06. August 2010 17

Gott genießen

Neulich hörte ich in einer Predigt eine interessante Beobachtung: Wenn Gottes Gegenwart einen Raum erfüllt, werden Menschen auf einmal hektisch. Gottes Gegenwart spricht Gaben an, und Propheten wollen prophezeien, der Lehrer will anfangen zu lehren, Heiler suchen Kranke. Ich kenne dieses Phänomen nur zu gut, aber es war das erste Mal, dass ich jemanden darüber reden hörte. Wenn Gott mich berührt, kommen sofort Erkenntnisse, Predigten und manchmal die Outlines für ganze Bücher.
Das ist normal, denn Gott setzt unser Potential frei, und seine Herrlichkeit hat immer etwas an sich, das zum Dienst inspiriert. (Vgl. Jesaja 6: Die Begegnung mit Gottes Herrlichkeit brachte Jesaja auf eine ganz neue Stufe in seinem Leben und setzte seine prophetische Fähigkeit frei.)
Ich habe diese Lektion als junger Prediger gelernt. Komisch, so etwas zu sagen – junger Prediger – ich bin schließlich nicht einmal vierzig. Als ich anfing zu predigen, war die Vorbereitung harte Arbeit. Teilweise musste ich mich die ganze Woche mit dem Predigtthema beschäftigen, und den ganzen Freitag habe ich die Predigt geübt.
An einem bestimmten Freitag hatte ich keine Zeit dazu. Ich hatte mich nicht gut vorbereiten können und stand nun vor der Wahl, die wenige Zeit am Schreibtisch oder im Gebet zu verbringen. Ich dachte an die vielen technisch guten, aber seltsam gottleeren Predigten, die ich gehört hatte. Dann an einige gestammelte, zerrissene rhetorische Katastrophen, die mich in der Vergangenheit ermutigt und aufgebaut hatten. Ich entschied mich für das Beten.
Zu der Zeit betete ich noch viel beim Autofahren, weil ich mich in unserer kleinen Wohnung nicht frei fühlte. Als ich betend durch die Gegend fuhr und Gott suchte, bekam ich beides: Gottes Gegenwart und eine Predigt.
Spätestens seitdem ist der wichtigste Teil der Predigtvorbereitung das Gebet. Wenn es irgendwie möglich ist, bete ich so lange, bis ich eine Predigt empfange. Danach muss ich mich immer noch hinsetzen und Bibel lesen oder einzelne Punkte recherchieren, aber der größte Teil der Predigten wird im Gebet geboren.
Diese „Methode“ setze ich für alles ein. Egal, ob ich ein Seminar vorbereite oder einen Artikel schreibe: Gebet spielt immer eine Rolle. Ich brauche das Gefühl von Gottes Geist in dem, was ich mache, sonst fühlt es sich für mich leer und sinnlos an.

In der Predigt, über die ich oben schrieb, war die Beobachtung allerdings nicht positiv gemeint. Es ist ärgerlich, wenn wir Gott nur suchen, um sein Reich zu bauen. Gerade bei uns „professionellen“ Christen, die ständig auf der Suche nach einem Artikel, einer Predigt oder einem Blogpost sind, kann es schnell passieren, dass wir Gottes Gegenwart nicht um ihrer selbst willen suchen, sondern um etwas von Jesus zu empfangen.
Vor einigen Jahren stand ich an einem solchen Punkt. Ich sehnte mich danach, Gott auf eine andere, frische Weise zu begegnen als bisher. Alles, was ich mit Gott erlebte, hatte immer mit Erkenntnis zu tun. Jedes Mal, wenn ich in der Anbetung stand oder betete, wurde mir etwas in der Bibel klar. Dann drehten sich meine Gedanken nur noch um diese Erkenntnis und ich konnte mich nicht mehr auf die Anbetung konzentrieren. Ich hatte deutlich das Gefühl, dass mich dieses Muster von den tiefen Dingen Gottes fern hielt.
Ich erinnerte mich an meine erste Zeit als Christ. In dieser Zeit war ich oft „breit im Geist“. Ich erlebte Gott sehr ekstatisch. Damals hatte ich nie oder fast nie Erkenntnisse und kannte die Bibel so gut wie gar nicht. Ich war einfach nur verknallt und begeistert.
Ich dachte mir, wenn Gottes Gegenwart das eine hervorbringen kann, dann doch gewiss auch das andere. Wenn ich ihm in Erkenntnissen begegnen kann, dann auch in Gefühlen oder prophetischen Eindrücken oder Heilung.
Ich beschloss, meinem geistlichen Leben gelegentlich eine charismatische Konferenz hinzuzufügen, bei deren Besuch es nur darum geht, Gott zu begegnen – ohne irgendwelche dienstlichen Hintergedanken. Bis heute fällt es mir schwer, über die Ebene der Erkenntnisse hinweg zu kommen zu einem Genießen der Gegenwart Gottes.
Ich weiß nicht, ob jeder nachvollziehen kann, was ich hier schreibe. Die meisten sind damit zufrieden, Gott auf irgendeine Weise zu begegnen oder wären glücklich, überhaupt in seine Gegenwart zu kommen. Es ist auch nicht falsch oder schlecht, in Gottes Gegenwart Zurüstung für den Dienst zu bekommen. Der Punkt ist, dass Gott es wert ist, angebetet zu werden und dass es sich lohnt, Zeit in seiner Gegenwart zu verbringen – ohne Hintergedanken und sonstige Ziele. Ich wünsche mir, seine Gegenwart um seiner selbst willen genießen zu können.
Wir sind oft viel zu beschäftigt sind mit unseren Zielen, Wünschen und Träumen, so dass wir heilige Zeiten in Gottes Gegenwart oft damit verplempern, sein Reich bauen zu wollen oder stille Zeiten nachzuholen, zu denen wir im Alltag nicht gekommen sind. Dieser Artikel spricht bestimmt nicht jeden an. Vielleicht habe ich ihn nur für wenige Mystiker geschrieben. Aber ihnen möchte ich sagen, dass es nichts Besseres gibt als die Herrlichkeit und dass keine Zeit verschwendet ist, die man „nur“ in Gottes Gegenwart verbringt, ohne jemandem zu dienen.

[Dieser Artikel wurde auch im kranken Boten veröffentlicht]

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17 Kommentare

  1. Hey, das kann ich sooo gut nachvollziehen.. ich erlebe das genauso. Man müht sich ab mit seiner theologischen Arbeit (wobei diese nicht vergebens ist – vielleicht bereitet sie ja den Boden), und irgendwann knallt Gott rein und berührt einen und dann ist alles klar, was man sagen will. ABER: irgendwann verlernt man das Genießen Gottes um seiner selbst willen. Was ja eigentlich das erste Ziel ist. Sonst sind wir wieder mehr beim Tun als beim Sein. Primär sind wir aber Kinder Gottes und dann erst Arbeiter in seinem Weinberg… wie man da runter kommt… mir hilft das Sein in der Gegenwart Gottes, die Kontemplation… manchmal hilft mir Gott, indem er mich demütigt und mich auf mich selbst zurück wirft und damit in seine Arme. Da ist dann die nächste Predigt wurscht… wichtiges Thema.

  2. Sonst sind wir wieder mehr beim Tun als beim Sein.

    das ist gerade voll mein Thema. Zumindest persönlich. Ich falle immer wieder in die Rolle des Arbeiters und definiere mich nicht über das, was Gott für mich getan hat sondern darüber, was ich für ihn tue. Echt blöd, ich weiß, aber es ist schwer da ein für alle mal rauszukommen.

  3. binnich also mystiker – danke für die erinnerung!

    schon wieder völlig vergessen gehabt: „denn ein tag in deinen vorhöfen ist besser als sonst tausend.“ – muß noch mal durchrechnen, ob sich das lohnt …

  4. wie viele tage sind dann wohl ein tag im allerheiligsten?

  5. da ich vorgestern erstmalig gelernt habe, dass das gold im inneren des heiligen der heiligen womöglich spiegelt und den raum dadurch vervielfachen könnte, wird uns dies nur good-will-rödig errechnen können … 😉

  6. Danke, Storch – das tat echt mal wieder gut… da kommen mir ja glatt die Tränen.

    Wie oft bin ich mir eher egoistisch vorgekommen, wenn ich einfach nur Gott genießen wollte – die alten, religiösen Stimmen, die einem dann ins Ohr flüstern, wie man denn so selbstsüchtig Gott anhimmeln kann, wenn „da draußen Millionen zur Hölle gehen…“

  7. mir fällt zu diesem thema noch ein satz ein den bill johnson in speyer geasgt hatte, vom sinn sagte er, das seine größte versuchung sei aus prinzipien heraus zu dienen und nicht aus seiner gegenwart.
    das hat mir echt viel gegeben.

  8. Hallo CHRISTen,

    sagt die „Wolke des Nichtwissens“ (Büchlein eines unbekannten christlichen Mystikers) nicht dasselbe, aber noch konkreter und ausführlicher?

    Liebe Grüße
    Peter

  9. Hallo Peter,

    herzlich willkommen hier.

    Es kann sein, dass das so ist aber es ist sehr lange her, dass ich das büchlein gelesen habe. hast du genauere erinnerung daran?

    alles Gute,

    Storch

  10. Ich frage mich auch manchmal, ob es in diesem Thema wirklich mal eine Art „Durchbruch“ im Leben gibt, und wie der Aussehen könnte. Oder ob es einfach Jahrzehnte braucht, um Gott immer mehr den Raum zu geben, den ER einfach verdient. Ich finde das einfach total schade um die Jahre, die ich eben in Unruhe verbracht habe, und verbirngen werde… na ja… Danke für den Gedankenanstoß!

  11. ich meine, dass es beides ist. ich hatte einen echten durchbruch als ich den Heiligen Geist empfangen habe und bin danach weiter reingewachsen. und ich kenne seitdem schwankungen, mal ist es stärker und mal schwächer.

  12. Anbetung braucht keinen „Zweck“ als Rechtfertigung. Gott zu loben besitzt keinen anderen Grund als das, was uns der Heilige Geist offenbart hat: dass es gut und gerecht ist, Gott die Ehre zu geben.

    So brauchen wir keinen geistlichen Dienst im Hinterkopf, um zu Gott zu kommen. Aber – und da lege ich vielleicht einen anderen Schwerpunkt – auch der Genuss von Gottes Liebe muss nicht die Ursache dafür sein, dass wir uns an Gott wenden, auch wenn es für einen Christen unerlässlich ist, „in der Liebe Gottes fest verwurzelt und gegründet“ (s. Epheser 3,17) zu sein und die Gegenwart Gottes das Ziel unseres Daseins ist.

    Um Gott anzubeten reicht allerdings die einfache (und doch gottgewirkte) Erkenntnis, dass es richtig ist, Gott zu ehren und dass er unser Gebet annehmen wird, weil wir durch Jesus Christus gerecht gemacht worden sind.

  13. immer wenn ich zu unruhig und aktionistisch gedacht und gehandelt habe, bin ich krank geworden. Dann lag ich da auf meiner kuscheligen Couch, konnte mich vor Schwäche nicht rühren und hab mich von Gott verwöhnen lassen (müssen): „du bist auch wertvoll, wenn du nichts tust“. Ich mußte das konkret erfahren, es bringt nichts diese Wahrheit nur zu wissen.

  14. Mir ging es nicht um „wissen“, sondern um die Geistesgabe „Erkenntnis“, die häufig unterschätzt wird. Natürlich ist die Liebe Gottes immer noch besser und schöner und größer und mächtiger.

    Aber wenn ich seine Liebe nicht wahrnehmen kann, dann versuche ich, Gott zu erkennen, durch seine Werke (z.B. die Natur) oder durch Jesus. Und wenn ich Gott auch nur ein Stück weit erkenne, bis es meinen Verstand übersteigt und überfordert, dann wird es schwer, sich weiter zu widersetzen. Ich muss ihn dann anbeten.

  15. Um Gott anzubeten reicht allerdings die einfache (und doch gottgewirkte) Erkenntnis, dass es richtig ist, Gott zu ehren

    Ich frage mich auch manchmal, ob es in diesem Thema wirklich mal eine Art “Durchbruch” im Leben gibt, und wie der Aussehen könnte. Oder ob es einfach Jahrzehnte braucht, um Gott immer mehr den Raum zu geben

    Und zuletzt aus dem Artikel: Dann drehten sich meine Gedanken nur noch um diese Erkenntnis und ich konnte mich nicht mehr auf die Anbetung konzentrieren. Ich hatte deutlich das Gefühl, dass mich dieses Muster von den tiefen Dingen Gottes fern hielt.

    Per copy und paste möchte ich anmerken: S.Kierkegaard : „Fast überall … ist Strafe, Vernichtung, Untergang, ewige Qual und Pein; dürftig werde es nur, wenn von der Seligkeit der Glaubenden und Auserwählten die Rede ist.“

    Ja, wo sind die Seligen, die Glaubenden, die Auserwählten.
    Man muss sich doch fragen, wieso Christen immer und immer wieder Durst haben, sich verlaufen, ect. Wenn die Schrift uns von Jesus vermittelt: „…der wird nimmermehr dürsten“, „..ich bin der Weg“, „..ich bin das Omega(Ziel)“.

  16. Es gibt wohl offensichtlich beides: Durchbrüche im Leben und Zeiten, wo es nur mit mühsamen, kleinen Schritten vorwärts geht – wenn überhaupt.
    Egal, in welcher Situation man steckt, man kann wohl immer nur eines tun: Von Gott alles Gute erhoffen und bei ihm Schutz suchen.

    „Nimmermehr dürsten“ aus Johannes 4 kann meines Erachtens nicht bedeuten, dass die Christen nie mehr die Sehnsucht nach der Gegenwart Gottes haben werden.

    Verlaufen kann sich ein Christ auch immer noch, aber Jesus, der gute Hirte, wird ihn wieder auf den rechten Weg zurückbringen.

    Das ist ein wichtiger Punkt des Evangeliums, dass trotz der widrigen Umstände, Stürme in unserem Leben, Gefahren, Angst, Krankheit und Tod am Ende von Christus alles überwinden wird. So wie auch Jesus den Tod überwunden hat, obwohl die Lage aussichtslos schien.

    Der Christ weiß nicht, was ihn in seinem Leben erwarten wird, aber er darf den festen Glauben haben, dass am Ende der Sieg des Guten und der Gerechtigkeit steht.

    Entscheidend ist also nicht die Frage, ob mit der Christenheit (oder mit uns persönlich) momentan alles in Ordnung ist, sondern: Haben wir den Glauben, dass Gott alles zum Besten wenden wird?

  17. „„Entscheidend ist also nicht die Frage, ob mit der Christenheit (oder mit uns persönlich) momentan alles in Ordnung ist, sondern: Haben wir den Glauben, dass Gott alles zum Besten wenden wird?“
    _______________________________________________________
    Wenn das der Inhalt des Glaubens an Gott wäre, würde ich nicht mehr an einen persöhnlichen Gott glauben und hätte auch mit meinen Gefühlen einen besseren Deal abgeschlossen. micha

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