Grundtugend #3: funktionalität
christian a. schwarz hat in seinem bahnbrechenden buch, „die dritte reformation,“ ein neues paradigma in die christliche szene eingeführt: fuktionalität. das ist zugleich auch meine dritte theologische tugend.

jede theologie hat eine funktion, in dem sinne, dass sie etwas bewirkt. wenn eine denkweise nichts bewirkt, dann ist sie auch nicht beachtenswert. funktion ist an sich ein neutrales wort, aber es schwingt schon mit, dass das, was theologie bewirkt positiv oder negativ sein kann. dabei will ich erst einmal nicht bewerten, was positiv oder negativ ist sondern diese frage genauso offen lassen wie paulus (1.korinther 10,23). gut bedeutet ganz allgemein: aufbauend. menschen können aufgebaut werden, gemeinden und völlig allumfassend gottes reich.
die frage, die theologie immer an sich stellen lassen muss ist demnach: „dient sie den menschen?“ eine theologie, die nach ehrlicher gewissensprüfung diese frage verneinen muss, ist schlecht.

dabei sind die prüfkriterien sicherlich unterschiedlich. es wird nicht möglich sein, kriterien aufzustellen, die für angehörige aller theologischen systeme gleichermassen als verbindlich angesehen werden. das macht auch nichts, denn auch ich argumentiere von einem spezifischen standpunkt her. für mich muss theologie folgende funktionale kriterien erfüllen:

    1. in die freiheit führen
    theologie, die christen unter ein joch der gesetzlichkeit zwingt ist meiner ansicht nach nicht in gottes sinne. wenn ein system seine mitglieder dazu bringt, bestimmte dress-, sprach- oder sonstige codes einzuhalten und bei nicht-einhaltung mit hölle, ausschluss etc. droht, ist etwas falsch gelaufen. theologie muss christen in mündigkeit führen und glücklich machen. christen, die in angst vor einem bösen gott leben sind weder glücklich noch frei. deshalb lehne ich solche theologien (auch) aus funktionaler sicht ab.
    gesetzliche theologien gibt es viele. da muss man nicht lange suchen. solange sich menschen so schwer damit zu tun in der freiheit christi zu leben, so lange wird es einen nährboden für derartige systeme geben. am ende scheint sartre recht zu behalten: „der mensch ist zur freiheit verurteilt.“
    2. innovation fördernd
    theologie scheint immer schon eine sache gewesen zu sein, die eher bestehendes bewahrt als neue wege zu gehen. dabei hat es aber das reich gottes dringend nötig, in seinen strukturen und ausdrucksformen ständig erneuert zu werden. theologie, die angst vor der welt und den errungenschaften der modernen welt lehrt, versucht die zeit anzuhalten und verliert den anschluss an den menschen. damit ist nicht gesagt, dass wir nicht eine gesunde skepsis gegenüber zeitgeistlichen strömungen haben sollten. damit ist nur gesagt, dass das christentum eine wertkonservative einrichtung ist, keine strukturkonservative.
    auf innovation ausgerichtet zu sein bedeutet, kulturelle offenheit zu zeigen und einen starken schwerpunkt auf die jugend zu richten. das bewahrende der theologie wird oft noch dadurch verstärkt, dass in den gemeinden die „rücksicht auf die alten“ die höchste tugend ist. das führt natürlich unweigerlich dazu, dass alle formen (und die lautstärke!) sich an den bedürfnissen der alten anpassen. da der generationenkonflikt in deutschland nicht wegzudiskutieren ist, führt das dazu, dass das erneuernde potential der gemeinden abwandert und sich nicht selten religiös komplett umorientiert.
    3. weltzugewandt
    zuletzt erwarte ich von theologie, dass sie christen in die welt sendet und „weltkompatibel“ ist. theologie darf nicht überintellektualisiert:“(hm, das kann in einer solchen reihe, wie der metatheologischen, die voller fach- und fremdwörter steckt, ironisch wirken. ist aber nicht so gemeint. ich lege hier ein fundament, das haus, das darauf steht ist normalsprachlicher und, naja, sagen wir ein klein bischen prollig…)“: sein und auch nicht ghettoisierend. vielfach ist theologie und die daraus erwachsende lebens- und gottesdienstpraxis nicht mehr anschlussfähig. christen werden zu schrulligen aliens erzogen, die von ihrer subkulturellen sprachlichkeit und ihren verqueren ansichten völlig von der welt isoliert werden. (und die sich dann wundern, dass keiner zum glauben kommt…).
    Theologie hat einen Auftrag: Grundlagen dafür zu schaffen, dass Gott den Menschen gebracht wird. Ebenso wie die Ethik die Reflexionstheorie der Moral ist (Luhmann), ist Theologie die Reflexionstheorie des Glaubens. Beide müssen praktische Auswirkungen haben und dürfen nicht zum Selbstzweck werden. Glaube und Moral können nicht theoretisch bleiben, sie erstehen erst in der Praxis.

funktionalität allein wirkt schnell prinzipienlos. „gut ist, was funktioniert“, könnte das motto lauten. aber das ist nicht möglich, wenn die theologie auch geerdet ist. die bibel ist zu voll mit moralischen grundlagen um eine unmoralische theologie zuzulassen. wenn alle drei grundtugenden beherzigt sind, macht es letztlich sinn.

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3 Kommentare

  1. Hallo Storch,
    wunder dich nicht, wenn bei diesem Gehaltvollen Threats von Dir keiner Kommentare schreibt. Das macht einen einfach sprachlos, das ist fast zu viel, dieses geballte Wissen erschlägt mich geradezu. Du mußt das unbedingt alles auch auf Festplatte sichern, dadraus musssss mal ein Buch werden, mindestens eine Artikelserie für irgendeine Zeitschrift oder so! Das mußt du versprechen, ja!?
    Ich für meinen Teil kann so gehaltvoll Texte garnicht voll am PC konsumieren. Da geht oft gerade nur leichte Kost. Anders bei gedruckten Sachen, da geht das besser. Aber vielleicht bin ich da auch anders.

  2. hey martin,
    kein problem. ich weiss, dass die posts eigentlich zu lang sind für blogeinträge. teilweise sind sie drei seiten lang, das ist schwer zu lesen. aber es ist auch mehr ein experiment: ein buch „en blog“ zu schreiben. ich habe schon vor, ein buch daraus zu machen. auch wenn es noch dauern wird, bis das gute stück fertig ist.
    bis morgen,
    storch

  3. Mir geht das genau so. Ich lese das und bin erst einmal platt. Finde es aber sehr geil und manche Posts haben meine Denkweisen total verändert. Ist sehr bereichernd. Bitte mach weiter so und ich hoffe noch viele gute theologische Ergüsse von dir zu lesen. Schön, dass du ein Teil der Bewegung bist.
    Gottes Segen.

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  1. […] über das Schreiben und Blogs (interessante Anmerkung zum Schreiben bei Luhmann) – drei Grundtugenden (Luhmannzitat auf Theologie angewandt) – wenn Recht sich überholt – Rente und Sterben (Zitat) – […]

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