Manchmal höre ich, dass die Welt echt klein geworden ist. Vermutlich ist damit gemeint, dass kein Ort der Welt mehr als achtundvierzig Stunden entfernt ist. Ich bin schneller per Flugzeug in London als mit dem Zug in München. FaceBook tut ein Übriges, dass die Welt zusammenwächst. Ich habe einen Freund in Australien, mehrere in U,S und A, einen in Südamerika und mehrere in Asien. Na gut, ob es wirklich Freunde sind, ist eine ganz andere Frage, aber die zusammenwachsende Welt definiert auch unsere Beziehungen und Freundschaft ist 2011 nicht mehr dasselbe wie 1984.
Obwohl mir das alles bewusst ist, möchte ich der Aussage aufs Schärfste widersprechen. Die Welt ist mitnichten klein geworden; sie ist riesig geworden. Ein aufgeblähtes, überdimensionales Gebilde, das ich nicht mehr fassen kann und das mir auch nur bedingt gut tut. Es ist nicht entscheidend, was mit „der Welt“ ist; meine, ehemals, kleine Welt ist das, was für mich zählt. Hier bin ich zuhause.
Diese Welt war früher recht klein. Sie hatte überschaubare Probleme und es gab ebenso überschaubare Fortschritte in ihr. Wenn ich für meine Freunde (nach alter Definition) betete, dann waren es nicht die 1246 Leute die auf meiner FaceBookFreundesliste auftauchen. Auch nicht meine 432 Kontakte bei Myspace und weiß-der-Geier-wo-ich-noch-überall-bin. Es waren echte Menschen zu denen ich echte Beziehungen hatte.
Heute weiß ich oft gar nicht mehr für wen ich alles beten soll. Alle Statusmeldungen und Mails sind gleich laut und es ist schwer, kein schlechtes Gewissen zu haben, dass man die meisten Gebetsanliegen nicht durchbetet. Diese große Welt dehnt sich auf alle Aspekte des (geistlichen) Lebens aus. Die anderen Remscheider Pastoren kenne ich kaum, aber es gibt mindestens drei Amerikaner, deren Predigten ich regelmäßig höre und die in mein Leben sprechen ohne dass wir je ein Wort oder eine Zeile miteinander gewechselt haben. Als meine Welt noch ein Dorf war, konnte man leicht zu Meinungen kommen, heute ist alles so komplex, dass ich zu jeder möglichen Meinung ein Gegenbeispiel irgendwo auf dem Globus kenne. Das macht es mir oft schwer etwas zu vertreten, das ich selbst glaube und denke.
Wenn jemand sagt, die Welt wäre ein Dorf, dann irrt er. Sie ist eine Stadt, mehr noch, eine Metropole in der die Sonne nie untergeht und deren Pluralismus alles relativiert. Um ehrlich zu sein, ich mag die Metropole und sehne mich gleichzeitig nach dem Dorf zurück aus dem wir alle kommen. Um überhaupt noch Gott zu hören muss man heute ein gerütteltes und geschütteltes Maß an Medienkompetenz mitbringen. Man muss lernen sich zurückzuziehen, zu fokussieren und das allermeiste auszublenden. Geistlich bietet die neue Welt sicherlich Chancen, aber auch Gefahren. Die größten Herausforderungen für das Leben mit Gott lauten 2011 social networks, Informationsflut und Internetpornographie. Mit allen drei kann man umgehen, aber wer hat das schon gelernt?
Das größte Problem daran, dass unsere Welt vom Dorf zur Metropole geworden ist, liegt wohl darin, dass es so schnell ging. Man kann nicht langsam vom Dorf in die Stadt ziehen, es ist ein schwarz-weiß Erlebnis. Niemand hat uns darauf vorbereitet. Wir stehen vor der gewaltigen Herausforderung eine Spiritualität in der (post-)modernen Welt entdecken zu müssen. Alte Strategien versagen oft weil keine Zeit vor der unseren sich je einer Gesellschaft wie unserer gegenüber sah. Am ehesten mag noch der Vergleich mit dem antiken Griechenland gehen in dem sich die Philosophie als Reaktion auf den extremen Pluralismus entwickelte, der an die Mittelmeerküsten brandete.
Viele Meinungen und konkurrierende Lebensentwürfe wirken sich immer auf bestehende Denkmuster und geistliche Gewohnheiten aus. Eine der wichtigsten Lehren die wir ziehen müssen ist nicht, dass wir alte Zeiten zurücksehnen sondern dass wir lernen müssen das zu schützen, was kostbar ist. Unsere Zeit mit Gott muss geschützt werden gegen eine Flut von Meinungen, Bildern, Nachrichten, Ängsten und Hoffnungen, die ständig auf uns niederprasseln.

[für den kranken Boten geschrieben]

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