20. Januar 2015 5

Flüchtlinge im KZ?

Bekanntlich will die Stadt Schwerte Asylanten auf einem Gelände der KZ-Außenstelle Buchenwald unterbringen. Die Entscheidung ist für viele ein echter Aufreger und auch ich empfand es als sehr unsensibel, Ausländer in einem KZ unterzubringen.

Aber darum geht es ja gar nicht. Von einem Konzentrationslager spricht niemand. Es handelt sich um Gebäude, die erst nach dem Krieg gebaut wurden und somit in keinem Zusammenhang zum Nationalsozialismus stehen. „Bei den Recherchen, bei denen Luftbilder aus den Jahren 1952/1959 aufgetaucht sind, habe sich herausgestellt, dass die fragliche Baracke nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen worden sein muss. Allein die nahe gelegene Pfadfinderbaracke sei noch original.“ Diese Ergebnisse einer historischen Forschung stellte Schwertes Bürgermeister Böckelühr vor.
Bei den teils sehr hitzigen Reaktionen geht es also eher um Vergangenheitsbewältigung als um die aktuelle Nutzung. Die Frage scheint zu sein, ob man ein „vorbelastetes“ Gelände solcherweise nutzen darf.
An anderen Stellen hat man das längst gemacht, denn ganz Deutschland hat dieselbe Vergangenheit und dennoch nutzt man Straßen, Rathäuser, Flugplätze und Autobahnen noch immer. Warum dann gerade hier nicht?
In der Geschichte nutzte man die Infrastruktur eines besiegten Feindes anders. Man statuierte ein Exempel, indem man sie entweihte oder umweihte. Das Matthäusevangelium spricht von einem „Gräuel der Entweihung“, der an heiliger Stätte stehen wird (Matthäus 24,15). Damit bezieht es sich auf eine Prophetie aus dem prophetischen Buch Daniel. „Dort [umschreibt] dieser Ausdruck den von den Syrern auf dem Brandopferaltar im Tempel aufgerichteten Zeusaltar.“1
Salopp gesagt hat man die Gebäude also einfach umgenutzt; aus einem Tempel JHWHs wurde ein Zeustempel. Warum kann dann nicht auch ein KZ-Gelände zu einem Ort der Menschlichkeit umgeweiht werden? Es ist ein schöner Gedanke, dass an einem Ort der Naziverbrechen heute Araber und Schwarze leben. Hitler dreht sich im Grabe um.
Überhaupt gehen nicht nur die Neonazis und Rechten falsch mit der Vergangenheit um. Ihre ewig-gestrige Gesinnung zeigt sich in Glorifizierung des Dritten Reiches. Aber es ist ähnlich, wenn die Dämonisierung des Dritten Reiches so sehr zum Kult wird, dass man ihrer mehr gedenkt als heutigen Opfern. Unmenschlichkeit ist kein Problem, das seit 1945 gelöst wäre. Wir würden mehr gegen den Geist des Dritten Reiches unternehmen, wenn wir der heutigen Opfer mehr gedächten. Da gibt es viele, man muss nur an Boko Haram denken und die Dörfer, die sie vernichten. Oder an die Opfer des Krieges zwischen Israel und den Palästinensern.
Es dient auch unserer Vergangenheitsbewältigung, wenn wir ehemalige KZ-Flächen sinnvoll nutzen indem wir Flüchtlingen mit Liebe und Respekt behandeln. Wie schrecklich wäre es, Asylanten abzuweisen weil wir keine „historisch belasteten Flächen“ nutzen wollen.


1) Luz, Ulrich (2002): Das Evangelium nach Matthäus. Matthäus 26-28. Düsseldorf, Zürich: Benziger (EKK – Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament, Bd. 1, Teilbd. 4). Seite 425.

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5 Kommentare

  1. Da hast du recht!
    Und das mit der „Dämonisierung des Dritten Reiches“ ist ein interessanter Aspekt.
    Völlig richtig, aber man muss leider immer noch aufpassen, mit wem man darüber spricht. Zu leicht landet man in der rechten Ecke.

  2. Ja, das mit dem Aufpassen nervt mich auch. Ich hoffe, dass ich über jeden Naziverdacht erhaben bin. Aber ich finde es auch doof, dass man einiges nicht sagen darf. Da sollte man es gerade tun, denn Themen über die man nicht redet sind schlecht.

  3. Das vergangene darf nicht vergessen werden, wir sollten immer wieder daran erinnert werden. Aber die Idee aus einem Hass erfüllten Ort einen Ort der Zuflucht und des Schutzes zu machen ist eine gute Idee. Und wieder wird ein grauer Ort mit Licht, Hoffnung und Zuversicht geflutet.

  4. „Es ist ein schöner Gedanke, dass an einem Ort der Naziverbrechen heute Araber und Schwarze leben. Hitler dreht sich im Grabe um.“
    Was du sagst überzeugt mich und ich kann deinen Ausführungen zustimmen. Trotzdem bleibt ein komisches und makaberes Gefühl hängen, dass Ausländer in ein ehemaliges deutsches KZ aufgenommen werden. Ich bin 25 Jahre alt, habe also die Gräultaten des NS-Regime nich mitbekommen, aber mir reichen die Bilder in den Geschichtsbüchern, um zu wissen wie schrecklich diese Zeit, für die Juden gewesen sein musste.
    Allein die zwei Buchstaben „KZ“ erinnern mich ständig an die Bilder von den fast verhungerten Juden. Ich als deutscher würde zumindest nicht gerne in einem solchen umgebauten „Lager“ leben wollen.
    Wie gesagt, mit dem Kopf kann ich mit dem gehen, was du geschrieben hast – aber mit dem Herzen bleibt für mich jedes KZ ein Mahnmahl.

  5. Hallo David,

    ich weiß, was du meinst. Mir geht es auch so – das darf nicht in Vergessenheit geraten. Allerdings sind die meisten Lager bereits weg und das ist auch gut so, denn es gab einfach überall Nazieinrichtungen. Die Vergangenheit verpflichtet uns für die Zukunft.
    Es wäre schlimmer, wenn als Nazi-Infrastruktur erhalten bliebe und wir die heutigen Flüchtlinge abweisen würden. Dagegen finde ich es besser, wenn jeder Schüler einmal nach Auschwitz kommt. Statt viele Gedenkstätten zu erhalten, können wir die wenigen besser nutzen.

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