10. Juni 2006 6

Häutungen

Am See dachte ich heute darüber nach, was es heisst, dass der Glaube sich immer wieder neu erfinden muss. Persönlich glaube ich, dass wir in unserer geistlichen Entwicklung nie hundertprozentig ankommen werden. Das ist nicht etwa negativ gemeint, wir müssen nicht mit einem Loch im Leben herumlaufen, das uns permanent schmerzt und für das wir eine (er)Füllung suchen. Jesus hat uns schon satt gemacht (Johannes 4,14). Dennoch heisst glauben in Bewegung bleiben. Vielleicht in unserer Zeit mehr als in früheren.

In dem Masse in dem unser Leben sich verändert wird unser Glauben, unsere Art zu glauben, sich verändern müssen. Hier ist der Unterschied zwischen Menschen in der Postmoderne und den Menschen früher: unser Leben weist mehr Veränderungen auf und ist „schneller“ als das früher der Fall gewesen ist. Früher hatte man eigentlich nur drei Phasen: Kindheit, Erwachsenheit und Alter. Oft stand schon mit der Geburt das komplette Leben fest und es war klar, was das Kind beruflich machen würde, wen es heiraten würde, wo es wohnen würde usw. Heute ist das Leben (zum Glück!) dynamischer. Aber diese Dynamik hat einen Preis: unsere Leben büssen viel an Konstanz ein. Man kann nicht mehr sagen ob und wie lange man in dem Beruf, den man gerlernt hat arbeiten will. Partnerschaften und Freundschaften ändern sich, ebenso wie Wohnorte. Durch Medien und die immer besseren Reisemöglichkeiten strömen mehr Eindrücke auf uns ein als auf die Menschen anderer Zeitalter.

Ich habe mal gehört, dass bei Männern die erste Lebenskrise um die dreissig kommt. Das ist die Zeit in der man merkt, dass Weichen gestellt werden, die unter Umständen das Leben lange Zeit in eine bestimmte Richtung fahren lassen. Man stellt sich Fragen wie „ist das wirklich die Frau mit der ich alt werden will? Ist das wirklich der Job, den ich mein Leben lang machen werde? usw.“ Ich habe das Gefühl, dass es mittlerweile mehr solcher Krisenpunkte gibt. An jedem dieser Punkte, und noch mehr wenn das Leben sich gravierend verändert, wird auch der Glaube hinterfragt. Gott wird in unseren Überlegungen immer eine Rolle spielen und wir werden den Glauben ebenso wie unser gesamtes Leben immer wieder neu erfinden müssen wenn wir wollen, dass er relevant bleibt.
Als ich über diese Sachen nachdachte erinnerte ich mich an die Schlange, in dem Landschulheim wohnte in dem wir bei Willo übernachtet haben. Es war eine recht grosse, vielleicht ein Python. Sie lang träge da und neben ihr an einen Pin hingen wie an einer Garderobe ihre Häute. Schlangen häuten sich bei jedem Wachstumsschritt, den sie tun. Für kurze Zeit kann es so aussehen, als hätte man zwei Schlangen im Terrarium. Dann vertrocknet die Haut und wird farblos. Vielleicht verstösst es gegen die Regeln des guten christlichen Geschmacks ausgerechnet von Schlangen zu lernen, aber ich finde, dass das ein schönes Bild dafür ist, wie wir im Glauben wachsen. Hinter jedem von uns liegen wie Schlangenhäute alte Arten den Glauben zu leben. Die Häute sind längst verblichen, nur Erinnerungen zu denen man nicht mehr zurück kann.
Ich könnte nicht mehr meinen Glauben in einer hyper-charismatischen Gemeinde leben wie mit 23. Ich könnte auch nicht mehr zurück zu der Zeit als ich in einer grossen Gemeinde Publikum war. Alle Phasen waren gut und haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Ich blicke dankbar zurück, aber letztlich sind es Häute, in die ich nicht mehr passe.

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5 Kommentare

  1. männer bekommen krisen in diesem rhytmus : olympia dann nach 2 jahren fussball em dann nach zwei weiteren jahren fussball wm, so dass die meisten männer ein so hohes errregungsniveuo haben, dass sie in einer dauerkrise leben ;-).
    ansonsten ist ja die zeit zwischen tween ticket und seniorenpass wirklich die härteste.
    ansonsten fällt mir zu diesem post der gute alte hermann ein :
    Stufen

    Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
    Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
    Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
    Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
    Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
    Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
    Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
    In andre, neue Bindungen zu geben.
    Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
    Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

    Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
    An keinem wie an einer Heimat hängen,
    Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
    Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
    Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
    Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
    Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
    Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

    Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
    Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
    Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
    Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

    … könnte fast von paulus sein

  2. es verstösst nicht gegen die Regeln des guten christlichen Geschmacks – was immer das ist -, ausgerechnet von Schlangen zu lernen. hat doch unser aller meister uns angewiesen, klug wie dieselben zu sein (matthäus 10,16).

    als mehrfach gehäuteter haso kurz ein paar selbstbeobachtungen. häutungen markieren normalerweise die übergänge zwischen aufeinanderfolgenden lebensabschnitten. als ich noch ein büro hatte, konnte ich meinen besuchern an den verschiedenen bücherregalbrettern meine geistlichen entwicklungsphasen demonstrieren. auf jedem brett stand jeweils die literatur, die für eine bestimmte phase prägend war.

    seit einiger zeit erlebe ich jetzt jedoch eine neue entwicklung. vergangene lebensphasen erleben eine wiederauferstehung. was hinter mir liegt, wird – in verwandelter form – wieder lebendig, aber jetzt nicht mehr im gegensatz zu anderem, sondern in einer art höheren einheit mit anderem. sozusagen eine gleichzeitigkeit verschiedener phasen auf höherer ebene.

    auch ich genieße die dynamik des lebens, von der ich heute mehr erlebe als je zuvor. aber ich finde es wichtig, dahinter oder darunter auch die konstante und die einheit meines lebens zu erkennen. sonst habe ich am ende viele häute und wenig schlange.

  3. hallo storch ich hätte dazu eine frage:
    ich verstehe, wenn jemand sagt, „die haut“ jedes wochenende bis zum umfallen zu feiern passt mir nicht mehr. oder früher habe ich nur für den fussball gelebt, aber das hat sich verändert.
    aber wieso kann es sein, dass es mit einer christlichen gemeinde genau so geht wie mit „hobbys“ und lebenseinstellungen. sollte nicht die gemeinde über den lebenseinstellungen stehen? wie verstehst du 1.kor. 12 (insbesondere ab vers 12) oder epheser 4, 1-6?
    wie kann eine einheit entstehen, wenn jede christliche gruppierung das macht was ihnen passt (wie es für sie stimmt) und alle anderen sagen, es ist ok aber ich könnte das nicht (oder nicht mehr)? oder was bedeutet einheit eigentlich genau, so gesehen?

    ps: ich habe ca. 2 meter von meinem mac ein terrarium stehen. drinnen befindet sich eine königsphyton. ich hoffe und glaube also dein vergleich war nicht unchristlich…. 🙂

  4. Es war eine Boa Constrictor.

    Ich glaube genau da ist eine sehr tiefe Wahrheit verwurzelt, was im Buddhismus „Leid der Veränderung“ genannt. Im konstanten Schauen auf Gott verlieren wir vielleicht diese Illusion von Beständigkeit, die wir um uns herum wünschen. Die Beständigkeit in unserem eigenen Handeln sich den jeweils neuen Situationen zu stellen wiegt doch viel mehr und der angebliche Verlustschmerz ist nur noch ein dumpfes Klopfen und zerreisst uns nicht mehr. Das macht für mich dann Gottvertrauen aus, weil man sich eben keine anderen „Götter“ macht, von denen man sich dauerhafte Glückseligkeit und Sicherheit verschafft.

    Ich hatte vor kurzem begonnen die Bibel wieder von vorne an (Bin jetzt bei Hiob angelangt) durchzulesen: Ich meine das Volk Israel. Immer dann, wenn es Ihnen gut ging, haben sie angefangen anderen Göttern zu huldigen, wenn es Ihnen schlecht ging musste Gott herhalten. Das wechselt sich diverse Male ab und ist ja quasi ein roter Faden.

    Da die Schlange ja letztendlich immer Schlange bleibt, ist die Häutung nur natürlich. Sie wächst nur dabei 😛

    Ich muss da immer an Jesus und den Pflug denken und in Kombination an das erste Gebot.

    Zu der Frage der Einheit…nur in Zeiten der Not stand Israel wie ein Mann, wieso sollte in Zeiten dieser Üppigkeit das „Wohlstandschristentum“ zusammenfinden ? 😛

  5. hi tobuk,
    die frage ist schwer zu beantworten, weil ich nicht genau sagen kann, was den glauben ausmacht. was ich wahrnehme und beobachten kann ist, wie er sich äussert. da sich dieser ausdruck (zu dem auch theologie gehört) über die jahre ändert postuliere ich einfach mal, dass sich auch der zugrundeliegende glaube ändert. nur wie, das vermag ich nicht zu sagen.
    die beobachtung: früher war ich viel unterwegs: parties usw. mit einem christlichen freundeskreis. wir haben mit vielen leuten über jesus geredet, es hat richtig gerockt und war eine geniale zeit. heute lebe ich sehr meditativ und nach möglichkeit zurückgezogen – ich gehe nur auf parties wenn ich muss. mein glaube ist in dieser hinsicht „leiser“ geworden, wenn auch viel effektiver für gottes reich. so wie früher könnte ich heute den glauben nicht mehr leben, selbst dann nicht, wenn ich wollte.
    dafür lassen sich viele beispiele finden: lobpreis- und gebetsnächte, charismaticher gemeindestil, usw. alles dinge, die zu ihrer zeit bestens waren (und jetzt für andere bestens sind), aus denen ich mich aber rausentwickelt habe und zu denen es kein zurück gibt. mit jeder lebensphase muss der glaube sich neu entwickeln. ich kann nicht mit 34 den glauben eines 24 jährigen leben.

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