24. Juni 2007 1

Piaget für Prediger 3

In der Bibel scheint mir dieses „Prinzip Piaget“ bereits intuitiv umgesetzt zu sein – lange bevor die Theorie dafür nachgeliefert wurde. Es ist ein weiteres Indiz dafür, dass Gottes Wort der Wissenschaft voraus ist und wir heute wieder einiges neu entdecken, was dem aufmerksamen Bibelleser längst bekannt war.

Die meisten Texte sowohl des Alten als auch des Neuen Testamentes sind nicht für Leser mit ausgeprägten Fähigkeiten zu abstrakten Denken verfasst. Eine Ausnahme bilden vielleicht die Paulusbriefe (inklusive des Habräerbriefes). Paulus kommt im Gegensatz zu beinahe allem anderen in der Bibel ausserordentlich philosophisch rüber und vieles was er geschrieben hat muss ordentlich ausgelegt werden um den Boden für den Zuhörer urbar zu machen. Vielleicht ist es auch das, was Petrus (2.Petrus 3,16) dazu verleitet hat zu schreiben, dass manches in den Briefen des Paulus schwer zu verstehen sei.

Interessant an Paulus ist, dass es gerade im Hebräerbrief, der meiner Ansicht nach die komplexeste Lehre über den Glauben enthält (s.z.B. Hebräer 11,1, eine Stelle über die man Bände schreiben könnte), das wichtigste Kapitel durchgehend mit Geschichten illustriert wird, die dem Leser als bekannt vorausgesetzt werden. Paulus schreibt also zwar nicht selber narrativ, stützt aber seine Lehre auf Geschichten die seiner jüdischen Leserschaft bekannt sein mussten und ihnen halfen das abstrakte, das sie lasen zu verstehen.

Jesus selber lehrte in Gleichnissen oder in Anlehnung an Alltagserfahrungen. Er hatte ebenso wie wir heute die Schwierigkeit ein über-intellektuelles Reich zu lehren und wusste dass der einzige gangbare Weg sein würde dieses Reich mit Vergleichen zur sichtbaren Welt zu erklären.

Im Alten Testament ist es ebenso: oft sind Lehraussagen verpackt in gleichnishafte Geschichten. Im ganzen Judentum ist das ein normaler Weg des Lehrens; eigentlich der vorherrschende. Es gibt eine Literaturgattung, den Midrasch, der eine Form der Lehrgeschichte darstellt. Menschen lernen so an Situationen und Fallstudien etwas über abstrakte Zusammenhänge. Ich bin zwar kein Pädagoge, aber ich möchste vermuten, dass auch das Märchen eine ähnliche Gattung der Lehrliteratur darstellt. Das Märchen arbeitet anhand einer kleinen Geschichte auf eine moralische Pointe hin, die auf den Zuhörer bildend wirkt. Auf diese Weise erreicht es mehr als eine Predigt mit exakter Herleitung des entsprechenden moralischen Prinzips es geschafft hätte.

Möglicherweise liegt in den Arten des Wissens- oder Weisheitsvermittlung einer der greifbarsten der oft beschworenen Unterschiede zwischen dem „griechischen“ und dem „hebräischen“ Denken. Im postmodernen Deutschland leben wir in einer Zeit in der viele das abstrakte („griechische“) Denken bevorzugen oder zumindest von dieser Denke geprägt sind. es scheint aber immer mehr ein erneuter Paradigmenwechsel stattzufinden, hin zu mehr Anschaulichkeit und „erfahrbarem Wissen.“

Be Sociable, Share!

Ein Kommentar

  1. naja, es ist keine besonders neue Erkenntnis, dass die orientalische Lehr-Tradition – immer aufpassen, wir befinden uns mit der Bibel immer im Orient- mit Bildern arbeitet. Grade hier liegt ja das Verdienst des Paulus, der die Bildersprache des Orients in das argumentative Denken der Griechen/Römer übertrug. Jeder, der schon mal einen Anlauf genommen hat, arabisch oder eine andere orientalische Sprache zu lernen, wird gradezu erschlagen gewesen sein, wie bildreich und poetisch selbst die Alltagsfloskeln daher kommen. Da sagt man nicht „Einen schönen Tag noch.“, ne: „Möge die Morgensonne deinen Weg beleuchten.“
    Für Europäer etwas überladen und missverständlich. Der kulurelle Unterschied zwischen Westen und Osten birgt aktuell ja immernoch Sprengstoff, und zwar auf jedem Gebiet.
    Was die Pädagogig betrifft, sehe ich diese eher aus dem Winkel der Verhaltensforschung. Verkürzt:Lernen ist bei uns immer abgucken. Sprache lernen wir als Kinder in dem unser Gehirn Laute mit Gestik und Mimik verbunden sehen und daraus die Bedeutung erkennen. Haben wir erstmal geschnallt, dass die Lautabfolge M a m a unsere Hauptbezugsperson dazu veranlasst sich uns zuzuwenden, verbinden wir nicht nur diese Person, sondern auch Zuwendung und Fürsorge mit dieser Lautabfolge. Eine Mama wird zu einem Komplex mit -meistens- vielen positiven Eigenschaften hat und an die wir sehr hohe Erwartungen haben. Ähnlich ist es mit dem Begreifen von Dingen, wir sehen, betasten, sehen was andere tun und was passiert und ahmen andere nach. So lernen wir mit Dingen umzugehen.
    Daraus folgt: Die wirksamste Art das Evangelium zu verbreiten ist es einfach zu leben. Hier beginnt die Schwierigkeit. Kein Buch, keine Predigt und kein Seminar wird das Reich Gottes irgendjemandem nahe bringen, wenn wir es nicht leben.
    Vielleicht ist das der Grund, warum Heilige und Seelige so viel Anziehungskraft besitzten. Heilige „wissen“ nicht nur von Gott und „reden“ nicht nur über Gott, sie folgen wirklich nach. Imitatio. Das ist der springede Punkt. Für mich war sehr erstaunlich, dass bei dem ein oder anderen wie z.B. Charles de Foucauld das Tun ohne zu wissen, erst die Erkenntnis gebracht hat. Also warum solltest du, lieber Storch, das dreitrillionste fromme Buch schreiben? Lebe einfach so, dass irgendwann einmal jemand ein frommes Buch über dich schreiben will.
    Grüße

Schreibe einen Kommentar

Diese HTML-Tags und Attribute sind erlaubt: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>