02. Juni 2006 12
Alltägliche Inspirationen
Jüngst gab es hier eine interessante Diskussion, die mich zum Nachdenken gebracht hat; dass die Diskussion wenig mit dem ursprünglichen Post zu tun hatte, spricht nicht gegen sie, ist es doch eher ein Zeichen guter Gespräche, dass man „vom Hundertsten ins Tausendste“ kommt. Haso schrieb etwas Nettes über Storch: „ansonsten gefällt mir deine midas-artige fähigkeit, jeden gedanke, den du anrührst – woher er auch kommt -, gleichsam zu gold werden zu lassen.“ Da ist etwas dran: viele geistliche Inspirationen kommen bei mir nicht direkt aus der Bibel oder aus dem Gebet sondern durch ganz alltägliche Sachen, die oft sogar im direkten Kontrast zu Wahrheiten der Bibel stehen. Da mein Alltag zu einem gewissen Teil aus Büchern und Theorien besteht, kommt es oft vor, dass Gott zu mir durch Philosophen u.a. redet. Deshalb fällt es mir schwer, einen Bogen um „heidnisches Zeug“ zu machen – Gott redet einfach viel zu viel dardurch. Ich wage sogar zu behaupten, dass mein Zusammentreffen mit Fichte etwas göttlich Geplantes war.
In der Bibel ist es normal, dass Gott durch alles mögliche alltägliche geredet hat: zu Jeremia durch die berühmte Töpferei (Jeremia 18); zu Salomo(?) durch einen verwilderten Weinberg (Sprüche 24,30f) usw. In der Theorie würden das die meisten Christen sicher auch gerne bejahen, in der Praxis stecken wir dann allerdings Gott wieder in die Kiste und glauben, dass er nur durch die Bibel redet. Natürlich redet er durch die Bibel und eine fundierte Bibelkenntnis ist unerlässlich um Gottes Reden zu verstehen, aber wenn wir mit offenen Augen und Ohren durch die Welt gehen, dann wird unsere gesamte Alltagsempirie zur Prophetie: Gott redet durch alles; wir beginnen den Lobgesang der Schöpfung (auch der menschlichen) zu verstehen.
Wow, das klang jetzt mystisch… Sei´s drum!, manche Wahrheiten kommen eben im Gewand der Mystik daher.
Ich sehe da zwei verschiedene Ansätze, wie wir mit unserer Welt umgehen können: Wir können sie als Quelle der Inspiration sehen und von ihr lernen auf dem Weg Gottes zu gehen, oder wir können sie durch die Brille der Wahrheit, die wir schon haben betrachten; dabei wird sie immer schlecht abschneiden. Diese beiden Positionen hat Bernhard wunderbar auf einen Punkt gebracht: „Doch liegt es vielleicht an der argwöhnischen Beäugung der Theologenschaft meines Schlages, dass ich zähnefletschend Heidenpacks Ideologien anknurre, anstelle sie anzupinkeln und sie darin zum eignen Revier zu deklarieren.“ Ich plädiere heute einfach mal für das Anpinkeln, denn alles ist unser (1. Korinther 3,21) und wir sollten es deshalb in Besitz nehmen.
Diese In-Besitz-Nahme ist nicht einfach, sie erfordert einiges an Arbeit und diese Arbeit beginnt nur mit einer offenen Einstellung und Gebet. Es geht weiter mit Beurteilen, dem Wissen um die eigene Position usw. Wieder einmal gilt, was der gute Goethe sagte: „Was Du ererbt von Deinen Vätern, erwirb es um es zu besitzen.“
Noch mal danke für die schöne Diskussion!
PS: lustiges Volk, die Blogger. Ich habe HaSo und Bernhard gefragt, ob ich den Post posten darf und beide antworteten: „Imprimatur!“, ich dachte den Ausdruck würden nur noch Buchhändler und Verleger kennen.
10 Kommentare
2 Pingbacks
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[…] Nichts, aber auch garnichts kann ich dafür oder dagegen tun, dass ich selbst glaube! […]
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[…] zu wichtig zu nehmen. Fußnoten:Peter Schneider: Lahme tanzen unter der Kanzel, Seite 74 [↩]Quelle [↩]Tags: Einheit, Erkenntnis, Gottes Reich, Hermann Zaiss, Inspiration, Prediger, […]
haso schrieb am
2. Juni 2006 um 09:37wenn der mensch nach gottes bild erschaffen ist, ist in jedem menschen etwas von diesem bild zu finden – wie vergilbt oder verzerrt auch immer. ich kann – wie du – nichts schlechtes darin sehen, nach diesem bild zu suchen, auch wo es noch nicht durch jesus der restaurierung zugeführt wurde.
march. schrieb am
2. Juni 2006 um 10:08„gott spricht zu mir auch durch eine gute folge star trek.“ martin 3er
[note to self: irgendwann wirklich mal das alte jesus freak video digitalisieren]
Bernhard schrieb am
2. Juni 2006 um 10:14Wir schneiden mit dieser Diskussion auch einen konfessionellen Grunddissens an. Während die katholische Methode das Pinkeln ist, knurren Protestanten, grad der barth´schen Coleur. Die berühmte Spannung zwischen der analogie entis und der analogie fidei.
Wir kommen dahin, dass uns klar werden muss – also ich meine das ist eine Entscheidung, keine Frage der Wahrheit (oder doch ?) hat das erlöste Dieseits irgendeinen link zum kommenden Jenseits? Hat das Heute (und damit alles, was heidnisch, christlich, heilig oder profan „erarbeitet“ wird) eine Relevanz für Morgen (wo alles als Neuschöpfung, im Neuen Jerusalem dargestellt) das noch kommt? Weil wenn wir uns da einig werden, dann schütten wir zumindest einen der „garstigen Gräben“ zu…
Derber Stoff…
storch schrieb am
2. Juni 2006 um 11:19langsam wird mir klar, wieso ich in manchen tests so katholisch abschneide. vielleicht ist in mir mehr katholisches als ich je gedacht hätte?
haso öffnet mir immer wieder die augen über mich selbst… ich habe zwar immer geglaubt, und manchmal gepredigt, dass wir „gottes verzerrtes ebenbild“ sind, habe das aber mehr oder minder immer nur auf die christen angewandt. deshalb waren leute, die gott in jedem menschen zu finden meinten immer eine herausforderung für mich. dennoch habe ich empfunden, dass da was dran ist, konnte es aber schlecht theologisch begründen. jetzt geht es.
ein jüngerer gedankenanstoss: fichte von 1799:
… Man hat die religiöse Bildung überhaupt nicht zu betrachten als etwas, das in den Menschen hineingebracht werden solle – denn was in ihn hineingebracht wird von solchen Dingen, ist sicher falsch – sondern das schon in ihm liegt, und was nur entwickelt, woran er nur erinnert werden soll, was nur in ihm zu verklären und zu beleben ist.
Es soll überhaupt kein Unterricht in der Religion, sondern nur eine Entwicklung jenes ursprünglichen religiösen Bewusstseins stattfinden.
vielleicht ist es wirklich einfacher und besser, den menschen zu zeigen, dass sie gottes verzerrtes ebenbild sind und ihnen in ihrer eigenen empirie gott zu zeigen als sie davon zu überzeugen vollkommen falsch zu liegen?
haso schrieb am
2. Juni 2006 um 11:32das ist auf jeden fall biblisch legitim, denn so geht auch paulus in seiner areopag-rede (apostelgeschichte 17) vor. wer genau hinschaut und griechisches denken kennt, merkt allerdings, wie sehr diese rede neben der anknüpfung auch den widerspruch enthält. „contextual yet distinct“ nennt gerard kelly das.
ob dieser legitime weg in jedem fall der wirksamste ist, ist eine andere frage. auf dem weg nach korinth scheint paulus sich eher neu auf das „wort vom kreuz“ fokussiert zu haben, wie der anfang des 1.korinther zeigt. aber es geht letztlich auch nicht zuerst um methoden der evangelisation, sondern um meine haltung zu den menschen. ich habe mich entschieden, zuerst das kostbare, interessante, gottes-ebenbild-mäßige in jedem menschen zu suchen und zu schätzen. die verzerrung, die sünde, entdeckt man sowieso ganz von alleine. aber bevor ich mich damit befasse, möchte ich den menschen schon liebgewonnen haben.
Bernhard schrieb am
2. Juni 2006 um 11:52Richtig Junx…
Sehr liebevoll und sehr richtig. Geil!
Aber am liebsten würd ich doch auch schon wieder losmotzen! Grad mal wieder zu deim Fichte Zitat, lieber Storch. Schleiermacher winkt schon und der is für mich nun mal eben Brechmittel.
Aber ich lass es mal, weil ich fahr jetzt mit den Stuttgarter Freaks auf Gemeindefreizeit. Yeah, ins schöne Bayern an den Starnberger See… Und die kriegen Bernhard zu hören, also den echten, nicht den Bloger, also den auch. Aber Bernhard lehrt Bernhard, der ihn belehrt und so… 🙂
Lies mein Blog so long…
sach servus!
storch schrieb am
2. Juni 2006 um 12:13danke haso, das hilft mir sehr. löst auch etwas von dem „paradoxe anthropologien“-post auf. in letzter zeit platzen wieder einige denkknoten… (mal sehen, wie das das handeln revolutioniert 😉 )
tobuk schrieb am
2. Juni 2006 um 12:53berndeutsch: dir sit würklech geili sieche!!!!! gruz tobuk
Anne schrieb am
4. Juni 2006 um 19:48Für mich war immer klar, dass Gott in den Menschen das Paradieses hinein gelegt hat, Spuren der „konkreten Utopie“, wie Bloch es nennen würde, das Streben der drei Ideen, die nach Kant die Vernunft über sich selbst hinausführen (der Idee der Seele, der Idee der Welt, der Idee Gottes)…oder auch Platons Reich der Ideen (sozusagen quer zu Kant). Dieses zu verneinen würde logisch die Konsequenz haben, dass wir als Christen diese Welt verlassen zu müssen. Jedoch zu unterscheiden, was „Wahres“ und was „Falsches“ ist…fällt schwer.
Das Krasse ist ja aber gerade, dass Gott in uns selbst aus „Falschem“ Gutes macht…nehmen wir nur mal Joseph…erst macht er einen auf dicke Hose mit seiner prophetischen Gabe…dann nach einigen Leidensstationen macht er Karriere beim Pharao und nutzt seine Prophetie über die 7 schlechten Jahre dafür, das Volk auszubeuten…und trotzdem gebraucht Gott das alles dafür, das zukünftige Volk Israel vor dem Verhungern zu retten (also Jakobs Familie). Er macht aus krummen Wegen gerade.
So verweisen selbst Trennung von Gott, Sünde und Tod – dialektisch betrachtet – immer auf Spuren der konkreten Utopie Gottes in unseren Herzen und der Welt.
to Bernhard: Was bitte ist: „die Spannung zwischen analogie entis und analogie fidei“…(bin leider keine Theologin 😉
storch schrieb am
5. Juni 2006 um 01:53herzlich willkommen, anne!