4. Die Summe des Wortes ist Wahrheit
Ein weiteres Prinzip der Bibelauslegung ist es, Zusammenhänge zu beachten. Dabei geht es sowohl um engere als auch um weitere Zusammenhänge bis hin zur Gesamtbibel.
In Zusammenhängen zu denken kann man lernen, aber es ist ein oft vergessenes Prinzip. Die Verszählung, die ja auch für das Auffinden eines Bibelverses von größter Bedeutung ist, ist nicht inspiriert, ebenso wenig die Überschriften der einzelnen Bibelkapitel und Sinnabschnitte. Das sind alles Dinge, die von Theologen und Bibelforschern zugefügt wurden, um den Umgang mit der Bibel zu erleichtern. So nützlich solche Hilfen in der Praxis auch sind, verstellen sie uns doch manchmal den Blick auf die Zusammenhänge. Wir denken oft eher in Versen, oder sogar Versfragmenten (Philipper 2,3b!) als in ganzen Kapiteln, Büchern oder sogar der ganzen Bibel.
Wir sollten uns deswegen immer wieder mal vor Augen halten, dass Paulus ja nicht einfach geschrieben hat „durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde“ (Römer 3,20b). Sondern dass er einer Gemeinde in Rom einen Brief geschrieben hat und dieser Vers nur ein ganz kleiner Ausschnitt aus diesem Brief ist. Der Brief wiederum ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der Theologie des Neuen Testamentes und das Neue Testament ein Teil der Bibel.
Ein Vers darf nicht im Widerspruch zum ganzen Buch stehen, in dem er überliefert ist. Wir können mit Sicherheit annehmen, dass Paulus nicht an einer Stelle eines Briefes etwas sagt, dem er an anderer Stelle widerspricht. Da aber die ganze Bibel das Wort Gottes ist, kann auch nicht eine Aussage im Gegensatz zur Gesamtbibel stehen. Psalm 119,160 bringt dieses Prinzip auf einen schönen Punkt:
Die Summe deines Wortes ist Wahrheit.
Die einzelnen Teile der Summe können manchmal widersprüchlich aussehen, aber ich bin davon überzeugt, dass sich solche Widersprüche durch nachdenken und beten ausräumen lassen.
Beispiel: Die Bekehrung des Saulus
Ein Beispiel dafür, wie sich Widersprüche zwischen Bibelstellen auflösen lassen, wenn wir den Zusammenhang beachten, zeigt die Bekehrung des Saulus.
Von dieser Geschichte gibt es drei Versionen in der Apostelgeschichte, nämlich in den Kapiteln 9, 22 und 26. Auf den ersten Blick scheinen sich diese Geschichten zu widersprechen, aber das kann ja eigentlich nicht sein, weil wir Lukas schon zutrauen können, einen Bericht zu schreiben, der wenigstens in sich logisch ist. Wenn man alle Texte unter dieser Prämisse untersucht, wird man feststellen, dass sich die Berichte nicht widersprechen.
[das habe ich schon mal gebloggt, deswegen nur ein Link]
Beispiel: gegenseitige Unterordnung
Ein Beispiel, wie Verszählung und Überschriften manchmal den Sinn verstellen können, entnehme ich der Genfer Studienbibel(1). Epheser 5,21-23:21 ordnet euch einander unter in der Furcht Gottes.
Mann und Frau in Gottes Lebensordnung. Christus und die Gemeinde
22 Ihr Frauen ordnet euch euren eigenen Männern unter gleichwie dem Herrn;
23 denn der Mann ist das Haupt der Frau….Zwischen Vers 21 und 22 ist nicht nur ein Seitenumbruch, sondern auch eine neue Überschrift. Das erweckt den Eindruck, dass hier ein neuer Sinnabschnitt anfängt und Paulus über etwas anderes redet als vorher. Leider wird es oft auch so gepredigt. Predigten über die Unterordnung der Frau unter den Mann kenne ich viele, aber wie selten wird der 21.Vers mit einbezogen und klargestellt, dass es um gegenseitige Unterordnung geht und dieses Prinzip nur noch einmal für Frauen konkretisiert wird?
Im Griechischen steht sogar ein Komma zwischen diesen Versen!
Tipp – die gesamte Bibel in den Blick bekommen
Um gesamtbiblischer zu denken, gibt es verschiedene Werkzeuge und Methoden.
1. Nicht nur den einen Vers lesen, sondern auch den davor und den danach. Es empfiehlt sich, kapitelweise Bibel zu lesen. Bei kurzen Büchern kann man auch das komplette Buch lesen.
2. Fußnoten und Anmerkungen verwenden. Auch wenn man mehrere Verse hintereinander liest, bekommt man bei einem langen Bibelbuch oder gar der ganzen Bibel keinen Überblick.
Die meisten Bibel haben Fußnoten im Text, die auf andere Bibelstellen ähnlichen Inhaltes hinweisen. Es lohnt sich, diesen Fußnoten zu folgen. Oft werden im Neuen Testament Dinge aufgegriffen oder erklärt, die schon im Alten Testament erwähnt worden sind. Fußnoten helfen, diese Stellen aufzufinden.
Manche Bibeln haben überdies ein Kettenverzeichnis, in dem die jeweils nächste Erwähnung eines Themas nachzuschlagen ist.
3. Um Bibelstellen zu einem Thema zu finden, gibt es Konkordanzen. Am besten ist es, mit Onlinebibeln zu arbeiten, denn diese haben Konkordanzen, die im Gegensatz zu den Büchern vollständig sind.
4. Um sich biblische Begriffe und Themen zu erarbeiten, gibt es Begriffslexika, in denen Begriffe wie Gott, Heiligkeit usw. biblisch untersucht werden. Hier steht dann drin, wo der Begriff in der Bibel vorkommt und was er insgesamt bedeutet.
5. Zu vielen Themen gibt es außerdem Bücher, die sich mit ihnen beschäftigen. Zu manchen biblischen Themen ist die Literatur geradezu ausufernd. Z.B. zu Themen wie Gebet, Geistesgaben, Jesus usw. gibt es Unmengen an Büchern.
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Anmerkungen:
(1) Ich will damit nicht sagen, dass diese Bibel besonders schlecht ist. Ähnliche Beispiele lassen sich in jeder Bibelübersetzung finden, aber die Genfer Studienbibel ist mir am geläufigsten, weil ich in ihr momentan am meisten lese.
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