10. August 2006 14
"was ist Wahrheit?"
Die Überschrift ist ein berühmter Satz von Pontius Pilatus, der es wert ist, in die Zitatbücher der Welt einzugehen.Er sagt ihn in Johannes 18,38 anlässlich des Prozesses gegen Jesus. Für die meisten Menschen ist diese Frage bis heute nicht beantwortet. Sie sind auf der Suche nach Wahrheit, nach etwas, das einfach stimmt. Für mich wird Wahrheit immer mehr zu einem Symbol, einem das wichtige Grundzüge meiner Theologie in einem Wort zuammenfasst: das Objektive und seine Spiegelung im Subjektiven.
Wie Wasser das Gesicht widerspiegelt, / so das Menschenherz den Menschen heisst es in Sprüche 27,19 nach der Herderübersetzung. Ebenso spiegelt sich Gottes objektive Wahrheit im Menschen wider. Ebenso wie das Wasser nur ein kräuseliges, farbunverbindliches Bild des Gesichtes liefert und wie der Mensch einen anderen Menschen nur eingefärbt zeigen kann, spiegeln wir die Objektivität durch die Brille unserer Wahrnehmung.
„Wahrheit“ ist ein juristischer Begriff. Auf diesen Aspekt hat Sprotte mich gebracht. In diesem Sinne ist Wahrheit das Gegenteil von Lüge oder etwas falschem. Es gibt etwas, das objektiv wahr ist. Etwas an dem nicht gerüttelt werden kann, was einfach stimmt. Das Problem liegt darin, dass Wahrheit eben keine Sache ist, sie ist eine Person. Jesus sagt in einem berühmten Vers (Johannes 14,6), dass er die Wahrheit ist. Das ist eine Tatsache, die es schwer macht, Wahrheit zu pachten und unmöglich, sie auf ihre intellesktuellen Aspekte zu reduzieren. Es ist auch der Grund für alle Subjektivität und dafür, dass es so schwer ist, Wahrheit zu verstehen.
Pilatus stand vor der personifizierten Wahrheit und hat es nicht gesehen. Statt die Wahrheit zu erkennen fängt er einen völlig unangebrachten philosphischen small-talk mit ihr an. Wahrheit als Person kann nur in Beziehung erkannt werden. In einer Beziehung die wie jede Beziehung so viel von uns enthält, dass wir die absoluten Anteile der Wahrheit immer mit uns selbst vermischen.
Deshalb tritt das Objektive immer subjektiv in unserer Welt auf. Geistliches Wachstum ist der Prozess in dem die Wahrnehmung durch Erneuerung des Denkens gereinigt wird. Dieser Prozess ist erst abgeschlossen wenn wir im Himmel erkennen wie wir jetzt schon erkannt sind.
Tags: Theologie, Metatheologie, Erkenntnis
Bernhard schrieb am
10. August 2006 um 10:05…ich seh schon, du sitzt grinsend da und reibst dir die Hände… Und ich? Ich schmunzel vor mich hin und frag mich: geht das denn schon wieder los… ? 🙂
Ich bin mit deiner Verbindung von Wahrheit und Rezeption derselben (bleiben wir nicht immer am Begriffspaar Subjektivität und Objektivität kleben, scheint in meinen Augen eh schon fast dualistische Züge anzunehmen…) nicht einverstanden. Wahrheit tritt in unserer Welt nur als unsere Wahrheit auf… (so muss ich übersetzen, wenn du schreibst, dass das Objektive immer subjektiv in unserer Welt auftritt).
Nein! Nein und nochmal Nein. Das hieße nämlich, dass die Wertigkeit der Wahrheit im Grade und im Wesen davon abhängt, ob ich ihr zustimmt oder nicht. Und das kann nicht sein. Genau aus diesem Grund schildert Johannes doch diese Episode vor dem Richterstuhl des Pilatus. Gerade weil er doch blind ist, weil er im „Ecce Homo“ nicht die Wahrheit erkannte, weil sich die Wahrheit unerbittliche als Wahrheit offenbaren wird – ungeachtet unserer emotionalen, intelektuellen, nationalen, psychologischen, ethnischen und religiösen Konstitution. Die Wahrheit bleibt Wahrheit doch gerade trotz der eigenen Beschränktheit. Sie wird nicht Wahrheit wegen ihr! Ich stimme dir zu: Wir können sie nur im Hier und Heute so verstehen, wie wir nun mal sind. Doch achte mit mir bitte darauf, dass wir integer bleiben, was die Unterscheidung von Erkenntnis und Offenbarung angeht. Erkenntnis erlangt ein Heide auch. Und viele davon nicht zu knapp. Offenbarung geschieht aber nur durch das Wort Gottes – und unter ihr gibt es keine Wechselseitigkeit von Wahrheit und Rezeption derselben. In der Erkenntnis ist das Erkannte von der Anerkennung des Erkennenden abhängig. In der Offenbarung bleibt die Wahrheit der vollkommene Souverän – völlig frei, völlig ledig und völlig los von dem, wie wir Wahrheit rezipieren. Und nochmal – auch in der Gefahr, mich zu wiederholen: Wir haben (im Sinne von verstehen oder erlangen) die Wahrheit nicht! Wir legen von dem Zeugnis ab, wir weisen auf den hin, der von sich sagt, er sei die Wahrheit, er sei der Weg und er sei das Leben! Und dieses Hinweisen ist allem evolutionären Denken enthoben. Die Wahrheit bleibt die, die sie gestern, heut und morgen ist! Mit und ohne uns. Jung oder alt. Jesus bleibt!
storch schrieb am
10. August 2006 um 13:32hm, ich hatte nicht daran gedacht, dass ich damit schon wieder einen fehdehandschuh in den ring werfe. sei´s drum. nun liegt er da und du hast ihn aufgenommen…
die wahrheit bleibt natürlich wahrheit unabhängig davon ob sie jemand aufnimmt. aber so lange sie nihct aufgenommen wurde bleibt sie komplett transzendent und nutzt keinem. erst wenn sie aufgenommen wird ist sie in dieser welt sichtbar, oder anwesend, immanent usw. dann aber eben nicht mehr als DIE wahrheit sondern als das, was ich von ihr wahrnehme – subjektiv. das schmälert aber nicht die wahrheit sondern zeigt nur unseree grenzen auf sie zu erkennen.
pilatus zeigt, dass es darauf ankommt in welcher beziehung wir zur vollkommenen wahrheit stehen.
terminologisch unterscheide ich anders zwischen erkenntnis und offenbarung als du: offenbarung ist gottes seite: er offenbart sich – in bibel, schöpfung, etc. erkenntnis ist unsere seite: wir erkennen das offenbarte.
irgendwann, nach unserem physischen tod, werden wir die erkenntnisgrenzen los sein, dann beugt sich jedes knie vor jesus und wir erkennen so, wie wir erkannt sind. dann kommen erkenntnis und offenbarung zusammen und es gibt keine erkenntnisgrenzen mehr. ob die erkenntnis dann nicht mehr subjektiv ist weiss ich nicht – hängt davon ab, ob wir dann noch subjekte sind, aber das ist zu metaphysisch und schwierig.
jedenfalls scheint erkenntnis auch nicht komplett willkürlich zu sein sondern es gibt wahrheitslinien, die zumindest dem worte nach klar sind. wie aber jemand etwa „beziehung zu jesus“ füllt ist dann wiederum unterschiedlich.
in einem punkt sind wir einig: es gibt eine wahrheit.
eine verständnisfrage meinerseits: glaubst du, dass die kirche die wahrheit so erkannt (oder verstanden) hat, wie sie (wahrheit) ist? das klingt nämlich so.
storch schrieb am
10. August 2006 um 13:34ich bin gleich bei rudi in frankfurt. wenn du gegen 18:00 zeit und lust zu einem treffen hast ruf mich an! bin wieder beim wienerwald.
Bernhard schrieb am
10. August 2006 um 13:41ich ruf an! bis denn!
Tino schrieb am
10. August 2006 um 14:02Storch identifiziert doch gerade die Person Jesus als Wahrheit. Ganz unabhängig vom Betrachter (wenn ich das so richtig verstanden hab).
Das Wichtige ist nur, dass uns hier Wahrheit in einer ganz anderen Form begegnet als wir es gewohnt sind. Nicht als Satz, als Faktum, sondern eben als Person.
Und da wir in einer dynamischen Welt leben, die von Werden und Vergehen, von Zeitlichkeit geprägt ist, ist das der Weg, wie Gott uns seine Wahrheit in höchstem Maße deutlich machen kann. Nicht durch Sätze, Fakten, sondern durch Person. Jesus ist Gott, also vom innersten Kern her die Wahrheit. Und als diese Wahrheit begegnet er den Menschen quasi auf Augenhöhe (er erniedrigte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an).
Wir Menschen werden durch Worte, Taten und Emotionen, durch Beziehung angesprochen.
Durch die Bibel spricht Gott mit uns in Worten. Und schon das kann überwältigend sein.
Aber es ist allein schon ein Unterschied, ob wir lesen, dass Gott uns liebt, oder ob es uns jemand face-to-face sagt. Da kommt der Beziehungsaspekt dazu. Und wenn uns jemand dann noch durch Taten beweist, wie wichtig wir ihm sind, wird das noch überzeugender und deutlicher.
Wenn uns also Gott als Mensch begegnet, lässt er sich vollkommen auf uns ein, um uns die Wahrheit zu bringen.
Dass Jesus die Wahrheit ist, ist ja nicht direkt sichtbar. Man kann in seinem Innersten keinen Aufdruck „Wahrheit“ entdecken. Er zeigt sich als die Wahrheit, wenn er handelt, wenn er redet, wenn er in Beziehung tritt. Und dann ist sein Handeln Wahrheit, sein Reden, und seine Beziehung ist Wahrheit.
Natürlich wäre es einerseits einfacher fassbar für uns, wenn Wahrheit aus ein paar Lehrsätzen oder intellektuellen Gedanken bestehen würde. Aber andererseits könnte uns diese Wahrheit nie ganzheitlich bewegen.
Also ist Jesus Gott, ist er die Wahrheit und begegnet uns. Und in dieser Begegnung können wir wachsen. Aber weil diese Wahrheit so ungreifbar für uns bleibt, passiert es, dass wir unsere eigene Persönlichkeit mit einmischen. Deswegen müssen wir uns immer neu auf diese Wahrheit einlassen. Mit unserer ganzen Person. Die Wahrheit begegnet uns „subjektiv“ und erfasst jeden unterschiedlich. Aber dennoch ist sie „objektiv“, unabhängig davon, wie wir uns ihr gegenüber verhalten.
Jesus war auch da noch die Wahrheit, als alle sich von ihm abgewandt haben und er am Kreuz gestorben ist.
storch schrieb am
10. August 2006 um 16:01hab es nicht geschafft, bernhard: erst eine stunde stau vor westhofen dann war im kreuz die a 45 gesperrt… wie sagte rudi so schön am telefon? wir sind zwei königskinder und können nicht zusammen kommen.
schade, hätte gerne bei einem hendl mit dir gestritten. nächstes mal.
wieso kommst du eigentlich nie ins ruhrgebiet? noch hat deine kirche hier doch dependencen. 🙂
tobuk schrieb am
10. August 2006 um 19:10hallo storch,
schau mal hier was du ueber die wahrheit als person geschrieben hast:
http://www.jfrs.de/storch/blog/wordpress/2006/06/13/liebe-treibt-zum-handeln/#comments
da steht in etwa das:
das ist ein falscher schluss, tobuk. johannes 14,6. 1.jo 4,16 usw. machen aussagen über gott. die umkehrschlüsse sind aber deswegen nicht richtig: wenn jesus der weg ist, ist der weg deswegen nicht jesus. deshalb sind alle diese metaphern die die bibel an den jeweiligen stellen verwendet keine personen.
gruz, ich bin gespannt…. 🙂
ps: seit 5wochen reise ich nun in marokko mit meiner freundin, seit 5 wochen zerbreche ich mir den kopf, was ist wahrheit??
storch schrieb am
10. August 2006 um 19:27ich wollte gerade schreiben, dass ich das so sehe wie tino. dann kam der comment von tobuk. mist, da fängt einer einen storch mit seinen eigenen worten… 🙂
es ist wirklich schwierig weil ich in dem kommentar etwas anderes meinte als in dieser diskussion. deshalb sagen zwar die worte das gegenteil, aber in der sache sind die aussagen konsistent. in der anderen diskussion ging es darum, dass die dinge ein seltsames eigenleben entwickeln, hier geht es darum wie etwas absolutes sich offenbart. von der offenbarung der wahrheit würde ich sagen, dass sie gott ist und sich deshalb in der person und der beziehung offenbart.
allerdings würde ich der aussage: „wahrheit = gott“ nach wie vor stark widersprechen. es gibt ja theologien des typs „gott = liebe“ deswegen gebe ich gott weiter, wenn ich liebe. das denke ich nicht, man könnte aber genauso auch für die wahrheit sprechen – mit joh 14,6. insofern glaube ich beides, im sinne dieses posts sehe ich aber wahrheit nicht als metapher sondern tatsächlich als person. allerdings wieder nihct losgelöst von -sondern als gott.
storch schrieb am
10. August 2006 um 19:28es ist halt schwer das so genau zu trennen. ich mag halt nur nicht, wenn gott begrifflich begrenzt wird: er ist wahrheit, er ist liebe, er ist…
das Jan schrieb am
11. August 2006 um 02:38hm… Bernhard quasselt scheinbar auch gern und viel und interessanter Weise sagt er dann unterm Strich doch nichts anderes als El Storch … mh… Vielleicht findet dieses Problem mehr auf der Beziehungsebene statt 😉 [mal abgesehen von den Offenbarungs / Erkenntnis Defintionen. Dazu bleibt wohl nur zu sagen, daß Sprache für uns hauptsächlich zur Differenzierung gedacht ist und daß ich an diesem Punkt, so gerne ich ihm auch mal wiedersprechen würde [einfach aus dem Grund, daß Menschen mit großer Erkenntnis es hin und wieder einfach verdient haben, daß man einen Fehler in ihren Gedanken findet – Stichwort „Demut“], Storchs Variante für die differenziertere von Beiden halte.
Bernhard schrieb am
11. August 2006 um 09:21…wie wärmend, dass Jan sich doch um Storchs und meine Beziehung sorgt. Das ist mal ein strammer Christen Bruder! Danke…
Keine Bange, lieber Jan. Auch deiner Wertung bezüglich variierender Differneziertheit in unseren (wohlgemerkt: Storchs und meiner!) Diskursen sei anerkennend das Haupt zugeneigt. Schon schön, wenn man mal gesagt kriegt – aus berufenem Mund versteht sich – dass man entweder dem Hochmut verfällt oder schlicht nur heiße Luft labert. Danke!
Aber wozu gibts schließlich die Telephonseelsorge… nä!
storch schrieb am
11. August 2006 um 10:55du kannst ja richtig sarkastisch sein, bernhard!
aber mal inhaltlich: „interessanter Weise sagt er dann unterm Strich doch nichts anderes als El Storch“ – das kommt mir anders vor. oder? kannst du das mal erläutern, jan?
Bernhard schrieb am
11. August 2006 um 11:08kann ich, is aber mit nem Zwinkern geschrieben – weißt eh.
Mir kommt das auch anders vor, aber vielleicht führt uns der Jan ja auf den rechten Pfad. Schließe mich deiner Frage an, lieber Storch.
powtac schrieb am
13. August 2006 um 22:49Jesus sagt: Ich BIN die Wahrheit.
Zum Glück hat er das gesagt. Das vereinfacht vieles. Habe den Artikel nämlich gar nicht gelesen, er war mir gerade zu lang…