18. Juni 2010 0
Sprüche XXXIX: Sprüche 7,8-20
8 Er ging über die Strasse bei ihrer Ecke
und nahm den Weg zu ihrem Haus,
9 in der Dämmerung, am Abend des Tages,
in der Stunde der Nacht und des Dunkels.
10 Und sieh, da kommt ihm eine Frau entgegen,
gekleidet wie eine Hure und mit listiger Absicht.
11 Unruhig ist sie und zügellos,
zu Hause finden ihre Füsse keine Ruhe.
12 Bald auf der Strasse, bald auf den Plätzen,
und an jeder Ecke lauert sie.
13 Und sie packt ihn und küsst ihn,
mit dreister Miene spricht sie ihn an:
14 Zu Heilsopfern war ich verpflichtet,
heute habe ich meine Gelübde erfüllt.
15 Deshalb bin ich ausgegangen, dir entgegen,
ich wollte dich suchen, und ich habe dich gefunden.
16 Mit Decken habe ich mein Lager bereitet,
mit Tüchern aus ägyptischem Leinen.
17 Mein Bett habe ich besprengt
mit Myrrhe, Aloe und Zimt.
18 Komm, wir wollen uns berauschen an der Liebe bis zum Morgen,
wir wollen schwelgen in Liebeslust.
19 Denn der Mann ist nicht in seinem Haus,
er ist auf Reisen unterwegs, weit weg.
20 Den Geldbeutel hat er mitgenommen,
erst am Tag des Vollmonds kehrt er heim. (Sprüche 7,8-20 nach der Zürcher)
Diese Verse zeichnen ein interessantes Portrait der Verführerin und des Verführten. Die Rollen müssen dabei nicht immer so verteilt sein wie in dem biblischen Beispiel. es wäre auch ohne weiteres denkbar, dass der Mann der Verführer und die Frau die Verführte ist. Es ist seltsam, dass wir uns leicht in die Rollenverteilung dieses Beispiels eindenken können. Der Gedanke, dass Männer beim Ehebruch die eher Passiven sind und die Inititative von der Frau ausgeht, ist natürlich bestenfalls naiv.
Liest man etwas zwischen den Zeilen, muss diese Rollenverteilung auch gar nicht genau so gewesen sein. Was hatte der arme Verführte denn überhaupt mitten in der Nacht am Haus der Fremden zu suchen? Es ist nicht eben ein Zeichen von Charakterstärke oder einem guten Umgang mit Sünde und Versuchung, nachts um ein Haus herumzustrolchen, in dem Ehebruch lauert. Auch wenn ihm die Frau, gekleidet wie eine Hure, entgegengekommen ist, hatte doch er den ersten Schritt – nämlich aus seinem eigenen Haus – gemacht und ist zunächst einmal ihr entgegen gegangen.
Auch die Verführerin ist nicht nur böse. Die Sprüche beschreiben sie als unruhig und zügellos. Sie hatte etwas in sich, dass sie umgetrieben hat. Dieses Gefühl kommt mir sehr bekannt vor und ich schätze, dass jeder diese seltsame Unruhe kennt, die in gefährliche Fahrwasser treibt. Sie mag sogar eine fromme Frau gewesen sein, die ihre Heilsopfer (der Zusammenhang zeigt nicht sicher, ob es sich dabei um jüdische oder heidnische Opfer handelte) brachte und erst nachher sündigte. Sie nutzte schon die Zeit der sturmfreien Bude aus, in der ihr Mann auf Reisen war und war auch vorbereitet auf den Ehebruch; immerhin hatte sie das Bett dafür frisch bezogen. Dennoch war sie eine normale Frau mit einem Glauben, einem Ehemann und einer Unruhe im Herzen. Die Gefahr bei solchen Geschichten ist immer, dass man zu leicht Partei ergreift und eine Partei dämonisiert während man die andere Partei „nur“ für verführt hält. In jeder Situation des Lebens in der es um Sünde und moralisches Versagen geht, kommt immer wieder diese Unterscheidung. Das ist wenig hilfreich, denn es gibt in diesen Situationen nicht ein Opfer und einen Täter. Zur Verführung gehören immer zwei und beide machen sich schuldig.
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