15. Dezember 2005 9

auftrag der theologie

in einem der posts über metatheologie kam ein kleines gespräch mit [depone] auf, darüber, was theologie ist, bzw. von welcher theologiedefinition ich ausgehe. ich habe zuletzt mit einer an niklas luhmann:“(luhmann hat mehrere solcher reflexionstheorien. für mich am griffigsten war: „ethik ist die reflexionstheorie der moral“)“: angelehnten definition geantwortet: „theologie ist die reflexionstheorie des glaubens“. ich bin immer noch sehr zufrieden mit dieser weiten definition.
heute habe ich an einem seminar geschrieben und schrieb einen satz, über den ich später beim drüberlesen gestolpert bin: „Theologie bietet eine Perspektive auf das Wort Gottes.“

ich finde, das ist es, was theologie letztlich zu bieten hat, was sie reizvoll macht und was ihr auftrag ist. eine theologie bietet immer einen blickwinkel; jedes mal, wenn ich mich mit einem neuen ansatz beschäftige habe ich das gefühl, die bibel noch nie gelesen zu haben. plötzlich wird mir vieles klar, was ich nie verstanden habe.
gleichzeitig ist erklärt, warum theologien sich zeitweise widersprechen. eine theologie ist nicht gottes wort sondern bietet nur eine verständnismöglichkeit des wortes an. es ist zu erwarten, dass diese verständnismöglichkeiten sich erheblich voneinander unterscheiden. letztlich kann niemand sagen, dass er die bibel in allen punkten so versteht, wie sie „gemeint“ ist. niemand hat objektives wissen, sobald wir die bibel lesen bekommt das ergebnis eine prägung; wenn es anders wäre, wären wir keine subjekte.
selbst eine theologie, die für sich in anspruch nimmt, nur gottes wort in reinform zu bringen und nicht zu interpretieren, interpretiert. es ist ein naturgesetz, dass man immer als mensch beobachtet, liest, interpretiert usw. und dass theologie NIEMALS gottes wort ist. normalerweise lassen sich dann auch gerade bei predigerInnen, die sagen, dass sie NUR das wort predigen, sehr leicht axiome und vorprägungen finden.

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auch wenn es off-topic ist, möchte ich euch noch einen post von trinity ans herz legen, der meiner ansicht nach sehr interessant und lesenswert ist. viel spass noch!
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[neu veröffentlicht am 14.09.06 auf hasos blog]

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6 Kommentare

  1. hallo storch,

    deine aussage „theologie bietet eine perspektive auf das wort gottes“ finde ich gut. ich beschäftige mich auch gerade mit diesem begriff „perspektive“ (in einem ganz buchstäblichen sinn – s.u.).

    ich glaube aber nicht, dass diese perspektive unbedingt ein subjektivierender faktor ist. lass mich erklären.

    stell dir ein rohr vor, dessen länge und durchmesser gleich sind. stell dir vor, du sollst davon einen zweidimensionalen aufriss malen. das hängt natürlich von der perspektive ab. guckst du „von vorn“ – ins Loch – dann malst du das rohr als kreis. guckst du „von der seite“, dann malst du das rohr als quadrat.

    jetzt stell dir wesen vor, die nur zweidimensional existieren und nie ein rohr dreidimensional sehen können. ruckzuck haben die theologischen streit, ob das gebilde, von dem du ihnen berichtest, nun ein kreis oder ein quadrat sei. bald gründen sie die kreiskirche und die quadratgemeinde.

    die theologie ist voll von solchen kreis-quadrat-fragen, z.b die alte geschichte vom freien willen und der souveränität gottes. das problem taucht auf, wenn wir versuchen, solche probleme „zweidimensional“ zu lösen (die unmöglichkeit der quadratur des kreises.)

    ich würde deshalb nicht sagen, das unsere auffassungen zwangsläufig subjektiv sind. (für mich bedeutet subjektiv nicht nur beschränkung, sondern auch verfälschung durch beschränkung.) kreis und quadrat sind schon objektiv sehr zutreffende rohr-beschreibungen. es fehlt nur die höhere dimension, in der das scheinbar widersprüchliche zur einheit wird.

    ich glaube, dass gottes welt so vieldimensional ist, dass es nicht nur zwei, sondern unendlich viele „aufrisse“ von ihr gibt. die vielfalt der theologie (natürlich nicht aller theologie, man kann gottes wahrheit auch verfehlen), die vielfalt der bibelauslegungen sind ein ausdruck davon, dass der heilige geist die unendliche wahrheit gottes uns immer nur in bruchstückhaften perspektiven lehrt. aber diese bruchstücke sind nicht „subjektiv“, sondern „wie uns die salbung lehrt, so ist es wahr“. oder anders ausgedrückt: die vielfalt der theologie ist nicht ausdruck menschlichen mangels, sondern göttlichen überflusses.

    das entscheidende kriterium einer theologischen aussage ist nicht die logische überprüfbarkeit und vereinbarkeit (das wäre ein zweidimensionales kriterium), sondern die geistliche realität dessen, was sie beschreibt. (und das wird nicht durch logik, hermeneutik etc erkannt. darüber urteilt unser geist, unser innerer mensch mit seiner intuitiven, multidimensionalen metalogik. er ist ja schließlich das in uns, was von gott geboren ist.)

    zurück zum rohr des menschlichen willens. der eine sagt, der wille ist unfrei (der kreis). der andere sagt, der wille ist unfrei (das quadrat). für mich besteht die theologische aufgabe zunächst darin, beide aussagen zu verstehen, die entsprechenden biblischen aussagen kennenzulernen usw.

    aber dann muss der punkt kommen, wo ich beide aussagen nicht mehr länger im kopf analysiere, sondern im geist ein (intuitives) verständnis für beide aussagen entwickle (die beide wahr sind).

    für mich ist die souveränität gottes (mit den implikationen, dass ich nicht frei bin, sondern dass er in allen einzelheiten der autor meines lebens ist) eine quelle von geborgenheit und dankbarkeit. (wie gut, dass mein wille nicht frei ist. ich wäre untergegangen, wenn gott mich nicht irgendwie zu sich gezogen hätte, obwohl ich nicht wollte.)

    mein freier wille (mit der implikation, dass gott mir wirkliche freiheit lässt und ich nicht determiniert bin) gibt mir ein empfinden von würde und verantwortung.

    und in meinem geist empfinde ich, dass diese beiden realitäten, so sehr sie zweidimensionaler logik widersprüchlich erscheinen mögen, eine ganz tiefe einheit besitzen.

    ein leben voller immer neuer perspektive wünscht dir

    haso

  2. hey haso,
    eine kleine buchempfehlung. ziemlich altes schätzchen von edwin a. abott (oder abbot? keine lust aufzustehen und nachzusehen): flächenland.
    über den stress, den es in einer zweidimensionalen welt gibt als ein dreidimensionales wesen kommt. dann zieht er die gleichen schlüsse wie du in der übertragung auf ein höheres wesen mit mehrdimensionaleren eigenschaften.

    ich denke, dass perspektive fast schon ein anderes wort für subjektivität ist. unsere subjektivität gründet darin, dass wir immer nur aspekte sehen und nie das ganze. gott sieht das ganze und ist deshalb objektiv. der mensch hat aber weder die mentalkapazität, noch die erkenntnisfähigkeit etc. jede perspektive zu sehen. so bleiben erkenntnis und wissen stets „stückwerk“.
    meine sicht zum zustandekommen dieser sujektiven perspektiven ist in den vielen vielen metatheologiepostings enthalten. vielleicht interessieren dich die ja.

    alles liebe und segen,

    storch

  3. hallo storch,

    ich denke, wir können uns darauf verständigen, subjektiv und perspektivisch austauschbar zu gebrauchen, wenn wir beides als unterdimensioniert, aber nicht als unzutreffend verstehen.

    mir ist nur wichtig, nicht in goethische gefilde abzudriften: „es irrt der mensch, solang er strebt.“ das wäre eine unterschätzung des heiligen geistes. gott ist so clever, dass er imstande ist, uns etwas zu lehren, was wir nicht fassen können. (1.korinther 2,6-16 spricht davon.)

    bis irgendwann
    haso

  4. „Wahrheit ist die Abbildung der Wirklcihkeit in die Ebene der Sprache“ (Jürgen Bonssdorf, einer meiner Lehrer am NLS .. hoffe ich hab ihn richtig geschrieben)

    Der hat übrigens ne Doktorarbeit zum Thema „Erkenntnistheorie und Theologie“ geschrieben.

    @Tom G.: Du liest das sicherlich auch.
    Auftrag: CDROM mit jener Promotionsarbeit drauf mitbringen!

  5. Hi Micha und der Rest,

    ich verstehe, was dein Lehrer meint, würde es trotzdem anders formulieren:

    „Theologie ist die Abbildung der Wahrheit in die Ebene der Sprache.“

    Wahrheit und Wirklichkeit sind in der Bibel ein und dasselbe. Die Wahrheit erkennen ist zunächst ein intimer, intuitiver, geistlicher Akt, der in unserem Inneren Menschen (Geist) geschieht, auch wenn er durch das Wort vermittelt wird. (1.Korinther 2,9 sondern wie geschrieben steht: «Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. 10 Uns aber hat Gott es geoffenbart durch den Geist, denn der Geist erforscht alles, auch die Tiefen Gottes. 12 Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott ist, damit wir die Dinge kennen, die uns von Gott geschenkt sind.)

    Diese Wahrheit, die wir erkannt haben, wird dann auch in die Ebene von Gedanken und Sprache abgebildet: (13 Davon reden wir auch, nicht in Worten, gelehrt durch menschliche Weisheit, sondern in Worten, gelehrt durch den Geist, indem wir Geistliches durch Geistliches deuten.)

    Das ist dann Theologie. Theologie ist der spannende Vorgang, in dem zum Ausdruck kommt, was für ein spannendes Wesen der aus Gott geborene Mensch ist: „Dem Fleisch nach“ ist er immer noch ein Mensch mit natürlichem, rationalem Denken, „dem Geist nach“ hat der „Christi Denken“ (Vers 16) und „beurteilt alles“ (Vers 15).

    Das heißt, auf der transrationalen, intuitiven Ebene, zu der wir durch den Geist Zugang haben, erkennen wir das, „was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat, in keines Menschen Herz gekommen ist.“ Diesem übernatürlichen Geschehen in uns suchen wir als Theologen sprachlichen Ausdruck zu geben. Wobei wir erst einmal für uns selber in Gedanken kleiden müssen, was wir „wissen“, um es dann verständlich anderen zu kommunizieren.

    Bye, haso

  6. das ist mir zu idealistisch. egal, ob wahrheit oder wirklichkeit, wir können beides nicht erkennen. was wir erkennen können sind kleine segmente daraus. („erkennen“ jetzt im umgangssprachlichen gebrauch, nicht „geistlich“, wie in meinen erkenntnisposts). wenn wir sie nicht erkennen können, können wir sie auch nicht abbilden.
    schon gar nicht in „sprache“, denn die ist zu unngenau, gerade die deutsche sprache mit ihren permanenten „ding-metaphern“, die kaum etwas direkt ausdrücken kann, was kein „ding“ ist. natürlich kann man dann auf bildsprache zurückgreifen, das ist gut und richtig, eröffnet aber wieder einen so weiten interpretationsraum, dass nicht viel gewonnen ist.

    sprache kann teile dessen abbilden, was wir erkannt und verstanden haben. wahrheitsgehalt wird also erst durch unsere erkenntnis, dann durch unsere sprache und dann durch die aufnahme unserer botschaft durch hörer und leser verringert.

    @tom g: ich will die auch haben. erkenntnistheorie und theologie sind beide mein „ding“. (da ist es wieder X-) )

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  1. […] In meinem zweiten Post über die Theologie der Straße möchte ich einen kurzen Abriss über das Thema Theologie allgemein geben. Da es falsche und unvollständige Definitionen von der Theologie selbst gibt, ist am Anfang ein bißchen Denkarbeit angesagt. Wir werden uns natürlich mit der christlichen Theologie beschäftigen. Vielen werden diese Gedanken überhaupt nicht neu sein […]

  2. […] gesagt, das ist sehr ähnlich wie meine beiden eigenen Definitionen: Theologie ist die Reflexionstheorie des Glaubens. (Natürlich angelehnt an Herrn Luhmann) […]

  3. […] die Theorie mit der wir Bibellesen das, was wir in der Bibel entdecken. Deshalb lautet meine Definition von Theologie nach wie vor: “Theologie ist eine Perspektive auf Gottes Wort”. Wer mit […]

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