04. Januar 2006 0

lebenslüge

gestern waren wir seit langem mal wieder in hagen im theater. es gab ibsenshedda gabler„, aufgeführt vom ensemble des neusser theaters.
von zeit zu zeit gehe ich ganz gerne mal, alex aber lieber als ich. in den letzten jahren ist aber – warum auch immer – nichts draus geworden. dasstück war sehr gut aufgeführt, allerdings hat ibsen für mich an reiz verloren. als ich zum ersten mal die wildente gelesen habe, war es der hammer: eine kleine offenbarung. auch „nora“ und „gespenster“. zum einen liegt mir das nordische bei ibsen; gibt es irgendeinen fröhlichen, dem leben zugewandten menschen, der nördlicher als hamburg geboren wurde? aber alle haben grosse tiefe: munch als maler, grieg und sibelius als komponisten, ibsen als dramatiker und kierkegaard als philosoph.
dennoch hat die faszination gelitten. früher fand ich die zeichnungen von menschen, die an ihren „lebenslügen:“(ein wort, dass sich bis in den englischen sprachraum durchgesetzt hat)“:“, und letztlich unausweichlich am leben selber zerbrechen, einfach genial. aber ich mochte auch tenessee williams (dessen namen ich heute nicht einmal mehr buchstabieren kann…) und eugene o´neill (besonders „eines langen tages reise in die nacht“). heute haben diese situation viel von ihrer unausweichlichkeit verloren und als hedda sich gestern die pistole an die schläfe setzte dachte ich: „wie unnötig. das hätte man alles anders regeln können.“ vielleicht ist das hauptproblem der lebenslüge nicht, dass man eine hat, sondern wie man damit umgeht. es muss einen anderen weg geben als den, dass sich am ende zwei von fünf personen selbst entleiben…
das psychologische hauptmoment seiner stücke (ausser den sozialkritischen, die ich nicht kenne) hat ibsen in der „wildente“ selbst auf den punkt gebracht: „beraube einen menschen seiner lebenslüge und du beraubst ihn seines glückes“ (ungefähres zitat). ist das wirklich so? belügen wir uns selbst und können nicht mehr weiter machen, wenn uns das leben den spiegel vorhält? letzten endes läuft die lebenslüge doch auf einen einfachen schutzmechanismus hinaus: keiner kommt genau dahin wo er hin will. wir alle machen abstriche, keiner von uns führt genau das leben, das er sich erträumt hat. um dieser realität zu entfliehen redet man sich ein, dass man glücklich ist und dass alles passt. man flieht in eine lüge und wenn die in sich zusammenfällt hängt man sich eben auf oder fängt das saufen an.
das finde ich nicht mehr so zwingend. natürlich kann die realität einen menschen zerbrechen, aber man kann sich auch mit ehrlichkeit und mut den dingen stellen und das beste draus machen. wenn „glück“ nur die eine grundvoraussetzung braucht, dass wir alles erreichen, was wir uns erträumen und in den besten umständen leben, haben in der tat alle menschen ein problem. gottlob ist es aber nicht so. glück ist nur zum kleinsten teil von unseren lebensumständen abhängig.

mir hat ein buch der bibel ganz besonders geholfen mit dem philosophischen problem der sinnlosigkeit und der banalität des lebens klarzukommen: der prediger. salomo litt selber nicht zu knapp daran, dass glück nicht im erreichen des topp-zustandes zu finden ist und dass man sich mit den dingen positiv arrangieren muss. oder neutestamentlicher: sie überwinden kann.
Es ist besser, zu gebrauchen, was vor Augen ist, als nach anderm zu verlangen. Das ist auch eitel und Haschen nach Wind. (prediger 6,9 nach luther)

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