03. Juli 2009 5
Walter Jens – Römerbrief 16 – Kapitel 10.2
Das Hauptthema von Römer 10 ist der Glaube als Aneignung des Heils. Damit ist das Kapitel einer der wichtigsten hermeneutischen Schlüssel der protestantischen Christenheit.
Paulus zeigt eine Alltagserfahrung auf: viele Menschen suchen Christus an den unmöglichsten Orten. Der Weg ist ihnen zu leicht. Es ist seltsam, was manch einer bereit wäre zu geben um Gott zu finden. Jesus stellte im Matthäusevangelium eine interessante Frage:
Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Oder was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? (Matthäus 16,26 nach Luther)
Rein faktisch kann ein Mensch nichts geben um seine Seele auszulösen. Er kann sich die Erlösung nicht erkaufen, sie muss ihm geschenkt werden. Dennoch versuchen Menschen alles in ihrer Macht um sich das Heil zu erkaufen. Die Religionen der Welt sind voller demütigender, harter und anspruchsvoller Heilswege. Ein Mensch gibt alles, was er kann. Dabei übersieht er eine der tiefsten Wahrheiten des Glaubens: Christus ist nicht weit weg, er ist uns ganz nahe. Wir müssen ihn nicht in der Ferne suchen.
Sag nicht in deinem Herzen:
Wer steigt zum Himmel empor,
um Christus herunterzuholen?
Er ist ja, dank Gott, längst unter uns!
Oder: Wer steigt hinunter in die Unterwelt,
den Höllenschlund,
um Christus heraufzuführen
von den Toten?
Er ist doch längst auferweckt worden!
Nah ist Gottes Wort.
Es berührt deine Lippe
und bewegt dir das Herz.1
Christus ist hier und mit ihm die Erlösung, die er bringt. Sie ist in seinem Wort, das wir bekennen. Deswegen ist die Botschaft der zentrale Punkt des Glaubens. Sie ist die Nabe um die sich das Rad dreht, ohne sie ist christlicher Glaube unmöglich, sogar absurd. Das Wort des Christus stellt die Kanzel in den Mittelpunkt des Geschehens, nicht den Altar. Das ist ein weiterer großer Bruch mit jüdischer Tradition. Für manche ist es anders, sie stellen den Glauben in den Mittelpunkt – und öffnen sich damit der Gefahr des Subjektivismus. Es ist keine Frage, dass Menschen glauben können – Glaube ist ein Kennzeichen jeder Religion – die Frage ist, was wir glauben. Dreht sich alles um den Glauben, geht es wieder einmal um menschliche Ansichten, steht aber die Botschaft im Mittelpunkt, sind wir in Gott verankert.
Theologisch muss noch ein Wort zur „Botschaft“ gesagt werden. Die Botschaft ist das Wort Christi (Römer 10,17) oder, mit den Worten von Walter Jens:
Der Glaube, dies ist wahr, folgt der Botschaft.
Die Botschaft folgt dem Wort Christi2
Damit ist die Botschaft verankert in einem geschichtlichen Geschehen. Verschiedene Theologen vor allem des zwanzigsten Jahrhunderts, unter ihnen Rudolf Bultmann, haben versucht, die Botschaft von ihrer Geschichte zu trennen. Es war ihnen egal, ob Jesus gelebt hat oder nicht, denn es kam ihnen nur darauf an, was die Botschaft (oder, in theologischen Jargon: das kerygma) für einen Menschen bedeutet. Diese Theologie entwickelte sich aus einem grundlegenden Misstrauen gegenüber der Bibel und speziell der Wundergeschichten. Wäre es wirklich egal, ob das Neue Testament stimmt oder nicht, wäre die Botschaft willkürlich – sie könnte genauso in Grimms Märchen bestehen wie in Jesus.
Die Botschaft von der Paulus spricht kann nur deswegen der Urgrund christlicher Überzeugung sein weil sie wahr ist. Wir folgen keinen Mythen und Märchen sondern Tatsachen. Die Wahrhaftigkeit des Glaubens nährt sich wiederum aus zwei Quellen: dem geschichtlichen Zeugnis und der Bestätigung Gottes – sie ist also in einem umfassenden Maß wahr. Nur von diesem Kern aus kann christlicher Glaube für sich behaupten verbindlich zu sein.
Glaube der sich nicht auf das Wort des Christus bezieht ist nicht christlich und immer in der Gefahr des Subjektiven. Erkenntnistheoretisch ist das abgefahren: in Christus tritt das Objektive in unsere subjektive Welt.
Wir müssen begreifen, dass die Botschaft das Wort des Christus ist. Es ist nicht nur das Wort vom Christus. In der Botschaft spricht Jesus Christus selbst zu uns. Wer nicht die Stimme Jesu im Evangelium vernimmt, der wird auch nicht glauben. Wir bauen nicht lediglich auf einem Wissen sondern auch auf einer Erfahrung: Christus spricht zu uns persönlich.
Die ganze Sprache des zehnten Kapitels bringt eine Ambivalenz zum Ausdruck: es ist Wissen, aber auch Spüren. Diese Ambivalenz gipfelt in der Bekehrung, der Hinwendung zu Jesus, die Jens virtuos dynamisch überträgt:
Der Mund spricht aus, was uns das Herz befiehlt,
zu unserem Heil, wie es die Schrift verkündigt:
Keiner, der an IHN glaubt,
kommt zuschanden.
Keiner!3
Glaube kommt durch die Botschaft in Kontakt mit dem, was den Kern der Botschaft ausmacht: Christus. Die Botschaft muss von ihm durchdrungen sein und zu ihm führen, sonst erfüllt sie nicht ihren Zweck. Aus unserem Inneren muss diese Erkenntnis sich wieder einen Weg nach außen bahnen. Das volle Herz befiehlt dem Mund Treueschwüre und Anbetung.
Römer 10 ist ein bombastisches Kapitel über ein großartiges Thema. Es ist aber schwer, solche Gedanken in Alltagssprache zu packen. Sie sind einfach nicht alltäglich.
Björne schrieb am
3. Juli 2009 um 08:49Apropo Kennzeichen?!
Wetter=Ennepe-Ruhr-Kreis. Kfz-Kennzeichen: EN
Remscheid=Stadt Remscheid. KfZ Kennzeichen: RS
Richtig?? 😉
storch schrieb am
3. Juli 2009 um 09:09richtig!
Eule schrieb am
3. Juli 2009 um 09:20Storch, Dein Herz ist voll – ein tiefsinniger Text!
Björne schrieb am
3. Juli 2009 um 10:03Das beste kommt noch!!! 😛
Arkadius schrieb am
3. Juli 2009 um 10:22Es tritt immer das Objektive in meine subjektive Welt, wenn ein anderer Macht über mich gewinnt. Eins muß man dem Paulus wirklich lassen, er geht wirklich raffiniert vor, zumal im Römerbrief. Die Römer waren ja sicher nicht blöd.
Aber nach einer 2000-jährigen Geschichte, in der das christliche Bewußtsein, den einzig wahren Glauben offenbart gekriegt zu haben, diesen unglaublichen abendländischen Machtkomplex hervorgebracht hat, sollten wir auf diese Dinge eigentlich nicht mehr reinfallen, sondern stattdessen einsehen, daß das Christentum der Wahrheit nicht näher ist als jede andere Religion. Es ist allenfalls dem Willen zur Macht näher.
Von einer Welt zu träumen, in der alle Buddhisten, Hindus usw. auf einmal Christen werden, weil sie ansonsten unter dem Joch des Fleisches und der Sünde stehen, find ich – natürlich nur in meiner krankhaften Neigung zur Subjektivität – einigermaßen pervers.