfachen, simplen Leben leben.
Bezüglich des Predigen, Lehrens und Schreibens führen mich diese Überlegungen immer weiter in einen Paradigmenwechsel. Ich mag mich nicht mehr Bemühen etwas glatt zu bügeln, was offensichtlich keiner Glattbügelung bedarf. Konsequenter und irgendwie auch richtiger wäre es, Widersprüchlichkeiten in Kauf zu nehmen und den ganzen Ratschluss Gottes zu predigen – einen Ratschluss, der ohnehin so weit über unseren Verstand geht, dass jeder Versuch ihn intellektuell sicher zu gestalten, ohnehin zum Scheitern verurteilt wäre.
Ich habe theologischen Systemen von jeher kritisch gegenüber gestanden. Bei allen komme ich irgendwann an den Punkt an dem ich sagen muss: „ja schön, aber was ist damit?“ Luhmann hat es deutlich gesagt: ein System kann nur existieren wenn es die Umgebungskomplexität reduziert. Kein System kann so komplex sein wie „die Welt“, wäre es so komplex, wäre es ja die Welt. So sind auch theologische Systeme immer weniger kompex als Gott oder das Wort. Jedes System muss etwas aussparen, was man in einem anderen System wiederfindet. Dem System Glaubenslehre fehlt ein kostruktiver Umgang mit dem Leid, das man nicht weggebetet bekommt. Dem System „Protestantismus“ fehlt es mir oft an Spiritualität die ich im System „Katholizismus“ finde, usw. usw. etc.pp..
Ich glaube mittlerweile, dass eine Bejahung der Komplexität mit einhergehender Gefahr der Widersprüchlichkeit gut wäre. Wir alle leben widersprüchliche Existenzen in denen uns Gott immerfort begegnet, warum damit nicht offen umgehen? Ich stelle immer wieder fest, dass Gottes Reden an mich immer wieder meine Vorstellungen von ihm (und damit mein System) sprengt. Gott ist immer grösser als mein kleines Bild von ihm!
6 Kommentare
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[…] einigen Tagen habe ich darüber gepostet, wie man mit der Komplexität des Lebens und der Bibel als Prediger umgehen kann. Jetzt habe ich […]
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[…] und Humor – Zettelkasten und FURL (etwas veraltet da ich das Programm nicht mehr verwende) – Komplexität predigen – […]
Wegbegleiter schrieb am
4. September 2007 um 15:10Amen dazu. Der Spitzensatz dazu stammt von meinem Philosophiedozenten am TSE in Ewersbach, Kurt Seidel ein ungemein gelehrter alter Herr vom alten Schlag: Lieber Christof, predige das Wort Gottes pointiert bis zum Rande des Häresie. Und er hat Recht. Jesus produziert keinen Konsens, sondern er reiz, pointiert und stichelt. Und deswegen sind Harmonisierungen so unsinnig. Und wir sollten die Stacheln, die er ausfährt, bis zur Spitze weitergeben und predigen.
tobi g. schrieb am
4. September 2007 um 16:00Du sprichst mir aus dem Herzen und hast formuliert, was mir schon eine lange Weile nicht aus dem Kopf geht. Es ist gut zu wissen, dass man mit solchen Standpunkten nicht allein ist. Ich glaube jeder von uns, der ehrlich mit sich umgeht, kommt mehr und mehr zu der Ansicht, dass wir alle in einer komplexen Welt leben. Gott allein ist der, der uns halten kann. Vermutlich werden wir das alles nie ganz begreifen.
storch schrieb am
4. September 2007 um 16:10herzlich willkomme hier, tobi g.
habe gerade auf deinem blog gelesen, dass wir ja fast nachbarn sind, ich leite die jesus freaks in remscheid und wir machen auch regelmässig gottesdienste in wuppertal. haben wir uns schon mal irgendwo getroffen? kam mir vom foto her nicht so vor.
@ wegbegleiter: schönes zitat. halt dich dran!
Günter J. Matthia schrieb am
5. September 2007 um 09:16Vielen Dank für den Beitrag, macht mir Mut. Ich bin in den letzten Jahren immer mehr dazu übergegangen, das „Unerklärliche“ nicht wegzulassen oder schönzureden, sondern eben zu sagen: Verstehe ich nicht.
David schrieb am
5. September 2007 um 19:43Ich denke es ist gut und richtig Sachen stehen zu lassen und offen zu sagen das verstehe ich nicht und wenn man Gott bittet wird er einem helfen zu verstehen. Und wenn nicht, ist das ja eigentlich auch nicht schlimm.
Denoch finde ich es ganz wichtig festzuhalten, dass Gott Liebe IST. Und Gott 100 Prozent gut IST. Und auch wenn vielleicht manche Stellen für uns nicht verständlich sind immer mehr in die neutestamnetliche Realität zu kommen.
storch schrieb am
5. September 2007 um 19:50das ist absolut klar. alles andere spricht gegen das evanglium, also 100% einverstanden, david.