Gott wirkt und indem er wirkt, redet er auch. Sein Wort ergeht. Und es kann wohl de facto, aber nie und nirgends de jure überhört werden.1

Wie schon das letzte Zitat stammt auch dieses aus der zweiten Vorlesung der Einführung in die evangelische Theologie, „Das Wort“. Mir beantwortet die Unterscheidung zwischen de facto (tatsächlich, faktisch) und de jure (dem Rechte nach) eine interessante Frage: Wie kann Gott jemanden richten, der sein Wort nicht gehört hat? Gibt es da eine Grundlage oder hat selbst das Endgericht willkürliche Züge? Paulus schreibt im zweiten Kapitel des Römerbriefes einiges darüber dass auch Menschen etwas von Gott wahrnehmen, die keine Juden oder Christen sind, im Grunde beantwortet das die Frage. Dennoch ist der Hinweis auf den Unterschied zwischen einer faktischen Wahrnehmung und den juristischen Konsequenzen interessant.

Der deutsche Volksmund drückt es einfacher aus als der schweizer Theologe: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Wir schaffen keine Grundlage für Gericht wenn wir predigen, wir machen den Menschen eine Richtung klar, die sie unbewusst gehen. Wir ziehen den Schleier vor den Konsequenzen ihres Handelns weg. Das ist ein enormer Unterschied. Ich dachte früher, dass meine Predigt die Grundlage für Gericht bilden würde. Niemand, der eine evangelistische Predigt gehört hat, kann danach behaupten, nichts gewusst zu haben. Das hat mich (zumindest theoretisch) in einen Gewissenskonflikt gebracht: Ist es nicht besser nicht zu predigen und damit dem Gericht die Grundlage zu entziehen? Mit Karl Barth: Nein, denn wo wir dem Menschen die Möglichkeit nehmen Gottes Wort de facto zu überhören, kann er gerettet werden; verdammt ist er de jure ohnehin. Wir bieten eine Chance.

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  1. Barth, Karl (1985): Einführung in die evangelische Theologie. 3. Aufl. Zürich: Theolog. Verl, S. 27 []

3 Kommentare

  1. Spannende Unterscheidung – danke für diesen komplexen und hilfreichen Gedanken!

  2. sehr gerne. ich bin selber manchmal überrascht, was beim schreiben aus dem stift oder der tastatur fließt. 🙂

  3. sehr interessant!
    Danke!

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