13. Juli 2006 14
bin ich Theoretiker?
Ich stelle in mir einen starken Hang zur Theorie fest. Jeder, der diesen Blog regelmässig liest, wird das schon bemerkt haben. Ich lese freiwillig Luhmann und Fichte, lehre die Bibel und kann mich tagelang im Elfenbeinturm vergraben. Paul Tillich schrieb einmal: „Es bestand weder bei mir noch bei anderen je ein Zweifel daran, dass ich zur Theorie und nicht zur Praxis berufen sei.“ (Tillich, Paul (1962): Auf der Grenze. Aus dem Lebenswerk von Paul Tillich. Stuttgart: evangelisches Verlagswerk Stuttgart., S. 24.)
Anders als Tillich bin ich damit nicht zufrieden. Im Gegenteil, ich bin im Höchstmasse unzufrieden, weil ich spüre, dass die Erkenntnis zur Tat drängt: ich will das leben, was ich begriffen habe. Mehr noch, wie ich in einem der kommenden Posts schreiben werde, ist biblisch betrachtet die Erkenntnis erst dann abgeschlossen, wenn sie Tat geworden ist.
An dieser Wegscheide stehe ich gerade und blicke mich dumm um. Ich weiss noch nicht, wie es weitergeht und wann die Erkenntnis Leben wird, aber ich sehne mich danach und bete dafür. Es wird kommen der Tag an dem die Erkenntnis in der Tat vollendet wird!
Noch ein anderer Tillich, nur eine Seite weiter: „Religiöse Wahrheit wird getan – entsprechend dem Johannes-Evangelium.“
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[…] theoretisch. Theorie ist an sich nicht falsch oder etwas Schlechtes; ich bin selbst theoretisch veranlagt. Aber irgendwann muss das Gummi auch mal die Strasse berühren, sonst wird es langweilig und nichts […]
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Just do it!
Es ist mir gestern passiert und heute gleich wieder…
Ein Satz, den ich in den letzten Wochen ziemlich oft in Geprächen verwendet (und auch so gemeint) habe, war: “Wenn du was machen willst, dann denk nicht lang drüber nach, sonder…
Uli schrieb am
13. Juli 2006 um 09:11Ich kann nicht behaupten, daß ich besonders viel Theorie intus habe. Das liegt bei mir daran, daß ich mich nicht in Bücher vergraben kann, sondern die Praxis zur Theorie brauche. Oft war es so, daß ich ganz praktisch auf die Nase gefallen bin, um dann theoretisch danach zu erfahren wieso das passierte. Aber auch andersrum habe ich viel gutes Erlebt. Ganz banal hab ich gesagt „Jesus, ich will mit dir was erleben“, und hatte 3 Monate später mit einer Satanistin Kontakt, die Jesus (durch mich) erlebte. Ich hatte von Satanismus von Tuten und Blasen keine Ahnung, außer, daß es net grad prickelnd und Jesus stärker als Satan ist. Ich hatte gerade noch den „Jesus-Terror-Force“-Bibelspruch im Kopf.
Heute ist es nicht mehr ganz so, dennoch erlebe ich viel, ich habe den Eindruck, daß das Gleichgewicht zwischen Theorie und Praxis ausgewogener ist.
Ich bin ziemlich dankbar dafür, wenn ich (zB deine) Lehre hören kann, weil ich mit mit Theologie und Philosophie einfach schwertue. Ich bin da doch irgendwie Ingenieur ;-).
Als Jesus Freak hat man auch die Chance, Streß mit Leuten haben zu können, die sich mit dir wegen deinem Glauben anlegen. Auch da kann man doch viel erleben, finde ich.
sofx
Trümmerlotte schrieb am
13. Juli 2006 um 12:35In der Praxis bewahrheitet sich die Theorie erst. Was man in der Theorie nicht alles kann und wo man nicht überall durchblickt. Die Praxis kann das innerhalb von Sekunden über den Haufen werfen.
haso schrieb am
13. Juli 2006 um 15:38ich glaube, dass es verschiedene lebensphasen geben kann, in denen mal das eine, mal das andere im vordergrund steht. du hast ja als „theoretiker“ nicht deine bestimmung verfehlt hat. wenn ich aus der distanz beobachte, welche bedeutung du als „lehrender theoretiker“ für die jesus-freaks und darüber hinaus hast, dann ist diese seite bestimmt nicht ohne frucht. deine innere unzufriedenheit würde ich deshalb eher als ein göttliches signal ansehen, mit dem er dich auf veränderungen vorbereitet, und nicht als infragestellung des bisherigen.
so ging´s mir vor mehr als 10 jahren auch. ich stellte als bibelschullehrer (der von gott dazu berufen war) fest, dass ich immer mehr zum theologischen beamten zu werden drohte. die begleitende innere unzufriedenheit bereitete mich auf den absprung und den weg zurück in die stadt vor. nach einigen jahren offensiver gemeindearbeit war dann wieder eine phase des spirituellen rückzugs dran, und jetzt wende ich mich, wie du weißt, seit einigen monaten wieder verstärkt der praxis zu. irgendwie war immer alles richtig, und unzufriedenheit war immer ein guter motor der führung gottes.
allerdings glaube ich, dass der übergang von der theorie zur praxis manchmal kein bruchloser ist, das handeln nicht einfach aus dem denken wie eine frucht wächst. manchmal muss man einen sprung in ein neues praxisfeld wagen. von daher solltest du für die möglichkeit offen sein, dass neue werke gottes nicht einfach am wegesrand liegen werden, sondern einschnitte im lebensstil dazugehören können. aber das weiß man, wenn es dran ist.
andichrist schrieb am
13. Juli 2006 um 21:03nein, biste nicht
storch schrieb am
13. Juli 2006 um 21:10da bin ich ja beruhigt.
haso, vielleicht schreibe ich dir mal eine mail auf deinen kommentar. wäre sonst zu persönlich für dieses mass an öffentlichkeit.
chrisse schrieb am
13. Juli 2006 um 23:07ich schließe mich haso an. theoretiker sein ist für einen theologen auch eine sehr gute praxis, knoten lösen, wahrheit freischaufeln, schätze bewachen – nicht schlecht, oder? ohne so manchen theoretiker wäre ich gar nicht weitergekommen – auch durch deine „theorie“ und antworten. ich finde auch theorie / praxis immer schwer abzugrenzen.
storch schrieb am
13. Juli 2006 um 23:16stimmt schon. so weit denken handeln ist, was es spätestens ab dem zeitpunkt wird an dem man einen stift zur hand nimmt oder das mikro zum mund führt, sind theorie und praxis nicht mehr zu trennen.
MetalMaggus schrieb am
14. Juli 2006 um 01:54verglichen mit meinen Dozenten bist du noch sehr „praxisnah“ (merkt man an den Zeugnissen in den Predigten).
Musst mal ein Seminar über Sprechakttheorie besuchen, das ist trockener Stoff *g*
Martin Dreyer schrieb am
18. Juli 2006 um 12:10Ist das so was schlimmes? Ist das ansteckend? Kann man da dran sterben? ;+)
Wie auch immer, ich finde es ist nur genial, dass es da jemanden wie dich gibt, der Sachen durchdenkt, in seinem Hirn durchflügt, siebt, und am Ende auch ein guter Output bei rüberkommt. Wenn ich deine Predigten höre, dann stelle ich immer wieder fest, dass ich dabei mein Herz total aufmache. Ich hinterfrage nicht jedes Wort, ich vertraue dir einfach, ich bin offen. Und ein Grund dafür ist, weil ich weiß, du hast da schon eine Menge vordenkarbeit geleistet, in der der Theorie Deine Worte durchleuchtet und abgecheckt. Das gibt mir immer ein gutes Gefühl.