Vor gut fünfzehn Jahren habe ich einen Interessenwandel durchgemacht. Seinerzeit interessierte ich mich sehr für Naturwissenschaften. Ich habe alles gelesen, was mit Physik (speziell Astronomie) zu tun hatte und habe im Gartenhaus chemische Experimente durchgeführt. Irgendwann stellte ich fest, dass Naturwissenschaften ein aussichtsloses Feld für mich sein würden: meine mathematischen Fähigkeiten sind nicht gross genug; in der Chemie reichte es gerade mal für Stöchiomentrie, die Massen-Wirkungs-Gesetz habe ich bis heute nicht richtig kapiert.
So kam ein Schwenk in die Geisteswissenschaften, denen ich bis heute treu geblieben bin. Meine wissenschaftliche Interessen beschränken sich auf eine handvoll populärwissenschaftliche Bücher und einige wenige Ausgaben von Spektrum der Wissenschaft oder Bild der Wissenschaft pro Jahr. Heute abend ist mir ums verrecken die Summenformel für Zucker nicht mehr eingefallen. Gottseidank habe ich die von Alkohol noch ableiten können, sonst hätte ich mich gegen meine Gewohnheit wohl betrinken müssen…

Heute ist mir ein wesentlicher Unterschied zwischen Theologie als meiner bevorzugten Geisteswissenschaft und den Naturwissenschaften aufgefallen. Ein Unterschied, den ich echt nervig finde. Während die harten Wissenschaften über die Jahrhunderte eine wohldokumentierte Entwicklung nach oben nimmt, erfindet sich die Theologie ständig neu. Das schmerzt mich weil es bedeutet, dass eigentlich jeder immer wieder bei Null anfängt.
Natürlich kann man eingeschränkt voneinander lernen, aber es ist historisches Wissen, was man da lernt. Man kann aus einem Studium der Kirchengeschichte Wissen über Fehler ziehen, die andere gemacht haben. Man kann Fakten sammeln, die die Exegese erleichtern, aber letztendlich stehen immer wieder PredigerInnen und Theologen allein vor Gott, versuchen ihn kennenzulernen und ihr Wissen weiterzugeben.
Ich glaube, dass es heute nicht leichter ist als vor fünfhundert Jahren eine gute Partnerschaft mit dem Heiligen Geist zu haben und dass jahrhunderte der Erfahrung uns nicht denselben Wissenvorsprung geben wie wir ihn aus den anderen Wissenschaften kennen.

Nun will ich nicht rumheulen, obwohl es wahrlich ein Grund zum heulen wäre. Was ich will ist eine Frage formulieren: kann man geistlichen Fortschritt und den Weg dahin auf eine Weise dokumentieren dass er für andere nachvollziehbar ist und das Wissen weiterentwickelt werden kann? Gibt es Beziehungswissen über Gott, das wie eine wissenschaftliche Erkenntnis behandelt werden kann?
Wer diese Frage lösen kann hätte wahrlich verdient, dass ein Nobelpreis für Theologie für ihn gestiftet wird. Aber einstweilen muss meine tiefe Anerkennung als Preis reichen…

Tags: ,

Be Sociable, Share!

7 Kommentare

  1. „Gibt es Beziehungswissen über Gott, das wie eine wissenschaftliche Erkenntnis behandelt werden kann?“

    Nein, ich glaube das gibt es nicht und finde das eigentlich nur normal, denn wenn es so wäre, wäre Gott nicht Gott sondern beherrschbar und müsste Automatismen folgen, es gäbe bei ihm Ursache-Wirkungsketten und das wäre schon seltsam. Natürlich gibt es Aussagen über Gott, die weitergegeben werden können und die gültig sind, nur wäre es keine lebendige Beziehung, wenn wir sagen könnten, mache A und du erhälst B. Letzten Endes ist es nicht anders als bei zwischenmenschlichen Beziehungen auch: Auch wenn wir inzwischen viel über die erogenen Zonen bei Mann und Frau, über Signale, die erfolgreiche Fortpflanzung versprechen und über das beste Flirtverhalten wissen, ergeben sich daraus keine bzw. keine verwendbaren simplen Anleitungen für den Umgang mit dem anderen (oder auch dem gleichen) Geschlecht.

  2. Kann Dich gut nachvollziehen, Storch. Durch diesen „Mangel“, ist es ganz klar, warum viele Menschen so wahllos über Gott [zumindest als Begrifflichkeit] verfügen können. Und eigentlich sollte man meinen, daß es [zumindest in „Wahrheit“] andersherum richtig ist 😉

  3. dointime,
    ist es denn nicht so, dass manchmal A B ergibt? meiner erfahrung zufolge gehorcht die welt des geistes durchaus gesetzmässigkeiten und die welt der menschen sowieso.
    ich bin nicht der verbreiteten christlichen ansicht, dass nichts geistliches vorhersagbar ist. das betrifft – na klar! – auch die beziehung zu gott.

  4. Ich denk ma nicht, das ich nen Nobelpreis für folgendes bekommen aber egal.
    Ich glaube nicht, dass allgemein gültiges Beziehungswissen überhaupt existiert. Weiß das klingt prollig, aber ich find das auch total logisch so. Vielmehr würde es mich verwundern, wenn das Gegenteil der Fall währe. Denn das würde bedeuten, dass wir im Extremfall dazu in der Lage währen, Wissen über Beziehung anzuhäufen, ohne jemals Beziehung zu leben. Ich glaub, dass ist nicht möglich. Ich glaub man kann sich ne Idee, von der Art und Weise wie Beziehung ablaufen könnte auf theoretischer Basis erstellen, aber das eigentliche Wissen entsteht lediglich durch Versuch und Irrtum. Einfachste Erklärung die sich hierfür mir aufdrängt, ist unsere Individualität! Durch diese Individualität lässt sich kein wirklich gutes, allgemein gültiges Bild von Beziehung, aus den verschiedenen Beziehungen, die wir führen, abstrahieren. Sprich es lässt sich keine Definition erstellen, wie z.B. in den Naturwissenschaften. Diese These wird eigentlich durch zwei Umstände gestützt:
    1.Die Individualität unseres Gegenübers, die dafür verantwortlich ist, das unsere Beziehung zu Person A vollkommen anders aussehen kann als zu Person B; als auch
    2. Unsere Individualität, die dafür sorge trägt, dass wir z.B. eine Liebesbeziehung bzw. Beziehungen gleicher „Natur“, zu mindestens in ihren Feinheiten vollkommen unterschiedlich ausleben würden, evt. auch verschieden „definieren“ würden.
    Ich bin also davon überzeugt, dass man keine wirklich allgemein gültige Definition von Beziehung liefern kann. Lediglich kann man einige scheinbare Grundlagen formulieren, wie z.B.: wenn zwei Menschen sich lieb haben, dann verbringen sie Zeit miteinander ^^
    Glaube aber nicht, dass dich das wirklich befriedigt.
    Kurz gefasst: Beziehung ist ein Ding, was ein jeder von uns vollkommen anders erfährt, gar noch von Person zu Person unterschiedlich. Dadurch wird die Formulierung allgemein gültiger Aussagen maximal auf sehr wenige begrenzt sein muss, welche aber nicht ausreichen um ein wissenschaftliches Bild generieren zu können. Dadurch ist die einzige Möglichkeit wirklich etwas über Beziehung zu lernen, es auszuprobieren.
    Ein anderer Punkt ist, ob man sich einen Ratschlag holen kann, aber ich glaube das kann man nicht als „Wissenschaftliche Erkenntnis“ definieren. Jedoch können gute Ratschläge Katalysatoren für ne gesunde und gute Beziehung, auch zu Gott, darstellen. Wobei diese jedoch subjektiv sind und daher nicht bei allen Leuten anwendbar, sprich wohl kaum wissenschaftlich sind. Aber mehr is glaube ich nicht möglich. Ist wahrscheinlich auch gut so, denn sonst wär’s schnell langweilig.^^
    Um dich ma kurz zu trösten, auch in den Naturwissenschaften is nicht alles rosig. Denn jegliche wissenschaftliche Erkenntnisse, die wir z.B. in der Physik haben, sind lediglich mehr oder weniger gute Näherungen an die Realität. Und im Anblick ihrer Mängel, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie durch eine noch komplexere, aber bessere Näherung ersetzt werden. Aber bis dahin, tun wir mal so, als wäre es vollkommen richtig, vor allem wenn uns jemand fragt, der weniger Ahnung hat. 😀

  5. Da kann ich Christoph nur voll zustimmen. Ich würde es sogar zuspitzen und sagen: Ein Wissen über etwas zu haben, heißt es immer in sicherer Distanz zu halten, Beziehung hingegen ist irgendwie ein sich von sich selbst lösen und auf ‚ein Anderes‘, sehr Fremdes, Unbekanntes hin bewegen. Wissen immer Sicherheit, Beziehung immer Risiko, Verletzbarkeit und die Notwendigkeit von Vertrauen. Weiß nicht, ob das Sinn macht.

  6. Hallo Storch und Gemeinde

    Vielen Dank nochmal für die Gastfrendschaft bei der Taufe letzte Woche. Zu dem Thema denke ich schon, daß es neben der Beziehungserfahrung auch eine Theologie gibt, die meinetwegen auf einer distanzierteren Ebene etwas über logische Gesetzmäßigkeiten aussagen kann. So wie ja auch die Psychologie auf abstrakter Ebene Wahrheiten und Gesetztmäßigkeiten über das Wesen von Menschen festhalten kann. Auch über deren Beziehungsbedürfnisse und Schemata (ich denke jetzt z.B. auch an Kaspar Hauser), ohne selbst in eine solche Beziehung mit den zu Untersuchenden selbst eintreten zu müssen. Heißt denn Theologie nicht eigentlich die Wissenschaft von Gott?
    Was die Theologiegeschichte angeht habe ich leider keine Ahnung (studieren wär eigentlich fein). Ich muss nun allerdings sagen, daß ich neulich bei der Lektüre von „Salz der Erde“ des Theolgen Ratzinger und des Journalisten Seewald sehr wohl den Eindruck bekommen habe, es handele sich bei der Theologie um eine Geisteswissenschaft, die sich in der Herangehensweise durchaus sagen wir mit der Philosophie vergleichen läßt, und ist es dort so, daß wir immer wieder von vorn anfangen? Ich glaube nein. So benutzen wir theologische Wahrheiten und Termini heute selbstverständlich, die frühere Theologe erst herausarbeiten mussten. Ein Beispiel davon ist die heilige Dreifaltigkeit (Augustinus).
    Wir müssen also nicht nur Fehler und Vergehen bei früheren Männern Gottes suchen, sondern dürfen tatsächlich auch deren geistlichen Früchte kosten und gebrauchen und sie uns zu eigen machen. Und tuen es auch längst, ob wir wollen oder nicht.

  7. hey chris,

    freut mich, dass es dir gefallen hat.
    ich denke, dass ihr die individualität zu hoch ansetzt. klar bimmeln wir alle gern mit der individualitätsglocke herum, aber die ist eigentlich mehr im zeitgeist verankert als in der realität. wenn wir mal ehrlich sind, dann sind wir uns alle unangenehm ähnlich. bis auf ein paar einzelfälle hören wir im wesentlichen dieselbe musik, schauen dieselben filme, mögen das selbe essen, usw. das ist in beziehungen nicht anders.
    ich folge ungern einer aristotelischen 4er einteilung, aber tatsache ist doch, dass es immer wieder zu aha-erlebnissen führt wenn man die menschen in vier grundtypen (oder acht, eigentlich egal wieviele) einteilt. das aha-erlebnis kommt nur dadurch zustande, dass an solchen einteilungen irgendwas dran ist. sicher sind das nur statistische werte und annäherungen, aber so sind wir nun mal: darstellbar durch eine gauss´sche normalverteilung. wenn das wirklich heisst (wie ich vermute), dass der mensch nicht unendlich viele beziehungsmöglichkeiten hat sondern nur einige, die in verschiedenen intensitäten und zusammenstellungen dann eine unendlich grosse zahl ergeben, dann muss sein beziehungsleben, auch mit gott, berechenbar sein – innerhalb gewisser grenzen. wenn wir noch einbeziehen, dass gott sich selbst berechenbar gemacht hat und die unsichtbare welt durchaus gesetzmässigkeiten unterliegen könnte, wäre eine basis für wissenschaft gegeben.
    natürlich erst einmal nur theoretisch. ich beabsichtige derzeit nicht einen „geistlichkeitsindex“ oder so zu errechnen. 😉

Schreibe einen Kommentar

Diese HTML-Tags und Attribute sind erlaubt: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>