22. November 2006 9
am Ende der Exegese
Es gibt Stellen im NT, die sind einfach unklar. Vermutlich gibt es mindestens ebensoviele im AT, aber ich bin mehr im NT drin, deswegen fallen sie mir hier mehr auf. Über diese Stellen kann man in verschiedenen Sekundärwerken die unterschiedlichsten Sachen lesen und sie erscheinen in der Sichtweise in der sie präsentiert werden jeweils total logisch. Kommt man dann einmal dahin eine alternative Sichtweise zu lesen, so erscheinen die Auslegungen unter diesem Blickwinkel wiederum logisch, auch wenn sie mitunter konträr zur ersten Ansicht sind. So kann die Verwirrung gross werden.
Auch wenn das leidvoll ist, ist es durchaus biblisch, hehehe; zumindest ist das Phänomen in den Sprüchen beschrieben:
Im Recht scheint, wer in seiner Streitsache als erster auftritt, bis sein Nächster kommt und ihn ausforscht. (Sprüche 18,17 nach der Elbi. Noch schöner in der „living bible“: Any story sounds true until someone tells the other side and sets the record straight.)
Vor einiger Zeit haben wir hier den Stachel im paulinischen Fleisch diskutiert . Ich bin noch mal meine alten Unterlagen zu dem Thema durchgegangen und mir ist aufgefallen, dass man sowohl die Theorie, dass der Stachel Verfolgung ist, als auch, dass er eine Krankheit ist, exegetisch phantastisch belegen kann. Man kann schlichtweg nicht mit 100%iger Sicherheit sagen, worum es sich gehandelt hat, wenn man zur Urteilsfindung nur die Exegese heranzieht.
Es gibt mindestens zwei Theorien, die sich mit exegetischen Mitteln ähnlich gut vertreten lassen, um ein Urteil zu fällen und uns eine Meinung zu bilden müssen wir also auf nicht-exegetische Entscheidungskriterien zurückgreifen. Ob es uns gefällt oder nicht, die Endentscheidung fällten wir in den vielen nicht-entscheidbaren Streitfragen ausgerechnet auf Grund von – Theologie. Ich entscheide immer von dem her, wie ich Gott kenne, nur so kann sich ein Gesamtbild ergeben. Dieses Gottes- und Gesamtbild stellt aber wiederum Theologie dar. Aus der Nummer kommen wir nicht heraus, wir können aber dem Gesamtbild einen zusätzlichen Aspekt hinzuaddieren wenn wir einen pneumatischen Ansatz haben. Theologie sollte immer inspiriert sein um inspirierend sein zu können. Deshalb sollte eine endgültige Entscheidung in kritischen Themen aus einem Lebensstil des Gebets (nicht nur einmal beten!) geboren sein.
Vielleicht meinte Jesus ja das als er sagte: Ihr irrt, weil ihr die Schriften nicht kennt, noch die Kraft Gottes! (Matthäus 22,29). Wieder einmal ist beides wichtig. Geist und Wort müssen zusammen kommen!
Arnachie schrieb am
22. November 2006 um 11:33Ja stimmt; allerdings sollte man, wenn man für sich durch die Führung des HG auf die richtige Spur gekommen zu sein MEINT, nicht sagen „das war der HG“. Also natürlich klingt es demütiger, aber es würde die Erkenntnisse der Diskussion entziehen; wer will schon HG-Erkenntnisse diskutieren?
Micha/JF Chemnitz schrieb am
22. November 2006 um 13:02Hmm. Ich für meinen Teil halte es so:
Bei Bibelstellen die nicht ganz klar zu deuten sind, verweigere ich mich dem Bau von theologischen Gebäuden auf solchem Fundament.
hierzu ein Zitat, welches Mark Twain zugeschrieben wird:
„It ain’t the parts of the Bible that I can’t understand that bother me, it is the parts that I do understand.“
„Was mich an der Bibel stört, sind nicht die Teile, die ich nicht verstehe, sondern diejenigen, die ich kapiere.“
storch schrieb am
22. November 2006 um 17:37sicher, dennoch handelt man auch dann, wenn stellen unklar sind. eventuell ist das pfahl-im-fleisch-beispiel nicht griffig genug. dann nimm die frage nach dem leitungs-/predigtamt der frau. exegetisch ist die frage nicht klärbar, dennoch hat jede gemeinde eine orthopraxis an dem punkt. und die kommt aus einer über-exegetischen überzeugung.
Micha/JF Chemnitz schrieb am
22. November 2006 um 17:57bei solchen unklaren stellen hab ich die Tendenz, mehr auf „außerbiblische Argumente“ zurückzugreifen.
Metalmarkus schrieb am
23. November 2006 um 00:55So würde ich das auch machen, nur hätte ichs nicht so formulieren können, danke.
Übrigens sehr diplomatisch, von wegen „Geist und Wort“ müssen zusammenkommen 😉
storch schrieb am
23. November 2006 um 01:50du hast es gemerkt, mm. hehehe.
ich verstehe nicht ganz, was du meinst, micha. wie entscheidest du dann? oder, was beeinflusst deine entscheidung denn dann?
Micha/JF Chemnitz schrieb am
23. November 2006 um 12:18nun, manchmal verweigere ich eine klare Stellungnahme, z.B. beim Thema Homosexualität.
Manchmal nehme ich beliebte Argumente des „Gegners“ bzw. Diskussionspartners. Z.B. Frauen ud predigen/leiten. Fraen das Predigen zu verbieten ist exegetisch kaum haltbar. Und was wäre dann mit Frauen als Lehrerinnen (z.B. in der Kinderbetreuung eines Gottesdienstes oder überhaupt) ?
Zudem, Römer 13, „ordnet euch dem Staat unter“ – wir haben seit 18.8.2006 das AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – besser bekannt als „Antidiskriminierungsgesetz). Gut hier könnte man wieder einwenden „man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (clausula petri) – aber m.E. geht es aus der Bibel nicht hervor, dass Frauen als Leiter Gott ein absolutes Greuel wären.
Weitere Argumente, auf die ich dann gerne zurückgreife: „wie funktionierts denn in der Praxis?“
und (ganz wichtig): „Wie ist das Thema vor dem Hintergrund ‚Liebe‘ zu betrachten? (Gott ist Liebe, wir sollen einander lieben, wir sollen unsre Nächsten lieben, unsre Feinde…)“
bzw. „what would Jesus do?“
Metalmarkus schrieb am
24. November 2006 um 15:37Is das nich sone geschichte wie mit den „Langen Haaren“? Das Paulus seine Empfehlung von wegen „male Korinthians keep being skinheads“ abgegeben hat, weil die Perversen in Korinth als Erkennungszeichen Lange Haare hatten?
Um sowas rauszukriegen, also das diese Bibelstelle für die Zeit damals gemeitn hat, muss man interessanterweise die wissenschaft zurandeziehen. Bzw. ums mal charismatischer Auszudrücken, um uns sein wort zu erklären benützt Gott auch Geschichtsbücher 😉
aber da wirds dann schon richtig schwer, von wegen „zeitgemäße interpretation“. daran knabbere ich seit ein paar wochen, ne richitge Jesusmäßige Mitte, zwischen Lebensfernem Fundamentalismus und lauen „modernisierten Christsein“.
Naja seine Schafe hören ja seine Stimme 😉
wir kriegen das mit der Mitte schon hin, wenn wir zuhören.
Micha/JF Chemnitz schrieb am
24. November 2006 um 17:09das Argument mit den Perversen in Korinth (oder manchmal auch Prostituierte im Orient) und geschorene Haare – dieses Argument hab ich schon ab und zu mal gehört. Allerdings dazu noch nie eine einzige Quelle gefunden die das belegt.
Jene ene Stelle kann man auch völlig gleichberechtiugt übersetzen mit „ie Natur lehrt euch doch auch nicht, dass langes Haar für den Mann eine Schande ist, eine Ehre aber für die Frau“.
(Was lehrt uns denn die Natur in sachen Haarlänge? Männer können ebenso wie Frauen eine stattliche Haarlänge erreichen wenngleich bei Männern die Haare nicht ganz so lang werden – aber trotzdem noch lang genug! )