24. Mai 2006 25
Was ist eigentlich „ehrwürdig“?
Sonntag mittag nach dem Gottesdienst stand ich noch mit einem Freund und seiner Frau am Flyerbrett und wir haben geredet. Er meinte, dass seine Eltern, die aus einer etwas traditionelleren Glaubensrichtung kommen als wir, unsere Gottesdienste wohl nicht „ehrwürdig“ genug finden würden. Mann, das hat mich ratlos gemacht.
Das Wort verfolgt mich irgendwie – Jesus Freaks Gottesdienste sind nicht ehrwürdig, die VOLXBIBEL ist es nicht, ich selber auch nicht (angeblich). Dabei stelle ich fest, dass ich mit dem Begriff „ehrwürdig“ NICHTS, null, gar nix verbinde. Ich kenne ehrlich, auch ehrbar (steht im Timotheusbrief und bedeutet das Gegenteil von liederlich), aber was zum ******* ist „ehrwürdig“? Vielleicht fehlt mir da eine Art Organ oder so was, aber ich kann mir tatsächlich nichts darunter vorstellen.
Luhmannsche Erkenntnistheorie geht immer von einer Unterscheidung aus: „Mache eine Unterscheidung“, ist eines seiner Grundcredos. Hier weiss ich nicht mal, was ich unterscheiden soll. Was ist denn das Gegenteil von ehrwürdig? Jetzt kommentiere bitte keiner „unehrwürdig“! Aber im Ernst: lese ich eine Bibel denke ich: „verständlich“, „einfach“, „genau“ – oder eben nicht. Besuche ich einen Gottesdienst urteile ich „interessant“, „gute Anbetung“, „langweilig“, „steif“, „authentisch“ – oder das gerade Gegenteil. Aber noch nie, niemals ist mir die Kategorie „ehrwürdig“ zu Bewusstsein gekommen.
Keine Ahnung, was das ist, dessen Abwesenheit uns Jesus Freaks so oft vorgeworfen wird. Als jemand, der als Quereinsteiger in den Glauben nicht Nutzniesser oder Opfer einer umfassenden christlichen Sozialisation geworden ist, kann ich da einfach nicht mitempfinden…
24 Kommentare
Ein Pingback
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[…] was ist ehrwürdig? (Luhmann nur am Rande […]
Simon schrieb am
24. Mai 2006 um 08:46Also uns wurde es in letzter Zeit auch immer mal wieder „vorgeworfen“. Auch von Leuten die aus klassischeren Kirchenkreisen kamen. Ich kann das Wort nicht direkt erklären aber sie meinen sowas wie wenn wir eben Gott als Kumpel anbeten. Sie würden es bevorzugen wenn man da ein bisschen mehr unterordnente Distanz haben würde. Eben wie bei einem Lehrer den man auch nicht einfach so anlabert. Weil Gott eben Gott. Na ja ich begründe es immer mit der Abba Stelle aber das reicht ihnen irgendwie nicht.
Guerillachrist schrieb am
24. Mai 2006 um 08:51Nicht ignorant sein, Storch 😛
Vielleicht geht es diesen Menschen um „Respekt“ ? 😛
haso schrieb am
24. Mai 2006 um 09:22spannende frage, die du aufwirfst. mit dem begriff „ehrwürdig“ kann ich auch nicht viel anfangen, weil er schon nach der religiösen verzerrung dessen klingt, worum es geht. ich würde stattdessen davon sprechen, dass es dinge gibt, die mir „heilig“ sind.
der begriff des „heiligen“ ist allerdings ein ebenso gefährdeter begriff. führt er zur unterscheidung zwischen „heilig“ und „profan“, landet man beim frommen eskapismus. macht man ihn an verhaltensweisen oder gar dingen wie style und outfit fest, wird es noch unerträglicher.
definieren kann ich „heilig“ eigentlich nicht richtig. wenn mir etwas heilig ist, spüre ich, hier ist eine grenze, gegen deren überschreitung sich etwas in mir wehrt. ich mag z.b. satire, ich finde es oft lustig, manchmal sogar nötig, unsere frommen schwächen aufs korn zu nehmen. aber es gibt einen „point of return“, an dem ich nicht weitergehe. heute morgen habe ich z.b. gerade einen post für meinen blog geschrieben, bei dem ich auf einen richtig coolen, sehr, sehr lustigen artikel bezug genommen habe. aber ich habe dann gespürt: das ist etwas, worüber ich nicht spotten möchte. ich habe mich schweren herzens selbst verleugnet und ihn wieder gelöscht, obwohl die sache wirklich sehr, sehr lustig war.
ich denke, worum es bei „ehrfurcht“ (besser als „ehrwürdig“) und „heilig“ geht, findet sich im von dir so geschätzten hiobbuch – wie ist dir eigentlich der herder bekommen? – in kapitel 42 vers 1 bis 6. (vor dem ehrwürdig-ehrfürchtig-heiligen denken kommt das passive handeln, die gottesbegegnung.)
die nächsten verwandten des ehrwürdigen sind in unserem sprachgebrauch vermutlich begriffe wie respekt, achtung und wertschätzung. insofern sind wir „ehrwürdig“, wenn wir gott, menschen und alle anderen wesen – außer dem teufel – mit respekt, achtung und wertschätzung behandeln.
wenn man in diesem zusammenhang stellen wie jakobus 2,1-5 liest, würde ich sagen, die jesus freaks sind ehrwürdiger als manche ehrwürdige gemeinde.
storch schrieb am
24. Mai 2006 um 10:34ich finde respekt trifft es nicht. natürlich habe ich respekt vor gott. aber es geht bei diesen herrschaften nicht nur darum, dass ICH etwas habe oder eben nicht. auch der gottesdienst kann es haben – oder zumindest ausdrücken.
ich habe auch ein empfinden für heiligkeit und erlebe das sehr ähnlich wie haso. aber das srückt sich für mich darin aus dass ich mich bemühe gottes willen zu erkennen und zu tun, nicht darin, dass im lobpreis keine instrumente verwendet werden. so wie ich es verstehe ist dieses „ehrwürdig“ ein rein kultureller begriff, der mit den kategorien „heiligkeit“ und „respekt“ nicht erfassbar ist.
Micha/JF Chemnitz schrieb am
24. Mai 2006 um 10:39ehrwürdig <Adj.> Ehrfurcht einflößend, verehrungswürdig, achtunggebietend, durch Alter respektgebietend; ein ~er Greis.
(Wahrig, Deutsches Wörterbuch)
Soviel dazu.
Aber entweder meinten die Typen was bissl anderes..
oder aber.. manche Sachen, die hier als Erklärung stehen, würde ich auf Gott anwenden, aber nicht auf Gemeinden.. und für Ehrwürdigkeit durch Alter sind JFs noch zu jung.
Mein Tip: Seltsame Wörter lass ich mir von den Leuten erklären, die solche Worte gebrauchen.. „Was meinst du mit …“ Das is oft lustig…
die.predigerin schrieb am
24. Mai 2006 um 10:40ich hab mal synonyme für dich gegoogelt. bei der uni leipzig gibts gute ergibnisse:
http://www.wortschatz.uni-leipzig.de/cgi-bin/wort_www.exe?site=2&Wort_id=11466551
am besten gefallen mir diese synonyme: althergebracht, bejahrt, erhaben, erhebend, herkömmlich, patriarchalisch, traditionell, überkommen, überliefert, verehrungswürdig, würdig… und da kann ich doch mit gutem gewissen sagen das wir freaks das nicht sind!!! 😀
wobei wenn man das wort mal zerteilt: ehr + würdig -> dann kann man sagen, dass ehrwürdig etwas ist, das so gut (=würdig) ist, das es Ehre verdient. Und das ist eh nur Gott und nicht unser Gottesdienst oder wir oder unser Style.
Also Storch, du musst nicht ehrwürdig sein und die Freaks auch nicht!
Micha/JF Chemnitz schrieb am
24. Mai 2006 um 10:41(mist, </i> hinter „Greis“ vergessen.. na ja, egal..)
storch schrieb am
24. Mai 2006 um 10:44@ micha: ich kenne solche leute nicht wirklich. wird mir nur immer hinterbracht oder steht in emails von menschen die nur schimpfen und nicht reden wollen. vielleicht bin ich zu unehrwürdigend (oder wie das heisst) um mich als gesprächspartner zu qualifizieren.
@ predigerin: das ist lustich. danke.
march. schrieb am
24. Mai 2006 um 11:31Ehrwürdig ist sein Haupt, und weiß,
Allein sein Wesen, aufgespreizt,
Ist so, daß mich’s zum Lachen reizt.
(Friedrich Hebbel – Der Diamant / Prolog)
lustige seite.
Guerillachrist schrieb am
24. Mai 2006 um 11:35Natürlich ist es mangelnde Polarisation…das ist wie Sonntags zur Kirche gehen und einen Anzug tragen…oder generell Sonntags einen Anzug zu tragen oder „fein“ angezogen zu sein.
Generell geht es um Vorurteile, die bedingt durch die verschiedensten Umstände an dich herangetragen werden. Aber..in jedem Vorurteil steckt auch ein Funken Wahrheit, was wiederum bedeutet, dass die Provokation in der Positionierung der Jesus Freaks gegenüber der Gesellschaft in sich ja nicht von der Hand zu weisen ist (Sprüche wie „anti-Spießer“, Gegen „Trockene Gottesdienste“ etc…)…das färbt doch auch auf die Vorstellung von Predigten etc. ab.
Freak distanziert sich vom „Spießer“ und „Spießer“ distanziert sich vom Freak.
Ich finde da nichts aussergewähnliches dran.
toby schrieb am
24. Mai 2006 um 11:56Ich finde deinen blog ehrwürdig! 🙂 Und das ist ein Kompliment von einem Spießer für einen Freak, falls es nur diese zwei Lebens- und Glaubenseinteilungen gibt!
storch schrieb am
24. Mai 2006 um 12:26hey toby,
ich habe dich gar nicht so spiessig eingeschätzt. mag aber auch sein, dass ich nicht so freakig bin, wie ich von berufswegen sein sollte. hehehe
Guerillachrist schrieb am
24. Mai 2006 um 12:47😛
Bernhard schrieb am
24. Mai 2006 um 13:24an die lieben ehrwürdigen und hochwürdigen Mitbrüder…
den hóchwürdigsten blogbesitzer mein Gruß, denn ihm kommt der Superlativ ob seiner epikopalen Stellung zu… hüstel hüstel.
Also, in Kirchenkreisen (v.a. römisch katholischen) ist das eine Stufung in der Anrede. Hochwürdigst sind Äbte, Bischöfe und Kardinäle zu nennen. Hochwürdig sind Priester und ehrwürdig sind Diakone, Mönche (die keine Priesterweihe haben) und Äbtisinnen zu betiteln…
Man kann Spießigkeit natürlich auch als Chiffre für Etikette und gute Manieren benutzen – Guerillachrist wird da sicherlich noch mehr ein Lied von zu singen wissen… hüstel hüstel, verzeihen Sie…
Bernhard schrieb am
24. Mai 2006 um 13:25s vergessen—- episkopal – was so viel wie bischöflich heißt!
Guerillachrist schrieb am
24. Mai 2006 um 13:55Etikette und „guten Manieren“ sind nicht hinderlich im Leben.
Wie man sich bettet, so liegt man, Herr Pfarrer 😛
Wenn dem Fuchs natürlich die Trauben zu hoch hängen kann man das Chiffre ebenso gut umdrehen und einen Kult treiben. Es kommt immer auf die Perspektive an, nicht wahr ? 😛
Wenn Spießigkeit Etikette und gute Manieren bedeutet, dann bin ich gerne Spießer. Aber die wahre Kunst ist sich so auf sein Gegenüber einzustellen, dass er sich nicht hinabgesetzt fühlt. Ob Arbeiter oder Schnösel, jeder verdient ein Grundmaß an Höflichkeit. Um das zu können ist ein Grundmaß an „Erziehung“ sicherlich nicht falsch.
Ludwig schrieb am
24. Mai 2006 um 18:29ehrwürdig = würdig zur Ehre
also alles das, was würdig ist zur Ehre des Herrn, das ist ehrwürdig. Also z.B. geläuterte Herzen, oder? Deswegen: Freaks sind megamäßig ehrwürdig.
Stefan schrieb am
24. Mai 2006 um 21:00Ist es nicht so, dass viele (Christen als auch Nichtchristen) dass man erst ein Spießer (im Sinne von :Mensch aus der Mittelschicht der beständig zu leben bedacht ist) werden muss um Christ zu werden.
Für viele Menschen hängen ein kultureller Hintergrund und der Glaube so fest zusammen dass alle die den kulturellen HIntergrund nicht haben den Glauben nicht haben können.
Aber natürlich kann man sicher bemerken dass bei „jungen“ Gottesdiensten die Ehrwürdigkeit Gottes (also dass Gott der Herr ist, dem Ehre gebührt ) weniger betont als z.B. dass Jesus der Freund der Sünder ist.
Irgendwas betont man immer, aber die Kritik der „ehrwürdig“-Fans ist wenig fundiert. Wären Sie an Diskussionen interessiert, könnte man vielleicht sogar was von Ihnen lernen. Schade
Ich würd im übrigen gern die Leute verstehen die es hassen zu diskutieren. Mir ist es völlig fremd mir meine Meinung zu bilden ohne darüber diskutieren zu wollen.
Ich hoff ich war nicht zu sehr offtopic, anklagend oder miß(bzw.un-)verständlich
tobuk schrieb am
25. Mai 2006 um 09:15ich sehe es so, wie ludwig. wenn euer gottesdienst zu wenig „ehrwürdig“ ist, dann meinen die leute, der gottesdienst sei nicht würdig gott zu ehren.
ich muss sagen, wenn diese leute deinen blog lesen würden, dann würden sie viellecht etwas ganz anderes über dich oder vielleicht allgemein über die freaks sagen.
diese leute könnten dir bestimmt eine liste aufzählen, was ihnen an deiner art zu predigen nicht passt. wenn sie dann aber den satz: „dem jude ein jude und dem grieche ein grieche“ hinzuziehen würden, dann würde diese liste vielleicht sehr schnell schrumpfen oder vielleicht ganz verschwinden!
ich finde es wichtig, dass man sich selber immer wieder kritisch hinterfragt. mache ich das was ich mache gott zur ehre? wenn ja, dann ist es in meinen augen ehrwürdig. wenn ich es nur so mache wie ich es mache um bei meinen mitmenschen gut dazustehen, dann ist es nicht ehrwürdig gott gegenüber, dann ist es sich-selber-in-den-mittelpunkt-stellend motiviert.
oder so änlich…..
Sam K. schrieb am
25. Mai 2006 um 09:23Sehr schöner und interessanter Beitrag, tolle Kommentare. Vor allem meinem Vorredner muss ich sehr zustimmen.
nicki schrieb am
25. Mai 2006 um 14:05hallo storch,
wenn ich mich bei wer wird millionär anmelde … willst du dann mein telefonjoker sein ?
storch schrieb am
29. Mai 2006 um 09:14klaro nicki. ist doch ehrensache. obwohl es würdigere gäbe!
Sam schrieb am
29. Mai 2006 um 22:02War denn Jesus „ehrwürdig“? Würden solche Leute ihn nicht auch kritisieren für das Nichteinhalten von den „üblichen Regeln“?
Jesus sprach noch mit seinen Zuhörern, als er von einem Pharisäer zum Mittagessen eingeladen wurde. Er ging mit und setzte sich an den Tisch. Entrüstet beobachtete der Gastgeber, daß sich Jesus vor dem Essen nicht die Hände gewaschen hatte, wie es bei den Juden vorgeschrieben war. Jesus bemerkte seinen Unwillen und wandte sich zu ihm: «Äußerlich seid ihr Pharisäer ohne Fehler, ihr glänzt wie die Becher, aus denen ihr trinkt. Aber innerlich seid ihr schmutzig und verkommen. Ihr Scheinheiligen! Ihr wißt doch ganz genau, daß Gott beides geschaffen hat – Äußeres und Inneres. Meint ihr da wirklich, daß er nur auf das Äußere achtet? Eure Schüsseln und Becher sind voll. Gebt das, was drin ist, den Armen, dann seid ihr auch vor Gott rein! Es steht schlimm mit euch, ihr Pharisäer. Sogar von den kleinsten Küchenkräutern gebt ihr Gott den zehnten Teil. Aber Gerechtigkeit und die Liebe zu Gott sind euch gleichgültig! Doch gerade darum geht es: Das Wesentliche tun und das andere nicht unterlassen! Ich warne euch, ihr Pharisäer! Im Gottesdienst sitzt ihr auf den ersten Plätzen, und es gefällt euch, wenn man euch auf der Straße ehrfürchtig grüßt…»
storch schrieb am
30. Mai 2006 um 01:54schöne stelle. danke. ist übrigens lukas 11,37ff – falls es mal einer nachlesen will.