23. April 2012 1
2010-12-17 Identität 1: Gerechtigkeit
„Entweder lebt man aus seiner Identität oder für seine Identität.“
Ausgehend von diesem Aphorismus von Bill Johnson, den ich in einer Predigt aufgeschnappt habe, möchte ich selber in loser Folge einige Predigten über unsere Identität in Christus halten. Wenn wir nicht wissen, wer wir sind und wie Gott uns sieht, kann das unser Leben erheblich erschweren. Wer nicht weiß, dass er geliebt ist, wird hart dafür arbeiten geliebt zu werden; Wer nicht weiß, dass er gerecht ist, wird versuchen aus eigener Kraft vor Gott zu bestehen und damit bestenfalls selbstgerecht werden. Unsere Identität in Christus ist der Dreh- und Angelpunkt unseres Lebens als Christen.
Identität hat etwas mit einer uralten Frage der Menschheit zu tun: Bin ich was ich bin oder bin ich, was ich tue? Man kann beides nicht ganz voneinander trennen, denn wer wir sind hat Einfluss auf unser Handeln und umgekehrt prägt uns, was wir tun. Die Richtung ist aber sehr klar: Gott hat uns zu etwas gemacht, aber wir leben nicht automatisch darin. Oft ist es ein langer Prozess, bis wir das annehmen und leben können, was Gott in uns getan hat.
In diesem ersten Teil geht es darum, dass wir die Gerechtigkeit sind, die vor Gott gilt. Martin Luther ist innerlich daran zerbrochen, dass er Gottes Gerechtigkeit falsch verstanden hat. Er meinte, dass er selbst so gerecht, heilig und sündlos sein müsse wie Gott. Dass es unsere Herausforderung als Menschen ist, Gottes Gerechtigkeit zu erlangen und so zu leben wie er.
Mir hatte bis dahin nicht die Kälte des Herzens im Wege gestanden, sondern ein einziges Wort, das [in Römer 1,17] steht: Die Gerechtigkeit Gottes wird in ihm [dem Evangelium] offenbar. Denn ich haßte dieses Wort „Gerechtigkeit Gottes“, das ich durch den Gebrauch und die gewohnte Verwendung bei allen Gelehrten gelehrt worden war, philosophisch zu verstehen von der, wie sie sagen, formalen oder aktiven Gerechtigkeit, durch die Gott gerecht ist und die Sünder und die Ungerechten straft.
Ich aber, der ich, obgleich ich als untadeliger Mönch lebte, mich vor Gott als Sünder mit unruhigstem Gewissen fühlte und nicht vertrauen konnte, daß ich durch meine Genugtuung versöhnt sei, liebte nicht, nein ich haßte den gerechten und die Sünder strafenden Gott. Im geheimen war ich – wenn auch auch nicht in Verfluchung, so doch in gewaltigem Murren – aufgebracht gegen Gott, indem ich sagte: Gleichsam als ob es wahrlich nicht genug sei, daß die armen Sünder und die durch die Erbsünde ewig verlorenen durch jede Art von Unheil durch das Gesetz des Dekaloges bedroht sind, wenn nicht Gott durch das Evangelium Leid zum Leid hinzufügte, und auch durch das Evangelium uns Gerechtigkeit und seinen Zorn androhte! Ich raste so mit grimmigem und verwirrtem Gewissen, bedrängte aber ungestüm an dieser Stelle Paulus, brennend dürstend, um zu wissen, was der hl. Paulus wollte.
Tag und Nacht dachte ich unablässig darüber nach, bis Gott sich meiner erbarmte und ich auf den Zusammenhang der Worte achtete, nämlich: Die Gerechtigkeit Gottes wird in ihm offenbar, wie geschrieben steht: ‚Der Gerechte lebt aus Glauben‘. Da fing ich an, die Gerechtigkeit Gottes als die Gerechtigkeit zu verstehen, durch die der Gerechte als durch Gottes Geschenk lebt, nämlich aus dem Glauben, und begriff, daß dies der Sinn sei: Durch das Evangelium wird die Gerechtigkeit Gottes offenbar, und zwar die passive, durch die uns der barmherzige Gott durch den Glauben rechtfertigt. (WA 54, 185f)
Wenn man mit unserem Verständnis des Evangeliums aufwächst, kann man sich kaum vorstellen, welch eine Revolution sich in diesem Moment in Luthers Denken und Fühlen abspielte. Das stellte alles auf den Kopf: Wir müssen nicht gerecht werden durch unser Tun, sondern Gott schenkt uns seine Gerechtigkeit. Er spricht uns in Christus gerecht – das ist ein Kern des Evangeliums, wir bekommen von Gott eine neue Identität; sind nicht mehr Sünder, die sich bemühen in den Himmel zu kommen, sondern Menschen, die Gottes Gerechtigkeit bekommen – ja, es geht sogar noch weiter -: Die Gottes Gerechtigkeit sind.
Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden. (2.Korinther 5,21 nach der Einheitsübersetzung)
Wir sind nicht nur gerecht. Wir haben mehr, als eine äußere Gerechtigkeit – wir sind Gerechtigkeit. Durch Jesu Opfer sind wir Gottes Gerechtigkeit geworden. Er wurde, was wir sind damit wir werden können, was wir sind. Welch ein Tausch! Auch Jesus zog nicht äußerlich Sünde am um uns mit Gerechtigkeit zu überkleiden, er wurde zur Sünde selbst. So ist Gerechtigkeit nun unsere Identität und wir sollten aus dieser Identität leben. Wir müssen nicht versuchen gerecht zu werden vor Gott – wir sind es und sollten lernen, aus dieser Gerechtigkeit zu leben.
Warum ist es so schwer, solche Glaubenstatsachen anzunehmen?
Ich vermute, dass die wenigsten Christen aus diesem Bewusstsein leben. Unsere Sünde ist oft größer als Gottes Wort. Wir leiden unter Dingen, die wir teilweise vor langer Zeit getan haben und deren wir uns immer noch schämen. Es fällt schwer anzunehmen, dass man Gottes Gerechtigkeit ist wenn man gleichzeitig ein starkes Sündenbewusstsein hat und sich mehr um das dreht, was man tut als um das, was man ist.
Um die Frage, warum es so schwer ist, solche Tatsachen anzunehmen, zu beantworten, muss ich etwas ausholen.
Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt, und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen. 10 Da hörte ich eine laute Stimme im Himmel rufen: Jetzt ist er da, der rettende Sieg, die Macht und die Herrschaft unseres Gottes und die Vollmacht seines Gesalbten; denn gestürzt wurde der Ankläger unserer Brüder, der sie bei Tag und bei Nacht vor unserem Gott verklagte. (Offenbarung 12,9-10 nach der Einheitsübersetzung)
Eine Schwierigkeit dabei, die Offenbarung zu verstehen liegt darin, dass sie nicht chronologisch geordnet ist. Manche Stellen, z.B. die Sendschreiben, bezogen sich auf die Gegenwart in der Johannes lebte. Andere beziehen sich auf Ereignisse, die auch heute noch in der Zukunft liegen, wieder andere sind lang vorbei. In dieser Stelle zeigt Gott Johannes eine Realität, die sich lange vor seinen Lebzeiten abgespielt hat. In diesem Fall ist es leicht zu entscheiden wann es sich zugetragen hat, denn Jesus sagte in Lukas 10,18, dass er den „Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen sah“.
Der Verkläger der Brüder und Schwestern wurde also aus dem Himmel auf die Erde geworfen. Das stellt mein Bild ziemlich auf den Kopf. Ich hatte es immer so gelernt, dass Satan im Himmel ist und mich vor Gott anklagt, dass dann aber jedes Mal Jesus kommt und für mich eintritt. Ehrlich gesagt, hat mich das Bild aus zwei Gründen immer gestört: Zum einen wollte ich ungern den Thronraum Gottes betreten und dort den Satan treffen – schlechte Gäste verderben jede Party. Zum anderen hat es mich gewundert, wieso Gott überhaupt auf den Teufel hören sollte und wir vor unserem himmlischen Vater einen Beistand benötigen sollten.
Zum Glück ist das Bild auch falsch. Satan ist nicht im Himmel, er ist auf der Erde und verklagt hier die Kinder Gottes. Er tut das zunächst vor uns selbst, indem er uns unsere eigenen Fehler und Sünden immer wieder vorhält und uns zeigt, dass wir gar keine richtigen Christen sind und Gott uns nicht gebrauchen kann. Dann versucht er es auch untereinander indem er uns voreinander verklagt und schlecht macht.
Vielleicht ist es Dir aufgefallen, dass ein nicht geringer Teil des Neuen Testamentes in juristischen Metaphern geschrieben ist. Es gibt den Ankläger, Schuld, Wiedergutmachung und den Anwalt. Die Bibel sagt, dass der Heilige Geist unser (Rechts)beistand ist. Der Gerichtssaal in diesen Bildern ist nicht der Himmel sondern unser eigenes Herz, unser Denken und unser Gewissen. Hier tobt die Schlacht. Eigentlich können wir ganz beruhigt sein, denn wir haben den besten Anwalt an unserer Seite, den man sich vorstellen kann. Gottes Geist kennt das Gesetz und die Erlösung in- und auswendig. Er kennt unsere Beweggründe, die Vergangenheit und die Zukunft. Mit ihm an unserer Seite können wir gar nicht verlieren.
Es gibt aber einen Prozess, den niemand – auch der beste Anwalt nicht – gewinnen kann. Den Prozess in dem der Angeklagte sich schuldig spricht. Wenn im Prozess der Angeklagte aufsteht und sagt: „es stimmt, das habe ich getan“ – und sich damit mit der Anklage identifiziert – dann hat der Verteidiger verloren. Wenn wir uns mit dem identifizieren, was Satan über uns sagt, hat der Heilige Geist den Prozess verloren. Dann nehmen wir wieder die Identität an, die uns die Gegenseite vorschlägt.
Der Trick ist, sich mit der richtigen Seite zu identifizieren und das zu glauben, was Gott sagt; nicht das, was der Teufel sagt. Es geht wieder um den alten Konflikt: Gott spricht davon was wir sind. Der Teufel sagt, was wir tun. Sein schlägt tun.
Wir werden das leben, was uns beschäftigt. Drehen wir uns um die Sünde die wir tun oder taten, werden wir nicht von ihr loskommen. Leben wir aus unserer neuen Identität ist Sünde wie ein dritter Schuh für den man keine Verwendung hat.
Der neue Hohepriester
Der Hebräerbrief zeigt uns, dass Jesus ein unvergleichlich besserer Hohepriester ist als der Hohepriester im Alten Bund. Gerade das sechste Kapitel zeigt einen gravierenden Unterschied zwischen den beiden Testamenten: Während der Hohepriester des Alten Testamentes jedes Jahr opfern musste um das Volk zu entsündigen, ist Jesus einmal gestorben und hat die Erlösung vollbracht. Er muss es nicht noch einmal machen.
Im Alten Bund wurde so jedes Jahr von Neuem der Schuld des Volkes gedacht indem sie vor Gott gebracht wurde, im Neuen Bund gibt es ein anderes Ritual, das Gottes Volk feiern soll wenn es zusammen kommt: Das Abendmahl. Anders als das Opfer des Alten Testamentes steht beim Abendmahl nicht die Sünde sondern die Erlösung im Mittelpunkt. Jesus selber sagte bei der Einsetzung:
Während des Mahls nahm Jesus das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es den Jüngern und sagte: Nehmt und eßt; das ist mein Leib. 27 Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet und reichte ihn den Jüngern mit den Worten: Trinkt alle daraus; 28 das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden. (Matthäus 26,26-28 nach der Einheitsübersetzung)
So gedenkt die Gemeinde regelmäßig nicht ihrer Sünden sondern ihrer Vergebung und Erlösung. Auf diese Weise kommt es zu einer Erneuerung des Denkens und wir kommen dahin uns der Erlösung bewusster zu werden als der Sünde. Wer sich mit der Erlösung beschäftigt wird sie immer mehr in seinem Leben wirken lassen, bis sie die Sünde ganz verdrängt. Erlösungsbewusstsein schafft das, was Sündenbewusstsein niemals schaffen kann, nämlich Heiligkeit.
Eule schrieb am
12. Juli 2013 um 11:32Mit Gal 2,19f und 3,26 wird insbesondere aus dem eingangs im Beitrag zitierten Gedanken kenntlich: Die Identität des Christen ist ihm allein mit dem im Glauben empfangenen und in der Taufe verbürgten Heil zu eigen gegeben.