29. Januar 2008 17
I see a darkness
Reinhard Kleist hat eine phantastische Comicbiographie von Johnny Cash geschrieben. Da ich beide(s) mag, Johnny Cash und Comics, möchte ich sie Euch gerne ans Herz legen.
Ich war überrascht, wieviel Rock’n’Roll Country eigentlich ist. warum auch inmer, ich hatte mir Cash und Co immer als handzahme Bauernmusikanten vorgestellt die in einer amerikanischen Version des Musikantenstadels auftreten. Und dann das: Drogen, Groupies, zerlegte Hotelzimmer. Und Gott. Super Sache das.
Mir ist beim Lesen aufgefallen, dass die christliche Szene zwei unterschiedliche Grundtypen von kreativen Leuten hervorbringt: die einen schaffen Kultur und bringen immer wieder mal einen christlichen Akzent darein, die anderen nutzen Kultur um ihre Botschaft rüber zu bringen. Cash gehörte unbedingt zur ersten Kategorie. Ich selber oute mich als Vertreter der zweiten. Egal, was ich je an Predigten, Musik, Radio oder Büchern gemacht habe, es hatte immer den Sinn die message rüberzubringen. Kultur war immer zweitrangig, ein Medium eben.
Bei Leuten wie Cash ist es wohl anders, die Botschaft inspiriert sie sicherlich und blitzt auch immer wider durch, aber im Grunde schaffen sie Lieder, Bilder, Gedichte, was auch immer sie gerade tun. Ich bewundere das, würde aber nicht tauschen.
Kurz danach habe ich dann den Film gesehen. „Walk the line“, kein besonders guter Film, der leider da abbricht, wo Johnny Cashs Leben interessant wird. Ein tränendrüsenstimulierender Liebesfilm, aber im Grunde wenig mehr als ein Liebesfilm. Da Comic und Film vermutlich etwa das gleiche kosten empfehle ich unbedingt den Comic.
Merian schrieb am
29. Januar 2008 um 09:52Hab von meinem Bruder die Autobiographie geschenkt bekommen. Aber immer noch nicht gelesen. Wird Zeit. Der Film war gut gespielt aber das Drehbuch war Mist.
Onkel Toby schrieb am
29. Januar 2008 um 11:37Ich muss sagen, dass ich den Film schon tiefgehender fand und ihn nicht nur auf die Liebesgeschichte reduzieren würde. Gerade vom Schauspielerischen her fand ich die Ambivalenz Cashs gut dargestellt. Klar ist das ein Hollywood-Film, da kann man nicht zuviel erwarten, aber dafür war ich eigentlich ganz zufrieden.
Ich finde interessant, was Du über die beiden Typen „christlicher“ Künstler schreibst, denn ich sehe das ähnlich. Allerdings habe ich fast immer ein Problem mit dem 2. Typus, zu dem Du Dich auch zählst. Hier wird das Medium meist nicht ernst genommen, sondern „miß“braucht, was gerade bei christlichen Künstlern oft zur Eindimensionalität und zum suchen des größten, gemeinsamen Nenners führt.
Das beobachte ich übrigens nicht nur im christlichen Lager, sondern eigentlich überall, wo Kunst vor den Karren einer wie auch immer gearteten Message gepannt wird. Brecht z.B. hat u.a. ebenso Mist verfasst, weil er seine kommunistischen Ideen rüberbringen wollte.
Mir fällt da gerade dieser Text von Tocotronic ein:
Sie wollen uns erzählen
Sie hätten eine Seele
Sie wollen uns glauben machen
Es gäbe was zu lachen
Sie wollen ganz bestimmt
Dass wir glücklich sind
Und unsere Leidenschaft
Ist ihnen rätselhaft
Das drückt auch ein Mißtrauen gegenüber Kunst aus, die vor allem irgendwas vermitteln will: Man will mir was erzählen. Siehst Du das Problem auch, oder bin ich da alleine? 🙂
storch schrieb am
29. Januar 2008 um 12:32ich kann das schon verstehen, OT. ich meine allerdings, dass der text ziemlich viele „kunst“ treffen kann. ich hoffe natürlich selber nicht eindimensional zu sein, sehe aber die eindimensionalität überall.
ich habe mein ganzes leben viel gelesen, habe dann auch eine buchhändlerlehre gemacht und noch mehr gelesen, strekenweise habe ich mehrere bücher in der woche gelesen, teilweise eins am tag. irgendwann habe ich damit aufgehört, zum einen hatte es göttliche gründe, zum andere wurde es langwelig, der buchmarkt (damit meine ich jetzt den säkularen) hat nur noch wenig zu bieten. einer schreibt vom anderen ab, ein roman gleicht dem anderen, die plots sind öde, die figuren platt und alles wird von detailierter grausamkeit zusammengehalten. zumindest bei den krimis, die ja deutschlands liebster lesestoff sind. klar, hier wird keine message transportiert, es geht rein um das medium, um kultur und unterhaltung. vor allem aber um geld. brotschreiber treiben kulturelle entwicklung nicht mehr voran.
bei musik und filmen ist es nicht anders. bilder haben mich nie interessiert. ich gehe ein paarmal im jahr in ausstellungen, aber da kenne ich mich kaum aus.
trotzdem habe ich kein grosses problem mit solcher art von kultur, ich mag sie nur nicht verzapfen. derzeit lese ich mal wieder einen roman, den ersten seit zwei(?) jahren. von boris akunin, einem meiner lieblingsschreiber. tolles buch, spannend, witzig, etwas originell (nicht zu sehr allerdings) – 750 seiten. wie lange braucht man, um so was zu schreiben? das werk ist gut recherchiert – 2 jahre gewiss, eher drei. so viel zeit wäre ich nicht bereit für etwas zu investieren was am ende nicht mal etwas rüberbringt.
das ist es, was mich von der ersten kategorie trennt, nicht die liebe zur kultur, die habe ich auch. aber ich würde nicht jahre investieren um etwas zu schreiben, was am ende niemanden weiterbringt sondern nur unterhält.
mich nervt das auch oft an den kulturschaffenden, wenn ich lese, dass einer meiner lieblingsschreiber, -musiker,-mimen im echten leben einfach nur ein egomane ist. mangelnde integrität verleidet mir einiges.
andichrist schrieb am
29. Januar 2008 um 15:07Ich finde interessant, was Du über die beiden Typen “christlicher” Künstler schreibst, denn ich sehe das ähnlich. Allerdings habe ich fast immer ein Problem mit dem 2. Typus, zu dem Du Dich auch zählst. Hier wird das Medium meist nicht ernst genommen, sondern “miß”braucht, was gerade bei christlichen Künstlern oft zur Eindimensionalität und zum suchen des größten, gemeinsamen Nenners führt.
ich sach mal, dass gebrauch nicht immer missbrauch sein muss. allerdings hat ja auch nicht alles was sich kunst schimpft eine tiefendimensionale bedeutung und erfindet das erkennen neu.
mich hat das mal erschreckt, als ich einen neuen lobpreis song gespielt habe und ein freund sagte : na, wieder zuviel vineyard gehört…
mittlerweile kann ich damit leben, das rad nicht immer neu erfinden zu müssen. aber ich unterstelle mir mal, da ich zu den meisten gehobenen künsten wenig zugang habe und es eine berufung ist in hohen kunstkreisen kulturrelevant zu evangelisieren…
andichrist schrieb am
29. Januar 2008 um 15:11wollte schreiben : ich unterstelle mal, dass es eine berufung ist in hohen kunstkreisen kulturelevant zu evangelisieren
schreiben ist auch ne kunst…;-)
Onkel Toby schrieb am
29. Januar 2008 um 19:34„das ist es, was mich von der ersten kategorie trennt, nicht die liebe zur kultur, die habe ich auch. aber ich würde nicht jahre investieren um etwas zu schreiben, was am ende niemanden weiterbringt sondern nur unterhält.“
Hm, wenn Du Kunst natürlich nur nach der Frage beurteils, ob es Dich „weiterbringt“ (wie auch immer Du das genau füllen magst), dann kann ich Deine Ansicht gut verstehen. Ich für mich sehe den Wert von Kunst noch in vielen anderen Aspekten, muss allerdings sagen, dass ich lieber nur unterhalten als gelangweilt werde. Und das werde ich von 99% der Kunst, die produziert wird, um den Leuten was von Jesus zu erzählen. (Ich würde jetzt mal im Deathmatch Sufjan Stevens gegen… Michael W. Smith? antreten lassen… 🙂
storch schrieb am
29. Januar 2008 um 20:12da hast du recht, aber das ist was anderes. kunsumieren ist anders als prodizieren, ich konsumiere auch überwiegend nicht christliche medien. gerade bei filmen geht das ja gar nicht anders.
Philip schrieb am
29. Januar 2008 um 23:03@OnkelToby
Das Problem ist doch nicht, ob man ne Botschaft hat, oder nicht. Da gibt es auch genügend schreckliche „Kunst“ ohne Botschaft. Ich denke nicht, dass es da ne Korrelation zwischen Qualität und Botschaft gibt.
Als Beispiel nenne ich einfach mal die Psalmen. Das ist Kunst mit Botschaft und Qualität. Oder will mir jemand widersprechen? 😛
das Jan schrieb am
29. Januar 2008 um 23:15Ich unterstelle erstgenannten Künstlern ja immer ein wenig Feigheit – vor allem im Bezug darauf, Angst zu haben, nicht genug Kohle mit klaren Standpunkten machen zu können. Ich finde Kunst ohne Aussage – also pures Entertainment verdient den Titel Kunst nicht, sondern ist in meinen Augen lediglich Kunsthandwerk. Kunst verliert dadurch an Stellenwert in der Gesellschaft und verkommt zu einer weichgespülten Massenbelustigung.
Für mich war Kunst immer ein Vehikel für Botschaften und ich kriege auch immer wieder Kritiken zu hören, dass es doch besser für meine Karriere als Musiker wäre, wenn ich den „Jesus-Kram“ und die „linksextremen Zeigefingersongs“ weglassen würde.
Aber es gibt wichtigeres als Kohle. Nämlich sich morgens noch im Spiegel ansehen können…
Eigentlich ganz gutes Beispiel mit Tocotronic. Alles was nach K.O.O.K. kam, habe ich zwar als Fan der ersten Stunden immer noch gekauft – aber ich habe nie wieder so eine Liebe dazu empfunden, wie damals als ihre Welt noch klar und eindeutig war. Obwohl sie es ja auch heutzutage hin und wieder nicht so ganz lassen können: „Sag alles ab!“ 😉
Bis denne!
das Jan
das Jan schrieb am
29. Januar 2008 um 23:16Ach: die zweitgenannten natürlich!
storch schrieb am
29. Januar 2008 um 23:44wieso? die zweitgenannten trauen sich doch, eine message zu transportieren, darum geht es ihnen doch. *verwirrt*
das Jan schrieb am
30. Januar 2008 um 00:46Ach Scheiße— die Korrektur der Korrektur… natürlich wars am Anfang doch richtig 😉
Martin Dreyer schrieb am
30. Januar 2008 um 10:45Ja, den Film hab ich auch. Der ist so unschlüssig gedreht, so lückenhaft. Jetzt muss man wohl noch mal 5 Jahre warten, bis sich jemand besseres an die Verfilmung traut.
Ich hab ein Radiobeitrag mal im Auto gehört, wo sein Leben sehr gut dargestellt wurde, mit allen Kämpfen und Siegen, von seinem Fall und Wiederaufstieg.
Walk the Line.
storch schrieb am
30. Januar 2008 um 11:54bevor der film nur schlecht wegkommt möchte ich positiv bemerken, dass er gut gespielt war.
benderhead schrieb am
30. Januar 2008 um 23:32also ich fand den film schon klasse… zumal cash und seine frau am drehbuch noch mitgemischt haben und cash sich auch für den hauptdarsteller persönlich ausgesprochen hat
naja.. und fand da auch viel von seiner geschichte drin… für den normalen cashfan ist es ja schon interessant wie er seine ersten sachen aufgenommen hat und mit elvis und co abhing…
denke auch, dass viel in der country szene echt so wischiwaschi volksmusik mässig ist wie du dachtest… aber gibt halt auch ausnahmen… bzw. ist die volksmusikszene in deutschland z.b. ja auch nur fake… man denke an rex gildos selbstmord und solche sachen…
bzgl. cash… in den 80ern und 90ern hat sich von der countryszene ja auch keiner mehr für ihn interessiert und als er dann mit seinen neuen aufnahmen anfang der 90er plötzlich abging haben ihm alle den arsch geküsst und aus der zeit stammt diese anzeige die damals geschaltet wurde
http://thomashawk.com/hello/209/1017/1024/Johnny%20Cash%20Finger.jpg
jedenfalls.. ein weiterer sehr empfehlenswerter countrykünstler mit sehr auf-und-ab mässigem leben ist hank williams der auf der einen seite ein komplettes album mit selbstgeschriebenen christlichen sachen wie „i saw the light“ „how can you refuse him now“ und „the angel of death“ geschrieben hat und auf der anderen seite aber auch den rockrnoll voll gelebt hat und dementsprechend auch mit 30 gegangen ist
http://en.wikipedia.org/wiki/Hank_Williams
storch schrieb am
31. Januar 2008 um 10:05komisch, von williams hatte ich noch nie gehört, zumindest nicht bewusst. gefätt mir auch nicht wirklich.
markus schrieb am
31. Januar 2008 um 15:35habe mir den comic vor 1-2 jahren zu weihnachten selber geschenkt. ich mag ihn auch viel mehr als dem film. geht mir ebenso. hank williams braucht zeit. ist halt echt schon ewig alt. aber wenn es einmal klick macht … vielleicht ist sein synonym „luke the drifter“ eher was für dich. das sind praktisch predigten im country-sprechgesang, er rezitiert diese songs nur, ohne tatsächlich viel zu singen.