09. Januar 2006 11
walter jens – übersetzung oder übertragung?
Ich habe heute abend ein wenig in walter jens‚ römerbrief gelesen. ich finde, dass es sprachlich keine deutsche übersetzung mit jens aufnehmen kann. schade, dass er nur die evangelien, die offenbarung und den römerbrief verdeutscht hat.
eine kleine kostprobe:
paulus, der apostel,
ist den griechen in gleicher weise verpflichtet
wie jenen, die keine griechen sind.
ich bin in der schuld der klugen,
aber genauso in der schuld der vielen,
die schlicht sind im geist.
wörtlich übersetzt ist das sicher nicht. in allem liest man den rhetorikprofessor heraus, der sich selbst eher den klugen verpflichtet sieht und den dichtern statt des volkes aufs maul schaut.
interessanterweise scheint jens‘ römerbrief vor einem ähnlichen problem zu stehen wie die VOLXBIBEL, obwohl beide sich dem NT von entgegengesetzten seiten näher. hat jens nun den römerbrief übersetzt oder übertragen? der radius-verlag mag sich offenbar selbst nicht entscheiden. so heisst es vorne:
eine art vermächtnis
des apostels paulus
und summe seiner theologie
in virtuoser neu-übersetzung.
während hinten, unter einer bibelstelle, zu lesen ist:
aus römer XIV in der übertragung von walter jens.
wieder die alte frage: „wie frei darf eine übersetzung sein bevor sie zur übertragung wird?“ und: „wen interessiert das eigentlich?“
Micha/JF Chemnitz schrieb am
9. Januar 2006 um 10:54für mich ist „Übersetzung“ dasselbe wie „Übertragung“..
..wenngleich viele Leute mit „Übertragung“ etwas meinen, was „nicht ganz so genau“ ist..
..die Volxbibel ist eher eine Art Interpretation der Bibel als Übersetzung/-tragung
haso schrieb am
10. Januar 2006 um 00:47hallo storch,
gerade noch rechtzeitig ist mir eingefallen, dass ich heute noch gar nicht bei dir kommentiert habe. aber es ist ja noch nicht zu spät.
manchmal bin ich etwas begriffsstutzig. ich hatte bis vor wenigen minuten keine ahnung, wie wichtig die unterscheidung zwischen „übersetzung“ und „übertragung“ ist. mein naives gemüt hatte sich das so vorgestellt: übersetzung bedeutet, sich stärker von der begrifflichkeit und grammatik des urtextes leiten zu lassen. übertragung bedeutet, sich stärker von den darin ausgedrückten konzepten und vorstellungen leiten zu lassen und dafür äquivalente in der zielsprache und zielkultur zu suchen. beides wäre ein löbliches unterfangen, und würde im kombi-pack dem verständnis des urtextes am besten gerecht. durch das entsprechende label würde der verfasser lediglich dem leser signalisieren, welcher der beiden aspekte im vordergrund steht.
weit gefehlt. eben habe ich die volxbibel-diskussion in einem christlichen forum (mit beiträgen in unchristlichem ton) verfolgt. jemand nahm die volxbibel in schutz, weil es ja nur eine übertragung sei. ein anderer konterte: diese ausrede sei nicht zulässig, weil die volxbibel sich selbst als „übersetzung“ in jugendsprache bezeichnet habe.
so ist das also: als (in sich schon minderwertige) übertragung ist etwas (vielleicht gerade noch) zulässig, was sofort zu einer schlimmen sünde wird, wenn man es eine übersetzung nennt. was ist denn das für eine beknackte kasuistik? der übertrager darf, was den übersetzer zum ketzer macht? manchmal bräuchten wir nicht erweckung. manchmal bräuchten wir nur einen klaren kopf.
insofern ist deiner letzten frage vorbehaltlos zuzustimmen: „wen interessiert das eigentlich?“ gott sicher nicht. dich, glaube ich, auch nicht. und schon sind wir uns einig.
haso
storch schrieb am
10. Januar 2006 um 00:56puh, haso, da bin ich aber froh, dass du es noch geschafft hast.
soll ich dir noch was pikantes verraten? das war der 666.kommentar in diesem blog… wenn du nicht schon eine hättest, würde ich dir eine volxbibel schenken!
gute nacht mein neuer freund!
haso schrieb am
10. Januar 2006 um 06:56hi storch,
bin heute etwas früher wachgeworden und aufgestanden und fand gleich ein paar anschlussgedanken zum thema übersetzung / übertragung in mir vor. (offentsichtlich hat mein geist geforscht, während meine seele geschlafen hat. trichotomie funktioniert, storch.)
gott hat dem menschen ein paar heilige geschenke gemacht. tragisch ist, dass fromme menschen mit heiligen dingen nicht richtig umgehen können. so war das seinerzeit mit dem sabbat des alten bundes. der war fürs religiöse gemüt so heilig, dass der mensch sich der genauigkeit des feiertages zu unterwerfen hatte.
das heißt, sie dachten vom sabbat her. sabbat bedeutet: nicht schaffe, nicht häusle baue, sondern in häusken sitzn un nix tun. deshalb drehte sich ihre auslegung darum, was „nix tun“ denn bedeutet. am ende kamen so skurille sache bei raus wie: eine halbe olive tragen ist keine arbeit (also „nix tun“), das darf man; eine ganze tragen ist „was tun“ = arbeit, macht also den sabbatschänder. (ehrlich, sowas gabs.) da menschen schwerer sind als halbe oliven, und das feldbett eines ehemals gelähmten ebenfalls, war heilung am sabbat = gotteslästerung.
nun kam jesus und sagte: falsch! ihr müsst vom menschen her denken, und nicht vom sabbat her. (belegstelle bitte selber raussuchen.) der sabbat ist für den menschen gemacht, nicht umgekehrt. konzentriert eure auslegung darauf, was gott dem menschen mit dem sabbat schenken wollte. alles, was diesem ziel dient, ist korrekte sabbaterfüllung, selbst wenn es der formalen genauigkeit nicht entspricht.
ich bin ein jünger jesu, nicht der halachisten. die schrift ist für den menschen da, nicht der mensch für die schrift. gott will dem menschen mit der schrift etwas schenken, nämlich das kennenlernen-können seiner selbst und seines herzens. alles, was diesem ziel dient, ist korrekte übersetzung, auslegung, kommentierung.
nun bilde ich mir ein, einem sehr schlichten, kindlich-gläubigen umgang mit der schrift nachzustreben. (außerdem einen sehr urtextnahen. ich les das nt seit seligen studienzeiten griechisch und jage immer wieder lexikalischen und grammatischen feinheiten hinterher.) da is ja nix falsch dran. nur ist eben nicht die schrift das joch des menschen, sondern der mensch das maß des umgangs mit der schrift, wie er das maß des umgangs mit dem sabbat ist.
so wie eine heilung am sabbat mehr ausdruck von sabbattreue war als selbstgerechte korinthen- bzw. olivenkackerei, weil das ziel des sabbats erfüllt wurde (menschen haben gott erlebt), so ist macdonalds im nt für ein bestimmtes klientel bibeltreuer als „weiland“ und „fürbaß“, weil das ziel der schrift erfüllt wird (menschen lernen gott kennen).
ich hab den satz „die schrift ist für den menschen da, nicht der mensch für die schrift“ noch nicht nach allen seiten abgeklopft und theologisch wasserdicht gemacht, aber ich würde ihn in spontaner aufwallung zu meinem leitmotiv in der ganzen übersetzungsdebatte erheben.
ansonsten: mit kommentar nr 666 hab ich kein problem. gibt ja leute, die haben eine 666-phobie. aber das sind die, die auch die oben genannten probleme haben. haso und sein neuer freund storch sind nicht darunter.
einen guten tag dir, haso
storch schrieb am
10. Januar 2006 um 10:41tja, mein lieber, die …tomie müssen wir mal bei gelegenheit diskutieren. ist ja ein beliebtes und wichtiges thema. ich bin ja auch der meinung, dass wir aus verschiedenem bestehen, denke aber lieber von der einheit des menschen. dennoch hilft mir das trichotomische modell manches zu verstehen.
aber auch ein dichotomisches: geist/fleisch hilft manchmal und ein gar-nich-tomisches: der mensch, hilft zuweilen. schwierig ding.
lustich, dass du grundtextleser bist. ich bin da noch auf dem weg, lese holprig aber arbeite dran. da sind wir im grunde aus der gleichen richtung und in der selben spannung. denn auf der einen seite liebe ich es, dass es moderne übersetzungen gibt und finde die VOLXBIBEL wichtig; auf der anderen seite forsche ich lieber genau nach. der fehler des pietcong ist es da, ihr genaues absolut zu setzen. vielleicht ist eine absolutsetzung und „für-alle-verbindlich-erklärung“ immer falsch.
ich halte es mit johannes 6,63 (schade, dass es nicht 6,66 ist ;-)): Die Worte, die ich zu euch geredet habe, sind Geist und sind Leben! (elberfelder, aber was soll man als pastor ausm bergischen auch anderes lesen?)
haso schrieb am
10. Januar 2006 um 17:10also, die zerstückelung des menschen sollten wir wirklich mal diskutieren. hab mir schon vorgemerkt, wenn ich irgendwann in den großraum remscheid-pott komme, kontaktiere ich dich betreffs abschließender klärung der letzten theologischen fragen der menschheit bei einem bier.
falls du mal in die nähe der deutschen hauptstadt kommst, hätte ich sicher auch ein glas rotwein mit gleicher zielsetzung für dich.
schönen abend noch, haso
storch schrieb am
13. Januar 2006 um 19:41jo, ich bin bestimmt mal dieses jahr in berlin. aber keinen alkohol für mich, steh ich nicht drauf. bin zwar nicht straight edge, aber nah dran.
haso schrieb am
13. Januar 2006 um 20:42du überraschst mich immer wieder. aber eine nullpromillegrenze deinerseits täte meiner freude über einen live-austausch keinen abbruch.
markus schrieb am
13. Januar 2006 um 23:25irgendwie ging mein gestriger kommentar gestern hier unter. also nochmal:
es gibt dazu ein apologetisches buch „die biebel in gerechter sprache?“. dieses versammelt essays und aufsätze die die grundintention des buches verteidigen.
im gegensatz zur neuen guten anchricht (die ja schon genderneutral ist und nicht mehr geschlechtlich spezifiziert), geht diese übertragung noch einige schritte weiter und vermeidet (auf kosten des bibl. textes?!) jegliche kritik und „diskriminierung“.
so kann man sich vorstellen, wie schwer das bei pualus‘ ausführungen zur homosexualität ist bzw. ankommen wird.
storch schrieb am
14. Januar 2006 um 02:01also wenn es um toleranz gegen jeden geht und keiner verprellt (=herausgefordert) werden soll, wird es mit allen aussagen schwer. dann muss ja das gericht raus und alles andere auch, was jesus so gesagt hat. tja, das wäre in der tat fatal!
storch schrieb am
14. Januar 2006 um 10:28toby hat das buch gekauft und verspricht, bald zu berichten. es lohnt sich also, den blog zu beobachten. überhaupt ein angenehmer blog!