26. August 2010 2

Predigt: Was zählt

Die letzten elf Tage habe ich auf einem Predigtmarathon in Sachsen und Sachsen-Anhalt verbracht. Mit Seminaren waren es fünfzehn Predigten und sehr viel Gebet. Das ist anstrengender als es klingt.

In mir hat es neu die Frage gestellt, was wirklich zählt. Wenn ich nur eine Predigt habe, die ich in einer Gemeinde halten werde, was wird ihr Thema sein? Die Frage ist eine Variation zu Fragen wie „was tust Du, wenn Du morgen stirbst?“ oder ähnlichen Problemstellungen. So kitschig so etwas ist, manchmal ergibt es durchaus Sinn, sich solche Fragen zu stellen, gerade wenn man noch viel Zeit hat und diese nicht verschwenden will.

Die Frage ist auch eine Spielart der „letzten Worte“. Denen wird in jeder Biographie großer Wert beigemessen. Worauf ein Mensch seinen letzten Atem verwendet, das muss ja irgendwie wichtig sein. Natürlich ist das nicht immer so, wie beim Beifahrer dessen Worte waren „rechts ist frei“ oder bei Emily Dickinson, deren letzte Worte waren „der Nebel steigt herauf“. Jesus hatte die seltene Gelegenheit, zweimal letzte Worte zu sprechen: Am Kreuz und vor der Himmelfahrt.
Die letzten Worte am Kreuz waren die typischen Worte eines sterbenden Menschen. Er sorgte für seine Mutter, vermisste Gott in seinem Leiden, gab seinen Geist in Gottes Hände und sah sein Lebenswerk erfüllt: „Es ist vollbracht!“. Mehr kann man kaum verlangen. Eines war nicht zu erkennen: Todesangst.
Die anderen letzten Worte waren die eines Feldherrn, der vorausgeht und seinen Leuten letzte Anweisungen gab. Es waren mutige Worte, die ein Erbe bewahrten und einen Auftrag übergaben. Diese Worte finden sich ganz am Ende der drei synoptischen Evangelien und der Apostelgeschichte.
Bevor wir uns damit beschäftigen ist noch ein wenig Zusammenhang wichtig.

Wir haben das Problem, dass wir mit den biblischen Geschichten oft zu vertraut sind. Manche von uns haben sie von Kindheit an gehört und kennen sie so gut, dass sie ihnen nichts mehr bedeuten. Mir geht es ebenso auch wenn ich nicht im Kindergottesdienst war. Je bekannter mir eine Geschichte ist umso weniger kann ich hinter den Text sehen und ich lese nur das, was vor Augen ist.
Für die Jünger Jesu waren die drei Jahre mit ihm die größte emotionale Berg- und Talfahrt, die man sich vorstellen kann. Ihre Berufung war schon spektakulär: Jesus hat sie aus ihren normalen Leben herausgerufen, oft mit einem übernatürlichen Element („ein echter Israelit“ – Johannes 1,47). Danach erlebten sie drei Jahre lang Sachen, die sich niemand hätte träumen lassen. Zu ihrer Zeit lagen die großen Wunder des Alten Testamentes bereits Jahrhunderte zurück. Natürlich geschahen noch übernatürliche Dinge, aber normal war das bei weitem nicht. Nun erlebten ausgerechnet sie – eine zusammen gewürfelte Schar normaler Typen – Wunder die größer waren als die von denen sie im AT lasen. Mehr noch: Sie vollbrachten sie selbst.
Dabei kamen sie in jede Menge unangenehmer Situationen, die sie teilweise ich Todesgefahr brachten. In den drei Jahren waren sie mindestens zweimal in Seenot. 20.000 Augenpaare starrten sie gebannt an während sie selbst ein paar Brote und Fische in der Hand hatten. Einige von ihnen trafen Heilige aus dem Alten Testament (Mose und Elia). Jesus und sie selbst wurden verehrt und verteufelt – überhöht und verjagt – alles in sehr kurzer Zeit.
Dann kam der Supergau: Jesus wurde verhaftet, gefoltert und getötet. Sie meinten, alles wäre vorbei. Sie wären nicht die ersten in der Geschichte, die alles auf die falsche Karte gesetzt haben; und sicherlich auch nicht die letzten. Sie waren so verzweifelt und am Boden wie noch nie und versteckten sich vor den Juden und Römern. Erst vor wenigen Tagen waren sie mit Freude in Jerusalem empfangen worden, nun waren sie die ausgestoßensten Leute der Welt.
Mit dieser Situation hätte man umgehen können. Sie war hart, aber nichts, was Menschen nicht schon vorher durchgemacht haben. Sie hätte zurück in ihre Dörfer gehen können. Eine zeitlang hätte es dumme Sprüche von denen gegeben, die es immer schon gesagt haben, dass dieser Jesus nichts taugt. Dann hätte sich der Sturm gelegt und sie hätten, um eine Erfahrung reicher, ihrem normalen Handwerk nachgehen können.
Nur wurde auch daraus ncihts, denn auf einmal – Überraschung! – war Jesus von den Toten auferstanden und stand in ihrer Mitte. Ich glaube, man kann sich kaum vorstellen, wie sie sich an den Enden der Evangelien gefühlt haben. Wie muss es sein, wenn der übernatürliche Freund auf einmal wirklich von den Toten zurück ist? Vermutlich hatte die ganze Zeit nach der Auferstehung etwas surreales an sich, etwas unwirkliches, traumhaftes.

In dieser Situation hat Jesus seine letzten Worte auf der Erde gesprochen. Kurz bevor, oder teilweise vielleicht sogar während, er zum Himmel aufgefahren ist. Es waren letzte Worte, die garantiert niemand vergessen oder vernachlässigen würde. Wenn Dein auferstandener Freund Dir Minuten vor seiner Himmelfahrt etwas sagt, dann hörst Du zu und tust, was er Dir sagt.

Ihr werdet aber Kraft empfangen, wenn der heilige Geist über euch kommt, und ihr werdet meine Zeugen sein, in Jerusalem, in ganz Judäa, in Samaria und bis an die Enden der Erde. (Apostelgeschichte 1,8 nach der NGÜ)

Das ist offenbar das, was wirklich zählt: Das Evangelium von Jesus Christus. Lukas hat hier einen schönen literarischen Kunstgriff getan: Sein Evangelium endet mit dem Missionsbefehl und seine Apostelgeschichte beginnt mit ihm. Die Apostelgeschichte ist die Geschichte der ersten Gemeinde(n) und der Apostel. In ihr steht, was die Jünger nach der Auferstehung Jesu taten. Interessant, dass am Anfang dieser Geschichte der Heilige Geist und der Missionsbefehl stehen. Das kann kein Zufall sein. Gemeinde besteht um den Auftrag Jesu in der Welt zu erfüllen und sie tut das in der Kraft des Heiligen Geistes. Beides aufzulösen wäre völliger Quatsch, es braucht beides um Gemeinde im Sinne Jesu zu bauen.

Das führt zu der Frage, wie der Auftrag Jesu ausgeführt wurde und wo wir heute stehen. Es ist eine provozierende Frage, aber wir kommen nicht um sie herum: Leben wir Gemeinde in Jesu Sinne oder bauen wir ein eigenes, menschliches Reich? Dabei geht es weniger um Organisation und Form sondern um den Inhalt. Wenn die beiden letzten Dinge, die Jesus seinen Leuten weitergegeben hat, Geist und Auftrag sind, dann ist es nicht unsere Sache das zu ändern.
Leider sieht es in den meisten deutschen Gemeinden anders aus und das macht sowohl traurig als auch nachdenklich. Es ist nicht mehr die Hauptsache der Mittelpunkt unseres Interesses sondern Nebensachen. Landauf landab drehen wir uns um Programme und gute Dinge die uns von dem besten abhalten: Das Reich so zu bauen wie Jesus es gelehrt hat.
Ich schätze, dass es anders aussähe wenn wir unserem auferstandenen Freund wieder begegnen würden und seine Liebe für die Menschen um uns herum wahrnehmen würden. Gemeinde würde dann sicher anders aussehen und einige von dem, was uns so wichtig erscheint würde Bedeutung zugunsten von dem verlieren, was Jesus wichtig ist. Wir brauchen den ständigen Kontakt zum Herrn damit seine Prioritäten unsere bleiben.
Ich sage das nicht um anzuklagen und ich will auch nicht rumheulen. Gottes Reich ist großartig und in jeder Gemeinde ist Schönheit. Ich sage es um mich selbst und uns alle immer wieder daran zu erinnern, dass wir mit einem Auftrag leben und es uns nicht leisten dürfen, diesen zu vernachlässigen. Wir sind geboren um die Dinge Gottes zu tun, wenn Gemeinde weniger tut verkauft sie sich unter Wert.

[Audiopredigt]

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2 Kommentare

  1. Hi Storch,

    Hab gerade gelesen, dass du und Alex wieder mal in Sachsen & Sachsen-Anhalt warst im August. Wo wart ihr in Sachsen-Anhalt?

    René

  2. das war noch dieselbe tour. ich veröffentliche die predigten immer dann, wenn zeit ist und das kann etwas später sein – auch monate später 🙂

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